Verdacht gegen Mogherini: Haben die Brüsseler Staatsanwälte übertrieben?
Eines fällt beim jüngsten Korruptionsfall, der Brüssel erschüttert, ins Auge: Wieder sind Italiener betroffen, wieder steht eine Sozialdemokratin unter Verdacht. Diesmal ist es Federica Mogherini, die als Politikerin des Partito Democratico 2014 erst Außenministerin ihres Landes wurde, dann für fünf Jahre EU-Außenbeauftragte, bevor sie 2020 als Rektorin an das Europakolleg in Brügge wechselte, eine Kaderschmiede für europäische Beamte.
In dieser Funktion soll sie bei der Ausschreibung für ein Programm zur Ausbildung von Diplomaten auf unlautere Weise mit dem Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) zusammengearbeitet haben. Mogherini bestreitet dies. Ebenfalls unter Verdacht stehen ein EU-Spitzenbeamter und ein Mitarbeiter des Kollegs, beide aus Italien.
Als vor ziemlich genau drei Jahren ein schwerer Korruptionsverdacht auf das Europaparlament fiel, waren neben der griechischen Vizepräsidentin Eva Kaili mehrere Sozialdemokraten aus Italien oder mit italienischen Wurzeln betroffen. Im Zentrum von „Qatargate“ steht bis heute, als Kronzeuge, der frühere Abgeordnete Antonio Panzeri. Die Herkunft mag Zufall sein, könnte aber auch auf tieferliegende Probleme in der politischen Kultur eines Landes verweisen, in dem sich die Mafia jahrzehntelang Einfluss gekauft hat.
Freilich verbietet sich ein solcher Schluss derzeit, weil alle Beteiligten bis zu ihrer rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig zu betrachten sind. Im Fall „Qatargate“ wurden sie bis dato nicht einmal angeklagt – was den Blick auf eine zweite Parallele lenkt.
Waren die Ermittlungen rechtmäßig?
Seinerzeit ging die Justiz mit aller Härte gegen die Verdächtigen vor. Drei von ihnen saßen vier Monate lang in Untersuchungshaft. Die Beweislast erschien zunächst erdrückend, bis Zweifel an der Arbeitsweise der belgischen Sicherheitsbehörden und Justiz aufkamen. So musste der ursprüngliche Untersuchungsrichter zurücktreten, nachdem bekannt geworden war, dass sein Sohn ein gemeinsames Geschäft mit dem Sohn einer weiteren Verdächtigen betreibt, die zunächst verschont worden war.
Fragen gibt es auch zur nachrichtendienstlichen Überwachung, zu Hausdurchsuchungen und zur Glaubwürdigkeit des Kronzeugen. Seit dieser Woche läuft in Brüssel ein Verfahren, in dem die Rechtmäßigkeit der Ermittlungen überprüft wird. Im äußersten Fall könnte deren Einstellung verfügt werden.
Auch bei den Ermittlungen gegen den EAD und das Europakolleg wurden die Verdächtigen zunächst in Haft genommen, nur für einen Tag, doch reichte das, um ihre Karrieren zu beenden. Mogherini trat von ihrem Rektorenamt zurück, der Spitzenbeamte Stefano Sannino ließ sich in den Ruhestand versetzen.
In Brüssel werden, wenn auch hinter vorgehaltener Hand, Zweifel daran geäußert, ob das Vorgehen der belgischen Behörden, die im Auftrag des belgischen Zweigs der Europäischen Staatsanwaltschaft handelten, angemessen war. In beiden Fällen bestand keine Fluchtgefahr, weshalb Untersuchungshaft nicht einmal beantragt wurde. Einige verweisen auch darauf, dass die Weitergabe interner Informationen bei Ausschreibungen nicht ganz ungewöhnlich sei.
Ob das Ermittlungsverfahren wirklich zu einer Anklage, einem Prozess und einer Verurteilung führt, muss sich erst noch zeigen. Jedenfalls stehen nicht nur EU-Akteure unter verschärfter Beobachtung, sondern auch die belgische Justiz. Sollte das Misstrauen, das sich gegen sie aufgebaut hat, nicht ausgeräumt werden, wäre auch das ein bleibender Schaden.
Source: faz.net