USA/Venezuela: Plötzlich kreuzen wieder Kanonenboote in welcher Karibik
„Venezuela ist vollständig von der größten Armada umzingelt, die jemals in der Geschichte Südamerikas zusammengestellt wurde“, tönt Donald Trump auf seinem Netzwerk Truth. Den militärischen Druck auf das Regime von Nicolás Maduro, den er seit August kontinuierlich erhöht hat, ergänzte der US-Präsident jetzt durch die Ankündigung einer „totalen Blockade aller sanktionierten Öltanker“.
Erdöl ist die Haupteinnahmequelle des südamerikanischen Landes, laut Schätzungen einschlägiger Portale befinden sich derzeit 18 bis 30 solcher Schiffe vor Venezuelas Küste. Rund 15.000 US-Militärs sind in der Karibik im Einsatz. Die Blockade halte so lange an, „bis sie den USA das Öl, die Ländereien und sonstige Vermögenswerte zurückgeben, die sie uns gestohlen haben“, schrieb Trump weiter.
Seit Wochen droht der US-Präsident mit einem militärischen Einmarsch, lässt völkerrechtswidrig angebliche Drogenboote in der Karibik und im Pazifik zerstören, bei denen fast 100 Menschen starben, Kampfflugzeuge das südamerikanische Land überfliegen oder nun Tanker gekapert werden sollen. Donald Trump begründet dies mit dem Vorwurf des „Narcoterrorismus“ – Maduro sei der Chef eines Drogenkartells, die Regierung eine „ausländische Terrororganisation“. Erklärtermaßen arbeiten die USA auf einen Sturz der verhassten Chavistas hin. Der Einsatz von Bodentruppen allerdings wäre auch bei Trumps MAGA-Basis unpopulär.
Ein Verfassungsrichter in Brasilien spricht von „imperialer Arroganz“
Die Mobilisierung in der Karibik passt zur neuen US-Sicherheitsstrategie, die nicht nur in Europa für Aufsehen sorgt. Auch in Lateinamerika und der Karibik, chronisch leidgeprüft durch militärische und wirtschaftliche Interventionen aus dem Norden, schrillen die Alarmglocken. Für die Bewohner des Subkontinents „grenzt das Dokument an eine Kriegserklärung“, heißt es in der liberalen Tageszeitung Folha de São Paulo. Celso de Mello, langjähriger Verfassungsrichter in Brasilien und linker Sympathien unverdächtig, spricht von „imperialer Arroganz“.
Auf Trumps Habenseite steht der Vormarsch der Ultrarechten, den er nach Kräften befördert. El Salvadors „cooler Diktator“ Nayib Bukele, der unter Joe Biden noch Gegenwind bekam, verwandelt sein Land endgültig in einen Polizeistaat. In Argentinien führt die Unterstützung von Javier Milei zu einer Milliardenspritze, die maßgeblich zu einem Sieg des Kettensägen-Präsidenten bei den Kongressteilwahlen im Oktober beitrug.
Der Profiteur hat sich mit einem umfassenden Handels- und Investitionsabkommen revanchiert, das US-Firmen einen nie gekannten Zugang zu Argentiniens Wirtschaft sichern wird, vor allem zu kritischen Rohstoffen wie Lithium oder Kupfer. Gelten sollen dort US-Normen, Patentrecht oder Sicherheitsstandards, Tech-Konzerne dürfen sich auf weitgehende Steuerfreiheit freuen. Auch der Zugriff auf die Rohstoffe in Bolivien und Chile scheint nach den Niederlagen der progressiven Regierungen dort, die sich um eine gewisse Regulierung bemüht hatten, leichter denn je.
Keinen Erfolg hatte der US-Staatschef, als er seinem Gesinnungsgenossen Jair Bolsonaro zu Hilfe eilte. Er verhängte 50-prozentige Strafzölle gegen Brasilien, weil der „Tropen-Trump“ wegen seines Putschversuchs nach verlorener Wahl vor Gericht stand. Präsident Inácio Lula da Silva wehrte sich lautstark, nach mehreren Gesprächen mit Trump nahm dieser die Zölle auf die meisten Produkte wieder zurück und hob das Einreiseverbot gegen den Obersten Richter, Alexandre Moraes, auf. Die Drohgebärden gegen Venezuela verhandelt Brasília auf diplomatischer Ebene.
Noch andere Regierungen Lateinamerikas dürften ins Visier der USA geraten
Mit einer ähnlichen Mischung aus Diplomatie und klaren Ansagen gelingt es Mexikos Präsidentin Claudia Sheinbaum bisher, Trumps Aggressionen auszubremsen: Sie geht härter gegen Drogenbosse und Migranten vor, weist aber die Präsenz von US-Truppen in Mexiko bestimmt zurück. In Ecuador gelang dem Trump-Jünger Daniel Noboa mit einem Law-and-Order-Kurs klar die Wiederwahl, doch musste er im Oktober eine herbe Niederlage einstecken: Bei einer Volksabstimmung lehnten über 60 Prozent US-Militärbasen auf ecuadorianischem Boden ab. Künftig dürfte der US-Druck auch auf Kolumbiens Regierung zunehmen, den linken Präsident Gustavo Petro bezeichnete Trump ebenfalls als Drogenbaron. Besorgt ist man auch in Nicaragua und Cuba – der erste beschlagnahmte Öltanker war auf dem Weg nach Havanna.
Ein Blick zurück: 1823, Spanien und Portugal hatten gerade fast alle ihre Kolonien in Lateinamerika verloren, forderte US-Präsident James Monroe die europäischen Mächte auf, sich aus ganz Amerika herauszuhalten – alles andere werde als „gefährlich für unseren Frieden und unsere Sicherheit“ aufgefasst. Ernst wurde es jedoch erst bei der imperialistischen Aufteilung der Welt ab Ende des Jahrhunderts: Ab 1898 intervenierten die USA militärisch im „Hinterhof“, vor allem im Karibischen Raum. Präsident Theodore Roosevelt rechtfertigte diese aggressive Wende in der Außenpolitik mit dem Roosevelt-Zusatz, mit dem er für sein Land die Rolle einer „internationalen Polizeimacht“ beanspruchte.
Bis 1934 marschierten US-Truppen in Kuba, Honduras, Panama, Mexiko, Haiti, der Dominikanischen Republik und Nicaragua ein. Unterdessen setzte sich die mexikanische Revolution durch, linksnationalistische und kommunistische Kräfte – wie der Nicaraguaner Augusto César Sandino oder Farabundo Martí in El Salvador – organisierten den antiimperialistischen Widerstand. In den 1930ern rief Franklin Roosevelt die Politik „guter Nachbarschaft“ zu Lateinamerika aus, die mit dem Kalten Krieg wieder ad acta gelegt wurde.
Washington setzte zusammen mit einheimischen Oligarchien Staatsstreiche ins Werk – in Guatemala 1954, Brasilien 1964 oder Chile 1973. US-Militär intervenierte 1965 in der Dominikanischen Republik, in Grenada 1983 und zum Jahreswechsel 1989/90 in Panama, um den vormaligen Verbündeten Manuel Noriega zu stürzen, dem vorgeworfen wurde, in Drogengeschäfte verwickelt zu sein – der Tod eines US-Soldaten war der Auslöser für die Invasion.
China bietet im Gegenzug Süd-Süd-Kooperation auf Augenhöhe an
Mit seinem „Trump-Zusatz zur Monroe-Doktrin“ stellt sich der US-Präsident in die Tradition der „Dicker-Knüppel-Politik“ von Theodore Roosevelt, im Amt 1901 bis 1909. Das außenpolitische Pendant zur menschenunwürdigen Abschiebejagd auf Latinos in den USA ist das Ziel, die gesamte „westliche Hemisphäre“ aufzurüsten, um US-Unternehmen bestmögliche Geschäfte zu ermöglichen. Verbündete Regierungen sollen einbezogen, der Einfluss auf jene Staaten, die noch nicht auf Linie sind, „ausgeweitet“ werden.
Die Nutzung „strategischer Ressourcen“ hat Vorrang, „nicht-hemisphärische Wettbewerber“ sollen zurückgedrängt werden. Gemeint ist damit China, das in den vergangenen 25 Jahren vielfach zum wichtigsten Handelspartner vieler Länder avanciert ist. „Die wirtschaftliche Komplementarität zwischen Lateinamerika und China lässt sich nicht mehr zurückdrehen“, sagt Oliver Stuenkel, Geopolitik-Experte der Getúlio-Vargas-Stiftung in São Paulo, „die lateinamerikanischen Länder werden weiterhin auf eine Diversifizierung ihrer Beziehungen setzen, um ihre Autonomie gegenüber den USA zu vergrößern.“
Dafür spricht auch das neue Grundsatzdokument zur Lateinamerika-Politik, das Peking kurz nach der Ansage aus Washington veröffentlicht hat. In bemerkenswertem Kontrast dazu beschwört es Süd-Süd-Kooperation auf Augenhöhe: „China und die Länder Lateinamerikas und der Karibik schreiten Hand in Hand als eine Gemeinschaft voran“, die von gegenseitigem Nutzen und Offenheit angetrieben werde, heißt es da. Man richte sich nicht gegen Dritte, diese würden weder ausgeschlossen noch werde man sich ihnen unterwerfen. Der chinesische Außenminister Wang Yi betont, die Partnerregion sei „niemandes Hinterhof“.