Ghana | Ghana ist an jener Seite Chinas einer multipolaren Welt zugewandt

Es war ein dramatischer Zusammenstoß, der sich Anfang November vor der Polizeistation in der Kleinstadt Hwidiem, 150 Kilometer nordwestlich von Ghanas zweitgrößter Stadt Kumasi ereignete. Etwa 600 Menschen belagerten wütend die Polizeiwache und verlangten Freiheit für illegale Goldschürfer. Dann wurde gedroht, das Gebäude niederzubrennen. Die Sicherheitskräfte wurden durch Militär verstärkt, während ein Polizeioffizier mit den Demonstranten verhandelte. Es gelang schließlich, eine blutige Konfrontation zu vermeiden. Die hätte tragisch enden können. Nicht nur die Polizei, auch die Goldschürfer waren bewaffnet.

Die Regierung unterhält seit Juni eine Spezialeinheit, NAIMOS, die den illegalen Goldabbau unterbinden soll. Diese Task-Force löst ein Versprechen des im Dezember 2024 gewählten Präsidenten John Mahama vom sozialdemokratischen National Democratic Congress (NDC) ein. Der hatte versprochen, das illegale Goldschürfen – in Ghana „Galamsey“ genannt – zu stoppen. „Galamsey“ bedeutet „Gather them and sell!“ – sinngemäß: Sammle und verkaufe!

Konspirativ organisiert

Der informelle Goldabbau, der nicht selten mit giftigen Chemikalien betrieben wird, verseucht Gewässer und Böden in den Kakaoanbaugebieten. Der Fluss Pra im Westen Ghanas, der früher rund eine Million Menschen mit Wasser versorgte, hat sich durch „Galamsey“ in eine giftige trübe Brühe verwandelt. Zudem verwenden viele Goldschürfer – meist sind es arme Dörfler – Quecksilber, um Gold zu amalgamieren.

Dagegen kämpft eine breite Koalition von Politikern und zivilgesellschaftlichen Organisationen wie die Ghana Coalition against Galamsey. Deren Sprecher Kenneth Ashigbey meint: „Hier vergiften Menschen ihr eigenes Wasser, und die Verantwortlichen tun nichts. Dies ist eine Krise, der Präsident muss energischer handeln.“

Was den Druck auf die Regierung erhöht, ist Ghanas Medienlandschaft mit Zeitungen von der rechtsliberalen Business & Financial Times bis zum linkssozialistischen Blatt The Insight. In Reden des Präsidenten wird das „Galamsey“-Problem durchaus gestreift, die von ihm geschaffene Task-Force erscheint hoch motiviert, doch sind die Profiteure des illegalen Goldschürfens konspirativ unterwegs wie eine Untergrundorganisation. Bei Aktionen der Task-Force beschlagnahmen Fahnder immer wieder auch Waffen. In einem Interview mit dem US-Magazin Time schätzte Mahama die Zahl der durch „Galamsey“ Beschäftigten auf 1,5 Millionen, nicht unbeträchtlich bei einer Bevölkerung von gut 35 Millionen. Er stehe daher, so der Präsident, „in einem komplizierten Kampf“.

Etwa 40 Prozent des Goldes werden in kleinen Minen gefördert, die oft keine gültige staatliche Lizenz besitzen. Aber Gold ist nun einmal das wichtigste Exportgut und Ghana der größte Gold-Exporteur Afrikas mit Erlösen, die bei zehn Milliarden Dollar pro Jahr liegen. Fast die Hälfte dieser Ausfuhren geht in die Vereinigten Arabischen Emirate, rund ein Drittel in die Schweiz, 16 Prozent werden durch Indien abgenommen.

Die Goldgewinnung konzentriert sich auf die Ashanti-Region rings um die Vier- Millionen-Einwohner-Stadt Kumasi. In dieser Gegend bestand im 18. und 19. Jahrhundert das Königreich der Ashanti, auch „Königreich des Goldes“ genannt, dessen Machtsymbol der „goldene Stuhl“ des Herrschers war. Auf Gold gründeten sich Ruhm und Macht eines Reiches, dessen Könige politische und spirituelle Führer waren, die dem britischen Kolonialismus nichts abgewinnen konnten. Prempeh I., den letzten Ashanti-König, verschleppte die Kolonialmacht auf die Seychellen und verwandelte einen Großteil des heutigen Ghana in ein Protektorat, das „Goldküste“ genannt wurde.

In Kumasi kündet heute das modernisierte Manhyia Palace Museum von der Geschichte der Ashanti. Scharen von Schulkindern in gelben und blauen Uniformen warten im Schatten von Kakaobäumen geduldig auf Einlass. Es sind ähnliche Bilder wie vor dem Kwame-Nkrumah-Mausoleum in der Hauptstadt Accra, das dem ersten Präsidenten eines unabhängigen Ghana gewidmet ist, der 1966 unter Beihilfe des US-Geheimdienstes CIA gestürzt wurde.

Ghana legt Wert auf Geschichtsbewusstsein, auf „patriotischen Geist und nationale Identität“, die man „nicht verlieren“ dürfe, mahnt Dela Evans vom Thinktank Ghana Change Academy. So finden sich unter den aktiven, vielfach jungen Mitgliedern von Mahamas Partei, dem National Democratic Congress (NDC), auch Enkel enger Mitstreiter von Nkrumah, die sich der mit ihm verbundenen panafrikanischen Tradition verpflichtet fühlen.

Inflation in Ghana im Sinkflug

Ein Ziel von John Mahama ist die „24-Stunden-Wirtschaft“, um durch verlängerte Öffnungszeiten von Banken und Geschäften mehr ökonomische Dynamik zu bewirken. Die Idee ist populär, um einer Jugendarbeitslosigkeit von 23 Prozent in einem Land zu begegnen, dessen Durchschnittsalter bei 20 Jahren liegt. Ein Durchbruch auf dem Arbeitsmarkt ist bisher nicht zu erkennen.

Mitglieder der regierenden NDC in deren Hochburg Cape Coast, einer Universitätsstadt im Westen, räumen ein: „Das Thema 24-Stunden-Wirtschaft haben wir nicht genügend durchdacht. Dafür würde auch ein funktionierender nächtlicher Nahverkehr für die Beschäftigten gebraucht, nur der fehlt.“ Dennoch kann die Regierung nach rund einem Jahr auf Erfolge verweisen. Es gelang ihr, die Staatsverschuldung seit Ende 2024 zu reduzieren. Nach offiziellen Angaben ging die Schuldenquote von 61 auf 44 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zurück.

Auch die Inflation, die unter der konservativen Regierung der New Patriotic Party (NPP) zeitweise bei 40 Prozent lag, ist auf neun Prozent gesunken. Dazu trugen drei Faktoren bei: Ausgabendisziplin, Schuldenabbau und eine Stabilisierung der Landeswährung, die Goldverkäufen zu verdanken ist. Da viele Ghanaer durch die Geldentwertung einen sozialen Abstieg hinnehmen mussten, sind Mahamas Zustimmungswerte bis Oktober relativ stabil geblieben. Seit die Inflation den Einzelnen weniger kostet, verfügt der Staatschef über ein Ranking um die 70 Prozent, was ihm auch als Führer seiner Partei von Nutzen ist.

Die oppositionelle New Patriotic Party hingegen hat Probleme, nach ihrer Wahlniederlage Ende 2024 wieder Tritt zu fassen. Noch immer erscheint die NPP wie gelähmt. Sie will im kommenden Jahr einen neuen Vorsitzenden und Präsidentschaftskandidaten für die Wahl 2028 nominieren. Die besten Aussichten, erneut Mahamas Herausforderer zu werden, hat der vormalige Vizepräsident Mahamudu Bawumia. Einst Ökonom beim Internationalen Währungsfonds (IWF), bescheinigt ihm seine Partei einen „unvergleichlichen Intellekt“ und das Festhalten an der anglophilen Verankerung der NPP.

Chance zum Technologietransfer

Unumstritten ist dieser Aspirant freilich nicht, seit ihm der Makel des Wahlverlierers anhaftet. Das Präsidentenvotum im Dezember vor einem Jahr verlor Bawumia mit 41,6 Prozent gegen Mahama, der mit 56,5 Prozent gewann. Ungeachtet dessen kann die NPP weiter auf ihre Klientel etwa in der Handelsmetropole Kumasi zählen. Wo Unternehmer im Land ihre Rover vor klimatisierten Restaurants parken und sich zu Fischgerichten französische Weine servieren lassen, kann die Partei auf treue Anhänger rechnen.

In der Hauptstadt Accra wird sichtbar, wie sich eine „multipolare Welt“, von der Ghanas Präsident oft spricht, Geltung verschafft. Trotz aller angelsächsischen Einflüsse ist China mittlerweile der größte Handelspartner mit einem Volumen des Warenaustausches von zwölf Milliarden Dollar. Auch als Investoren sind die Chinesen von Bedeutung. Ihre „Polystar“-Fabrik produziert in Accra stabile Wassertanks aus Hartplastik für Wohnhäuser. Die schwarze Farbe der Reservoire sorgt dafür, dass Millionen Westafrikaner warmes Wasser haben, ohne Strom oder Gas zu verbrauchen. Chinesische Unternehmen bauen Indus-trieparks und planen die Montage von Elektroautos in Ghana, um sie in diesem Land zu verkaufen. Bliebe noch, die immer beliebteren chinesischen Lokale zu erwähnen, die in Accras großzügig angelegter „China Mall“ ihren Platz haben.

In der oberen Mittelschicht sind Reisen nach China so begehrt wie Studienplätze in China. Derzeit werden dort etwa 5.000 ghanaische Studenten ausgebildet. Um ihre Aussichten auf einen solchen Studienplatz zu verbessern, besuchen vor allem junge Ghanaer Chinesisch-Kurse. Inzwischen lernen mehr als 150.000 Bürger die chinesische Sprache, unter anderem in den drei Konfuzius-Instituten. Bei einem Treffen mit Xi Jinping im Oktober in Peking kündigte Präsident Mahama an, die Partnerschaft werde „neue Höhen erreichen“. Und die regierungsnahe Ghanaian Times kommentierte, China schenke Ghana durch die „Chance zum Technologietransfer“ eine „transformative Vision“ für seine Industrie.