„Gute Nacht!“ qua Reisekonzept – Was Schlafurlaub bringt
Schlaftourismus boomt, aber funktioniert er? Unser übermüdeter Autor wagt einen Selbstversuch in Füssen, wo zertifizierte Gastgeber Urlaubern das Schlummern antrainieren – teils mit rabiaten Methoden.
Erholung. Viel schlafen. Die Batterien auftanken. Um danach erfrischt den Alltag zu stemmen. Leider hat diese Grundidee des Urlaubs für mich nie funktioniert. Zu verführerisch sind die Reize eines neuen Reiseziels, zu groß die Angst, etwas zu verpassen. Geschürt von Influencern, die mir einreden, das Leben sei zu kurz zum Schlafen.
Die Folge: hektische Städtetrips und Flugreisen, nach denen ich noch erschöpfter heimkehre. Aber diesmal nicht. Ich bin auf dem Weg ins Allgäu, wo das Füssener Netzwerk Schlaf ein Spezialprogramm für optimale Nachtruhe anbietet.
Damit liege ich im Trend. Schlaftourismus boomt weltweit,immer mehr Hotels haben Angebote für besseren Schlaf im Programm für Gäste, die von guter Nachtruhe träumen. Ihre Zahl steigt; allein in Deutschland schläft jeder Zweite mehrmals die Woche schlecht – ohne organische Ursache. Das ergaben aktuelle Studien der Kaufmännischen Krankenkasse und der Pronova BKK.
Nachhaltige Techniken für optimale Nachtruhe
Sorgen und andere Gedanken halten Betroffene wach. International macht der alljährliche World Sleep Day im März (2026 am 13.) auf die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen von Schlafproblemen aufmerksam. In Füssen sollen sich Gäste daher nicht nur kurzfristig erholen, sondern nachhaltige Techniken für optimale Nachtruhe erlernen.
Wie nötig ich das habe, sehe ich schon auf dem Hinweg. Beim Blick in den Spiegel im Zug beweisen dunkle Augenringe, dass ich kaum geschlafen habe – der Kampf gegen das Gedankenkarussell plagt mich regelmäßig, auch in der Nacht vor meine Abreise. Immerhin ist die Fahrt nach Füssen einfach: Ich setze mich in den Waggon, kein konzentriertes Autofahren, kein Jetlag am Ziel.
Wird sich mein Schlaf mit einer Reise ändern? Ich bin skeptisch. Immerhin verspricht das Füssener Programm eine wissenschaftlich fundierte Lösung. „Mit Forschenden der Ludwig-Maximilians-Universität München haben wir untersucht, wie sich die Schlafqualität mithilfe des Kneippschen Naturheilverfahrens verbessern lässt“, sagt Stefan Fredlmeier, der Füssener Tourismusdirektor.
Dahinter verbirgt sich ein ganzheitlicher Ansatz zur Förderung der Gesundheit, der auf den fünf Säulen Wasser, Bewegung, Ernährung, Heilpflanzen und innere Ordnung basiert und die Selbstheilungskräfte anregt. Das Ergebnis ist eine dreiwöchige Kompaktkur, die in der Regel von den Krankenkassen bezuschusst wird. Ich teste die kürzere Alternative: fünf Tage „Schlaf-Schnuppern“.
„Gut geschlafen?“, fragt mich Michael Duijndam nach der ersten Nacht. Der Inhaber vom „Dreimäderlhaus“ im Füssener Ortsteil Weissensee ist einer der qualifizierten Schlafgastgeber des Programms. „Nicht sonderlich gut“, gestehe ich. Wobei das am sogenannten First-Night-Effekt liegen kann: Die erste Nacht in fremder Umgebung verläuft oft unruhig. Ein Teil des Gehirns bleibt wachsam, falls Gefahren auftreten – eine menschliche Gewohnheit aus Urzeiten.
Schlaffibel und Kissenauswahl
Am Schlaf-gut-Zimmer kann es jedenfalls nicht liegen. Zur Zubettgehzeit empfängt es den Gast mit sanfter Meditationsmusik, gedimmtem Licht, dichten Vorhängen und dicken Türen, die jedes Geräusch absorbieren. Dazu gibt es eine Schlafbox. Neben Klassikern wie Schlafmaske und Ohrstöpseln enthält sie die „Füssener Schlaffibel“ mit Tipps, ein Menü für die Kissen-Auswahl, Relax-Spray und Tee aus dem Garten.
Im Bad sorgt ein Bewegungsmelder beim nächtlichen Toilettengang für sanftes Licht. Von unten, wohlgemerkt. Denn Beleuchtung von oben imitiert die Sonne, wie ich hier erfahre. Auch die Matratzen und Bettwäsche sind ideal, um „Schlafis“, wie die lokalen Touristiker liebevoll sagen, zu besserer Nachtruhe zu verhelfen.
Wobei sich das Füssener Programm nicht auf die Nächte beschränkt. „Die Vorbereitung auf guten Schlaf beginnt tagsüber“, erklärt Sascha Maurer. Der Psychologe erklärt mir die zugrundeliegende Philosophie. Wichtig seien Rhythmisierung, Ritualisierung und Regelmäßigkeit.
Der Ansatz basiert auf der Kneippschen Säule der inneren Ordnung, die auf seelische Balance zielt. Um etwa Grübelschleifen loszuwerden, hilft Achtsamkeit für den eigenen Körper und Geist. In der schnelllebigen Konsumgesellschaft, in der alles immer verfügbar ist, kommt das bewusste Innehalten aber oft zu kurz.
Also untersuche ich, zu welchem Schlaftyp ich gehöre. Lerne, den eigenen Biorhythmus zu respektieren. Ich gehe Waldbaden, übe Achtsamkeit mit einer Kräuterpädagogin, werde zum ersten Mal richtig schläfrig beim Yoga mit einem Augensäckchen auf dem Gesicht.
Entspannung und dann zum Internisten
Schon nach der zweiten Nacht stellt sich Ruhe ein. Endlich Entspannung. Die Zeit in der Natur, die Übungen, das Yoga zeigen Wirkung. Ich entdecke Füssen mit einer speziellen Stadtführung, die Gelassenheit in den Fokus stellt. Zum Besser-Schlafen-Programm gehört auch eine Ernährungsberatung durch einen Internisten.
Gegen Allgäuer Käsespätzle zu Mittag ist zum Glück nichts zu sagen, erfahre ich. Auch nicht gegen die Krautkrapfen aus dem benachbarten Lechtal. Abends hingegen verzichte ich lieber auf deftig-üppige Mahlzeiten.
Schnell merke ich: Bessere Nachtruhe erfordert Arbeit und die Bereitschaft, eigene Verhaltensweisen mindestens zu hinterfragen, bestenfalls zu überdenken. Die Füssener Schlafkur vermittelt die Grundlagen dafür. Den Kontrast zum üblichen Wohlfühlurlaub spüre ich spätestens, als ich im „Biohotel Eggensberger“ kopfüber gebeugt an einem Holzgestell stehe, während mir Andreas Eggensberger kaltes Wasser in den Nacken gießt.
Der Hotelier, Schlafgastgeber und Physiotherapeut, ist ein absoluter Fachmann für Hydrotherapie nach Kneipp. Für Anfänger empfiehlt er den Armguss. „Am Morgen angewendet, hilft er Menschen mit Schlafstörungen, wach zu werden“, sagt Eggensberger. „Die abendliche Unterkörperwaschung dient dazu, besser einzuschlafen.“
Schlafförderndes Hotelzimmer
Eine von ihm durchgeführte Studie kam zu dem Schluss, dass Hydrotherapie einen direkten Einfluss auf die Schlafqualität hat. Innerhalb weniger Tage könne man allerdings keine grundlegende Veränderung erwarten, „man muss den Körper trainieren.“
Sofort schlaffördernd sind hingegen die Zimmer in Eggensbergers Hotel. Dort lassen sich sogar WLAN und Stromkreislauf gegen Elektrosmog mit einem Gute-Nacht-Schalter abstellen. Am Bett stehen Zirbenwürfel, deren ätherisches Öl beruhigen soll. Die Landschaft tut ihr Übriges. Unterhalb der Schlösser Neuschwanstein und Hohenschwangau schläft es sich offenbar besonders gut. Mit Blick auf schneebedeckte Gipfel und stille Seen fällt das Aufstehen auch leichter.
Mein Fazit? Eine Woche Schlaf-Schnuppern reicht sicher nicht, um mich in einen guten Schläfer zu verwandeln. Allerdings zeigt sie mir neue Möglichkeiten auf. Wenn sogar führende Schlafexperten nur zu Tabletten raten, ist der Aufenthalt im Allgäu ein Lichtblick. Als Melatonin-Junkie bin ich angereist. Mit einem Handwerkskoffer voller Ideen fahre ich nach Hause.
Infos: 5 Tage „Schlaf-Schnuppern“, ab 606 Euro, „Gesunder Schlaf durch Innere Ordnung“, 21 Tage, bezuschussbar von Krankenkassen, Preise sind abhängig nach Unterkunft (fuessen.de/wohlbefinden/besser-schlafen).
Weitere Hotels mit besonderen Schlaf-Angeboten:
„Gradonna Mountain Resort“, Osttirol, Österreich: In dem Vier-Sterne-Superieur-Hotel in Kals am Großglockner können sich Gäste von zertifizierten Schlaf-Sommeliers beraten lassen. Zum Schlaf-gut-Programm auf 1500 Meter Höhe in reinster Bergluft gehören Tipps für einen tiefen Schlaf sowie eine Auswahl von speziellen Zirben-, Kräuter- und Heukissen, deren Duft entspannt. Dazu gibt es Yoga, Meditation, Massagen, Saunen, Pools und Blicke auf den Nationalpark Hohe Tauern; Doppelzimmer mit Frühstück ab 324 Euro (gradonna.at).
„Zedwell“, London, England: Am trubeligen Picadilly Circus oder im Edel-Stadtteil Knightsbridge – Londons erstes Schlaf-Hotel, eröffnet 2020, bietet nun mehrere Häuser. Typisch: die „Cocoon“-Zimmer mit hochwertiger Schallisolierung. Störende Fernseher gibt es nicht, auch keine Fenster, dafür gereinigte temperierte Luft, sanfte Lichtsysteme, die auf Wunsch Tageszeiten simulieren, Eichenbetten mit Naturmatratzen, eine Regendusche zum Stress abspülen und optionalen Zikadengesang; Doppelzimmer ab 93 Euro (zedwellhotels.com).
„Royal Champagne Hotel & Spa“, Champagne, Frankreich: Mit dem „Royal Sleep Experience“ hat das Fünf-Sterne-Hotel ein Paket für Schlaflose entwickelt. Nach der Kerzen-Massage und dem Spezialmenü im Restaurant mit Dornröschen-Trunk wartet die schallisolierte Suite. Das Personal hat alles vorbereitet: Luxus-Bett, lichtdichte Doppel-Vorhänge, Schlaf-Duft, Kräutertee, Melatonin-Drops, Schlafmaske, Meditationsprogramm. Frühstück gibt’s auf Wunsch ans Bett; Doppelzimmer mit Frühstück ab 723 Euro, Sleep-Paket für Zwei ab 1168 Euro (royalchampagne.com/en).
Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Füssen Tourismus. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter go2.as/unabhaengigkeit
Source: welt.de