Scheitern uff EU-Gipfel: Warum es noch Hoffnung zu Händen den Mercosur-Handelsdeal gibt

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) bemühte sich nach dem EU-Gipfel mit allen Mitteln, den Eindruck zu zerstreuen, dass er im Streit um das Mercosur-Handelsabkommen eine Niederlage erlitten hat. Die italienische Ministerpräsidentin Georgia Meloni habe um ein wenig mehr Zeit bis zur Abstimmung über das Abkommen mit Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay gebeten. Dass Mercosur in Kraft treten könne, sei aber damit jetzt sicher. „Nach 25 Jahren (Verhandlungen) kommt es jetzt auf zwei Wochen auch nicht mehr an“, sagte Merz.

Wenige Stunden vorher klang das noch ganz anders. Da machte der Kanzler noch Druck, dass auf dem Gipfel selbst eine Entscheidung fallen müsse. „Ich hoffe sehr, dass uns diese Zustimmung heute und morgen gelingt“, hatte er als Ziel ausgerufen.

Auch die Europäische Kommission und der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula warnten, dass die Entscheidung jetzt oder nie fallen müsse. Letzterer drohte offen mit einem Scheitern des Deals, wenn Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen diesen nicht, wie seit Wochen geplant, an diesem Samstag in Brasilien unterzeichne.

Eine Niederlage für Merz

Ist das Ergebnis des Gipfeltreffens also nun eine Niederlage für Merz? Eine doppelte sogar, wenn man den Ausgang der Debatte über die Ukraine-Hilfen anschaut? Und steht der Mercosur-Deal vor dem endgültigen Scheitern? Oder ist „verschoben“ in diesem Fall wirklich nur „verschoben“ und nicht „aufgehoben“?

Klarheit wird erst im Januar herrschen. Dann sollen die Mitgliedstaaten – so lautet der neue Zeitplan – endgültig abstimmen. Das soll noch vor der ersten Plenarsitzung des Europäischen Parlaments im kommenden Jahr sein, um neue Querschüsse von dort zu verhindern. Das heißt: vor dem 19. Januar.

Bis dahin muss Meloni also aus dem Lager der Gegner in das Lager der Befürworter wechseln. Sie ist und bleibt das berühmte Zünglein an der Waage. Für die Annahme des Mercosur-Deals ist eine qualifizierte Mehrheit nötig. Mindestens 15 Staaten, die für 65 Prozent der EU-Bevölkerung stehen, müssen zustimmen.

Frankreich bleibt beim Nein

Diese Mehrheit kommt angesichts des „Neins“ von Frankreich, Polen und einer Reihe anderer Staaten nur zustande, wenn Italien dabei ist. Merz betonte zwar, dass er auch noch auf die Zustimmung Frankreichs hoffe. Dass Präsident Emmanuel Macron tatsächlich einlenkt, dürfte aber unwahrscheinlich sein.

Glaubt man den Befürwortern des Abkommens, hat Meloni mehr oder weniger fest zugesagt, dass sie im Januar zustimmen werde. Meloni habe zugesagt, dass spätestens Mitte Januar der Termin für die Unterzeichnung nachgeholt werden könne, betont Merz. Ähnlich äußerte sich Lula: Meloni habe ihn um „eine Woche, zehn Tage, maximal einen Monat“ Bedenkzeit gebeten. Danach sei Italien zu einer Unterzeichnung bereit.

Vorausgegangen waren in den Stunden zuvor intensive Verhandlungen innerhalb des Brüsseler Ratsgebäudes sowie zwischen Brüssel und Brasilia, wie EU-Diplomaten berichten. Dabei sei es schnell um einen Plan B gegangen, wie ein Scheitern des Abkommens verhindern werden könne, weil Meloni klar gemacht habe, dass sie jetzt noch nicht nachgeben könne, sagte ein Diplomat.

Meloni telefoniert mit Lula

Dafür sei ein Telefonat zwischen Meloni und Lula entscheidend gewesen. Der derzeitige Präsident der Mercosur-Staaten habe sich daraufhin mit den anderen drei Chefs abgestimmt und grünes Licht für die Verschiebung gegeben.

Nach dieser Darstellung ging und geht es Meloni letztlich vor allem um zwei Dinge: Erstens darum, in Brüssel Härte zu zeigen, um bei den heimischen Bauern sowie bei dem Mercosur ablehnend gegenüberstehenden Koalitionspartner, der Partei Lega von Matteo Salvini, zu punkten. Zweitens – so wurde es von Beginn des Gipfels an dargestellt – darum, ihre Schlüsselrolle bei Mercosur zu nutzen, um auf dem Gipfel Vorteile für Italien herauszuschlagen. Das musste gar nicht einmal bei Mercosur, sondern konnte auch in anderen Politikfeldern sein. Was Meloni im Gegenzug für die Zusicherung, im Januar zuzustimmen, herausgeholt haben könnte, blieb am Freitag unklar. Schriftlich wird so etwas ohnehin nicht festgehalten.

Denkbar wäre, dass sie Zusagen für die anstehenden Verhandlungen über den EU-Haushalt 2028 bis 2034 bekommen hat. Merz habe Meloni klargemacht, dass Zugeständnisse leichter seien, wenn die Wirtschaft gut laufe, und dafür wiederum sei Mercosur als Wachstumsmotor wichtig, hieß es. Unabhängig davon ist das Abkommen, das mit mehr als 700 Millionen Menschen die größte Freihandelszone der Welt schafft, auch für Italien ökonomisch wichtig. Auch darauf setzen die Befürworter.

Es spricht also einiges dafür, dass die Merz‘sche Rechnung aufgeht und Meloni rechtzeitig im Januar einlenkt. Dann wäre seine Niederlage auf dem Gipfel am Donnerstag zu verkraften. Die Gefahr, dass Meloni auch im Januar, am ehesten aus innenpolitischen Gründen, wieder von ihrer Zustimmung abrückt, bleibt aber bestehen. Meloni hat sich in Brüssel die Reputation erworben, zu ihrem Wort zu stehen. Aber auch Macron hat in den vergangenen Monaten mehrfach Signale nach Brüssel ausgesendet, im Ringen um das Mercosur-Abkommen zumindest von einem strikten Nein auf eine Enthaltung umschwenken zu können – nur um am Ende doch wieder bei einem strikten Nein zu landen. Dass die Mercosur-Staaten dann abermals einer Verschiebung zustimmen, ist schwer vorstellbar. Der Ärger über die unzuverlässigen Europäer ist zu groß.