Kulturrevolution | MAGA-Mao: Akademiker in den USA wahrnehmen sich an Chinas „Kulturrevolution“ erinnert
Wenn Vickie Wang, eine aufstrebende Stand-up-Comedian in New York, auf die Bühne geht, überlegt sie nicht nur, welche Witze sie reißen soll, sondern auch, welche sie besser vermeidet. „Ich kritisiere die Regierung nicht direkt. Und wenn doch, achte ich darauf, dass es nicht in den sozialen Medien landet. Ich denke, das ist ein Verhalten, das ich in China gelernt habe.“
Die 39-jährige Wang lebte lange in Shanghai und verließ die Stadt 2022, um in die USA auszuwandern. Dort habe sich, findet sie, seit Donald Trump vor einem Jahr zum zweiten Mal zum Präsidenten gewählt wurde, die Atmosphäre spürbar verändert. „In China wusste ich, wo die Grenzen verlaufen, während ich in den USA auf unsicherem Terrain stehe.“
Wangs Befürchtungen spiegeln eine Realität in den USA, die vielen Chinesen oder Menschen, die in China gelebt haben, auf unheimliche Weise vertraut vorkommt. Politische Gegner werden geächtet, Journalisten ebenso, Institutionen angegriffen – der Präsident fordert absolute Loyalität. Donald Trump hat nie verhehlt, dass er Xi Jinping bewundert, und nannte ihn „einen großartigen Kerl“.
Als sie jüngst beim Treffen im südkoreanischen Busan eine Waffenruhe im Handelskrieg vereinbarten, war eine Art Verbundenheit zwischen den Führern von zwei Ländern mit diametral entgegengesetzten Systemen spürbar. Und nach der jahrzehntelangen Erwartung in den USA, engere Beziehungen mit Peking könnten die aufstrebende Weltmacht liberalisieren, entsteht unter Trump 2.0 der Eindruck, als würden die USA eher in Richtung China gezogen als umgekehrt.
„Die Vereinigten Staaten durchlaufen eine Phase der Kulturrevolution“, so Zhang Qianfan, Professor für Verfassungsrecht an der Peking-Universität. „Als Staatschef versucht Donald Trump, seine Basis zu mobilisieren, um die Elite zu entmachten, ähnlich wie im China der Kulturrevolution 1965/66.“ Seit Trump zu Beginn seiner Amtszeit das Department of Government Efficiency (DOGE) auf die Washingtoner Bürokratie losließ, betrachten viele Chinesen die US-Politik durch die Brille des Umbruchs in ihrem Land Mitte der 1960er. Ob es darum geht, die Jugend einzuspannen, damit der Wille des politischen Führers durchgesetzt wird, oder darum, Institutionen von vermeintlichen Feinden zu säubern – aus chinesischer Sicht hat Trump den USA Verhältnisse im Mao-Stil beschert.
Die auffälligste Gemeinsamkeit zwischen Trumps Amerika und dem China Mao Zedongs ist der Verschnitt von Meinungsfreiheit. Deng Haiyan, ein ehemaliger Polizist, der seit 2019 in den USA lebt, nachdem er wegen der Schikanen chinesischer Behörden ins Ausland geflohen ist, twitterte im September nach dem Tod des Trump-Aktivisten Charlie Kirk, diesen müsse man als „Abschaum“ bezeichnen.
Wie andere in den USA – von denen einige aufgrund negativer Äußerungen über Kirk ihre Arbeit verloren – sah sich Deng umgehend mit heftigen Anfeindungen konfrontiert. Seine Familie wurde öffentlich bloßgestellt und er selbst beschuldigt, ein chinesischer Spion zu sein, der die USA spalten wolle. „Dieser Vorfall war ein Schock für mich. Ich hätte nie gedacht, dass in den Vereinigten Staaten passieren könnte, was eigentlich nur in einem autoritären Staat denkbar ist“, sagt Deng.
Die Kampagne kam aus den sozialen Medien, weniger vom Staat, doch gerade diese Art der sozialen Überwachung weist Ähnlichkeiten mit China auf. Das sähe man vor allem daran, meint Maria Repnikova, Dozentin an der Georgia State University, dass es in den USA mittlerweile Befürchtungen gebe, Schüler könnten Lehrer denunzieren.
Professor Zhang Qianfan ist der Meinung, dass sich liberale Intellektuelle wie er früher an den USA orientiert hätten, heute hingegen sei Amerika „nicht mehr so etwas wie ein Elysium für chinesische Liberale. Einst sahen wir die USA als Leuchtturm der konstitutionellen Demokratie, aber unter Donald Trump hat der an Leuchtkraft eingebüßt.“ Leute seines Zeichens, die Chinas politisches System zumindest im privaten Kreis kritisierten, fänden es zunehmend weniger anstößig als das amerikanische.
„Es ist zwar schmerzhaft, das zu akzeptieren, aber nach der Pandemie scheint Chinas Regierung mit ihren Maßnahmen im Interesse der Umwelt, mit dem Bau von Elektroautos und Investitionen in Spitzentechnologien das Richtige zu tun, während der Westen offenbar im Niedergang begriffen ist.“ Auch hätten die Beteiligungen der Trump-Regierung an US-Unternehmen zu Vergleichen mit China geführt, wo die Grenze zwischen Staat und Privatwirtschaft oft verschwimme.
Jüngst kündigte die Trump-Regierung an, Anteile an einem auf die Verarbeitung Seltener Erden spezialisierten Start-up-Unternehmen zu erwerben, nachdem sie sich auf ähnliche Weise an anderen Firmen beteiligt hatte, die als sicherheitsrelevant eingestuft waren. Dies hat bei einigen Investoren Besorgnis ausgelöst, die befürchten, es stehe eine neue Ära staatlicher Eingriffe in die Privatwirtschaft an.
Natürlich bestehen weiter erhebliche Unterschiede zwischen Trumps Amerika und China. So haben US-Gerichte einige von Trumps Maßnahmen blockiert oder aufgehoben, was in der staatlich kontrollierten chinesischen Justiz undenkbar wäre. Professor Zhang merkt an, dass viele Intellektuelle in China zwar schockiert waren, als US-Universitäten den Forderungen der Regierung hinsichtlich Diversität und Inklusion auf dem Campus nachgaben, in China jedoch alle Hochschulen per se staatlich seien. „Die von der Regierung ernannten Leitungen haben keinen Spielraum, einmal Nein zu sagen. Sie können es sich nicht leisten, ungehorsam zu sein.“
Doch sind es derzeit die Menschen in den USA, die zu Vorsichtsmaßnahmen neigen, die früher eher in autoritären Ländern üblich waren. Ein Professor an einer Universität, der sich bislang stets offen zum Verhältnis USA und China geäußert hat, lehnt ein Interview für diesen Artikel ab. Seine Begründung: „Ehrlich gesagt fürchte ich die Zensur. Ich habe heutzutage weniger Angst, Xi Jinping zu kritisieren, als etwas Negatives über Donald Trump zu sagen.“