„Ein Jahr unter Mittelständlern“: Hier ist Unternehmergeist endlich einmal gefragt

Nach einem Schuljahr werden die Zeugnisse vergeben. Meistens ist in dieser Zeit ein klares Bild entstanden, wie die Leistungen ausgefallen sind. Das Bild, das fünf Mittelständler und die Bundeswirtschaftsministerin in der ARD-Dokumentation „Ein Jahr unter Mittelständlern“ zeichnen, ist gemischt. Von 2- bis 4- reichen die Noten, die sie verteilen. Ein aufregendes Jahr sei es gewesen, sagt eine Winzerin. Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche resümiert, man habe Schläge erlebt, und auch die Bundesregierung müsse besser werden.

Der Filmemacher Klaus Scherer hat für seinen Film fünf Unternehmer über den Zeitraum von einem Jahr immer wieder aufgesucht und einige von ihnen ins Ausland begleitet. Als er seine Recherche begann, ging es um die Pläne für höhere Zölle der Vereinigten Staaten. Zwölf Monate später ist zwar der erste Schrecken gewichen, aber auch die Hoffnung, dass die deutsche Politik unter neuer Führung schnell Berge versetzen könne.

Das Konzept geht auf, und auch nicht

Scherers Herangehensweise geht dem Grunde nach auf – und im Detail dann auch wieder nicht. Sie funktioniert, weil er ein routinierter Rechercheur und Erzähler ist. Seine Beispiele sind gut gewählt. Die Bandbreite reicht vom schwäbischen Unternehmen Bizerba, das Komponenten für Waagen herstellt, über zwei Maschinenbauer aus dem Odenwald und von der Ostseeküste zu einem Thüringer Porzellanhersteller und einem Pfälzer Weingut. Sie alle sind in internationale Handelsbeziehungen verflochten. Im Verlauf begleitet der Autor einige von ihnen auf Auslandsreisen nach Japan und in die USA.

Alle fünf liefern also reichlich (Schnitt-)Bilder und Geschichten. Zu Beginn sind die meisten sichtlich gezeichnet von der Schreckensvision von US-Zöllen. Am Ende zeigt sich ein Panorama diverser Herausforderungen einer Wirtschaft mitten in der Transformation der Produktionsweise und der Geschäftsmodelle. Der Klimawandel stellt nicht nur für die Winzerfamilie die Produktionsverfahren infrage. Auch für die Verpackungsmaschinenherstellerin aus dem Odenwald (Mosca) und die Porzellanmanufaktur (Kahla) ist ein sparsamerer Energie- und Materialeinsatz zum obersten Gebot geworden.

Eine der eindrücklichsten Szenen ist der erste Auftritt eines Deutschen auf dem Treffen der japanischen Papiersackhersteller. Greif-Velox aus Lübeck stellt die passenden Maschinen her. Nach dem Vortrag kann er von einem ersten Auftrag berichten. Sein japanischer Kunde begründet das mit der hohen Qualität deutscher Ingenieurskunst. Kämen am Ende drei bis fünf Anfragen aus dem ostasiatischen Land, könne das die Abhängigkeit von den USA mindern, sagt Geschäftsführer Sebastian Pohl.

Andreas Kraut ist CEO der Firma Bizerba, eines Traditionsherstellers von Waagen und Messtechnik für Handel und Industrie.
Andreas Kraut ist CEO der Firma Bizerba, eines Traditionsherstellers von Waagen und Messtechnik für Handel und Industrie.NDR

Was nicht stimmt bei der Dokumentation, ist die Sendelänge. Für einen 45-Minuten-Film sind fünf Unternehmer, eine Bundeswirtschaftsministerin und ein Experte des Münchener Ifo-Instituts, dazu markante O-Töne von Politikern, zu viel Material. Dadurch kann keine Geschichte richtig zu Ende erzählt werden. Die Schlussfolgerung daraus wäre aber nicht, auf Gesprächspartner zu verzichten, sondern dem Autor mehr Sendezeit zu geben. Wer über ein Jahr fünf Geschichten mit mehreren Besuchen akribisch nachzeichnet und in Schlüsselmomenten für die porträtierten Unternehmen dabei ist, sammelt mehr Material, als in eine Dreiviertelstunde passt.

Die Sendezeit ist zu knapp bemessen

Insofern hinterlässt das Jahr unter Mittelständlern mit seinem kompetenten Chronisten einen zwiespältigen Eindruck: Da macht sich ein Dokumentarfilmer auf, die wirtschaftlichen Probleme Deutschlands zu erklären. Er findet einschlägige Beispiele und entlockt der verantwortlichen Ministerin wie auch einem der führenden Wirtschaftsanalysten aussagekräftige O-Töne. Aber am Ende will sich alles nicht zusammenfügen.

Dass Wirtschaft überhaupt auf den führenden Sendeplätzen für Dokumentationen vorkommt, ist unbedingt zu loben. Welches Material Scherer sammelt, welche Fragen er zum Thema stellt und wie er durch Nähe eindringliche Bilder erzeugt, ist vorbildlich. Dass er dieses Material aber nicht ausreichend entfalten kann, hat mit Sendestrukturen und Misstrauen gegen hochwertigen Journalismus zu tun. Denn dass diese Form von Dokumentation näher am Programmauftrag der ARD ist als so manche Quizshow, Unterhaltungssendung oder schlechte Fiktion, wird von der ersten Minute an sichtbar. Es wäre schön, wenn sie mehr Zeit bekäme, ihre Kraft zu entfalten. Qualitätsjournalismus braucht Zeit – um zu recherchieren und zu erzählen.

Wirtschaft im Stresstest – Ein Jahr unter Mittelständlern läuft am Mittwoch um 23.05 Uhr im Ersten und in der ARD-Mediathek.

Source: faz.net