Anwendungen von KI: Eine Welt mit Künstlicher Intelligenz

Ein Zuhause, das mitdenkt

von Josephine Bewerunge

Die Zukunft ist alt. Zumindest aus demographischer Sicht: Nächstes Jahr feiern die ersten Babyboomer ihren 80. Geburtstag, 20 Jahre später die letzten. Es wird also immer mehr Menschen geben, die auf Unterstützung angewiesen sind. Da sei es nicht nur wünschenswert, sondern notwendig, dass sie so lange wie möglich in ihren Wohnungen bleiben können, sagt Hilko Hoffmann. Er arbeitet am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz in Saarbrücken und ist Teil des Forschungsprojekts „DuITeasy“, das Menschen den Alltag in ihren eigenen vier Wänden erleichtern soll.

Hilko Hoffmann arbeitet am Deutschen Forschungsinstitut für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Saarbrücken.
Hilko Hoffmann arbeitet am Deutschen Forschungsinstitut für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Saarbrücken.Privat

Das zugrundeliegende Konzept geht über gewöhnliche Smart-Home-Anwendungen hinaus, indem es unterschiedliche, bisher nicht kompatible Datenquellen und Technologien im Wohnbereich zu einem sogenannten „Datenraum“ zusammenführt. „DuITeasy“ verbindet die Informationen aus dem Datenraum unter Wahrung europäischer Datenschutzanforderungen mit Servicedienstleistungen und intelligenten Messsystemen. So lassen sich Verhaltensmuster von Bewohnern erkennen und vorhersagen. Kommt es zu auffälligen Abweichungen oder Problemen, wird eine Benachrichtigung an eine Betreuungsperson abgesetzt, wenn nötig auch ein Notruf.

Hoffmann spricht von „technisch assistiertem Wohnen“: einer intelligenten Alltagsassistenz, die Selbständigkeit, Sicherheit, Nachhaltigkeit und Komfort ermöglicht. Die verschiedenen kombinierbaren Services und Systeme sind nicht nur für ältere Menschen nützlich: In den Testwohnungen gibt es Heizungen, die sich an individuelle Bedürfnisse anpassen und die Energieeffizienz deutlich steigern. Schließfächer, in die sich Einkäufe und Post liefern lassen und elektronische Türschlosssysteme, mit denen auch in Abwesenheit Zutritt zur Wohnung gewährt werden kann. All das soll beliebig individualisierbar und von einer einzigen App aus steuerbar sein.

Katastrophen kommen sehen

von Vanessa Fatho

Wenn Wälder brennen oder Flüsse über die Ufer treten, sind die Schäden oft erheblich. KI kann dabei helfen, Naturkatastrophen vorherzusagen. Während des Katastrophenfalls kann sie als Entscheidungshilfe dienen und auch beim Wiederaufbau unterstützen. KI-Systeme werden häufig bei Überschwemmungen, Erdbeben oder Erdrutschen eingesetzt, sagt Monique Kuglitsch vom Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut in Berlin. Sie leitet die „Global Initiative on Resilience to Natural Hazards through AI Solutions” der Vereinten Nationen, die Standards für den Einsatz von KI im Katastrophenschutz entwickelt.

Monique Kuglitsch leitet eine UN-Initiative, die Richtlinien für den Einsatz von KI im Katastrophenschutz entwickelt.
Monique Kuglitsch leitet eine UN-Initiative, die Richtlinien für den Einsatz von KI im Katastrophenschutz entwickelt.Annette Koroll

Für die Katastrophenvorsorge werden KI-Systeme mit historischen Daten trainiert, darunter Satellitenbilder, Drohnenaufnahmen und Messwerte meteorologischer oder seismologischer Stationen. Sie sollen Umweltkatastrophen frühzeitig erkennen, aber auch die Beschaffenheit der kritischen Infrastruktur analysieren und abwägen, welche präventiven Maßnahmen getroffen werden können. In abgelegenen Regionen könnten KI-Systeme Satellitenbilder auswerten und Aufschluss darüber geben, ob zum Beispiel ein Waldbrand droht, sagt Kuglitsch.

Tritt eine Katastrophe ein, müssen Verantwortliche oft schnell Entscheidungen treffen. KI-Systeme können große Datenmenge auswerten, von Einsatzmeldungen und Sensordaten bis hin zu Beiträgen aus sozialen Medien, und so in wenigen Minuten die Basis für eine Lagebeurteilung liefern. Auch die Bedarfsermittlung von Einsatzkräften, die Verteilung von Hilfsgütern und die Kommunikation mit Betroffenen lassen sich durch KI vereinfachen. So werden in der Praxis bereits Chatbots genutzt, die Warnungen personalisieren und in verschiedene Sprachen übersetzen.

Um KI-Lösungen im Katastrophenschutz noch gezielter einsetzen zu können, brauche es Richtlinien zur Erklärbarkeit der Systeme und zu Entscheidungsprozessen, sagt Kuglitsch. „Man kann ein wirklich tolles Vorhersagesystem haben, aber jemand muss am Ende die Entscheidung treffen, ob ein Tal evakuiert wird oder nicht.“

Spaltung überwinden mit Technologie

von Laura Roban

Wie kann KI der Demokratie helfen und in einer polarisierten Gesellschaft Brücken schlagen? Diese Frage verhandelt das Projekt „Parallaxe“, durch das Menschen mit gegensätzlichen politischen Ansichten in einem Chat zusammengebracht werden sollen. Moderiert wird von einem Large-Language-Model, das Fakten verifiziert und sachliche Argumente in den Vordergrund rückt.

Die Idee zum Projekt entwickelte die Studentin Chantal Pisarzowski vor zwei Semestern in einem Seminar von Andreas Ingerl, Professor für Audiovisuelle Medien an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin mit einem Schwerpunkt auf KI. In ersten Tests schätzten die Nutzer, dass gleich zu Beginn Gemeinsamkeiten mit der Person hervorgehoben wurden, deren Standpunkte sich insgesamt stark von den eigenen unterscheiden. Ein Jahr später arbeitet Pisarzowski weiter an dem Projekt – nun in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut und dem Ziel, das Projekt einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Andreas Ingerl lehrt an der HTW Berlin im Studiengang Kommunikationsdesign.
Andreas Ingerl lehrt an der HTW Berlin im Studiengang Kommunikationsdesign.Alexander Rentsch

Es ist eine Suche nach den Chancen, die KI bietet. Doch für Ingerl zählt das Stichwort Dual Use: Keine Entwicklung führe uns gesellschaftlich in eine Utopie oder Dystopie. Ingerl ermutigt seine Studenten, stets zu hinterfragen, wie eine Technologie missbraucht werden könnte, und Anwendungsfälle zu schaffen für die Art und Weise, wie wir KI künftig nutzen werden. Ingerl nennt das „Zukunftsforschung“.

Sich für die Zukunft zu rüsten, heißt im Kommunikationsdesign, moderne Technologien anzunehmen. Wer das als junger Mensch tue, habe die „Chance, die Zukunft zu gestalten“, sagt Ingerl. Er möchte neue Denkweisen fördern – und kann sich vorstellen, dass Designer und Ingenieure künftig eine hybride Disziplin begründen. Eben eine, die auch Ideen gegen eine gesellschaftliche Spaltung technologisch weiterentwickelt.

Personalisierte Lernavatare: Lernen mit Köpfchen

von Caroline Becker

Als ChatGPT auf den Markt kam, merkte Pavle Madzirov gleich: Das ändert alles. Madzirov ist Schulleiter der Sekundar­schule Am Biegerpark in Duisburg. Die Schule ist Teil des Smart-School-Netzwerks des Digitalverbands Bitkom. Die Smart-Schools sollen anderen Schulen als Vorbild dienen und zeigen, wie digitale Bildung technisch und pädagogisch gelingt.

Pavle Madzirov, Schulleiter der Sekundarschule Am Biegerpark in Duisburg, sieht in Künstlicher Intelligenz eine große Chance für Schulen.
Pavle Madzirov, Schulleiter der Sekundarschule Am Biegerpark in Duisburg, sieht in Künstlicher Intelligenz eine große Chance für Schulen.Privat

Madzirov ist überzeugt: Die Chancen von KI überwiegen im Bildungsbereich klar. Zum ersten Mal könne man Kinder und Jugendliche wirklich individuell fördern. Mithilfe von KI erstellen er und seine Kollegen etwa auf die Hobbys und Interessen der jeweiligen Schüler abgestimmte Gedichte, Rechenaufgaben oder spielerische Lerninhalte. Die Digital Natives seien zwar wunderbar im Konsumieren, aber im vernünftigen und produktiven Umgang mit KI-Tools stünden sie meist genauso am Anfang wie viele Lehrkräfte oder Eltern. Hier seien Fortbildungen nötig – und zwar schnell, denn „was gestern war, ist heute schon überholt.“

Und wie sieht Schule in Zukunft aus? „Lernen wird ein höchst individueller Prozess sein“, sagt Madzirov. Mithilfe von personalisierten Lernavataren würden Kinder Wissen erwerben, in analogen Gruppengesprächen das soziale Miteinander erlernen. „Lehrkräfte wird es so nicht mehr geben.“ Die Lehrkräfte würden künftig nicht mehr Wissen lehren, sondern Lernwege begleiten, Jugendliche motivieren und Ergebnisse live tracken. KI, glaubt Madzirov, sei die größte Chance, um sich in der Schule wieder auf die Menschen zu fokussieren. „Der Frust wird einer Lernfreude weichen.“

Investitionen in digitale Schutzschilde

von Majd El-Safadi

Die Künstliche Intelligenz hat Henry Kissinger schlaflose Nächte bereitet. So weit gehen die Experten von der Denkfabrik „interface“ nicht. Aber: „Die KI ist ein verstärkender Faktor für die veränderte geopolitische Großwetterlage“, sagt Nicole Lemke. Die Entwicklungen im KI-Bereich würden die globale Unsicherheit spiegeln. Dabei sei KI zum Spielball der internationalen Politik geworden – gerade im Sicherheitsbereich.

Sven Herpig leitet den Bereich Cybersecurity Policy & Resilience bei der Denkfabrik interface.
Sven Herpig leitet den Bereich Cybersecurity Policy & Resilience bei der Denkfabrik interface.interface

Lemkes Kollege Sven Herpig sagt, dass die Digitalisierung in Armeen die Angriffsflächen vergrößerten: „Es bringt Verwundbarkeiten mit sich.“ Gleichwohl sieht er Chancen. Herpig nennt als Beispiele die moderne Flugabwehr bei Marineschiffen, Logistik, das Lagebewusstsein bei Soldaten (situational awareness), die Simulation militärischer Operationen. Es gehe darum, Effektivität zu steigern und Kollateralschäden zu minimieren. Dafür müsse man die „Datenqualität prüfen, robuste Algorithmen verwenden und IT-Systeme absichern“.

Lemke sagt: „Mit KI werden große Hoffnungen verbunden“, der Verteidigungsbereich sei da keine Ausnahme. Jüngstes Beispiel: Die Europäische Kommission investiert 20 Milliarden Euro in fünf KI-Gigafabriken. Europa soll ein KI-Kontinent werden – so das Ziel der EU-Initiative „InvestAI“.

Nicole Lemke ist Expertin für Künstliche Intelligenz und arbeitet als Senior Policy Researcher bei der Denkfabrik interface.
Nicole Lemke ist Expertin für Künstliche Intelligenz und arbeitet als Senior Policy Researcher bei der Denkfabrik interface.interface

„Die Europäer sind nicht schlecht aufgestellt. Sie haben beispielsweise gute Forschung“, sagt Lemke. Für Herpig besteht daher auch kein Kenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. Den USA und China gehe es um „schneller, härter, größer“. Die Vorteile der Europäer hingegen könnten sein: Datenqualität, Datenschutz und IT-Sicherheit. Doch die Achillesferse liege in der Cybersicherheit. Deshalb müssten die Europäer ihre KI-Anwendungen und Rechenzentren besser absichern. „Nicht imitieren, sondern Standards setzen“, fordert Herpig. „Es braucht eine Mischung aus Vision und Realismus.“

Eine „visuelle Ideenmaschine“ für bessere Bauten

von Andreas Cevatli

Ob Bauten und Städte nun von der KI entworfen werden, diese Frage muss der Architekt Nils Fischer zwar verneinen. Das Stadtbild bleibe menschengemacht, sagt der Direktor beim Architekturbüro Zaha Hadid Architects. Doch bereits heute helfe die Maschine dabei, „mathematisch ermittelte Idealbilder“ von Grundrissen zu errechnen, also: rare Flächen bestmöglich auszunutzen.

Und er muss es wissen: Sein Büro gilt in der Branche beim Einsatz technologischer Möglichkeiten in Entwurf und Formenfindung als führend. Wer in dem 36-stöckigem Glasmonolithen „The Henderson“ in Hongkong arbeitet, auf den scheint durch die von der KI ausgespuckten Nullen und Einsen mehr Sonnenlicht.

Ein Innenleben mit Tageslicht: das von Zaha Hadid Architects entworfene 36-stöckige Hochhaus "The Henderson" in Hongkong
Ein Innenleben mit Tageslicht: das von Zaha Hadid Architects entworfene 36-stöckige Hochhaus „The Henderson“ in HongkongVirgile Simon Bertrand

Sechs sogenannte inhouse-Systeme mit mehr als 100.000 eingespeisten Bildern lieferten den Architekten zudem auf Abfrage hin Hausfassaden, Innenräume oder Hochhausentwürfe; als „eine Art visuelle Ideenmaschine“ nutzen sie das maschinelle Lernen schon seit geraumer Zeit. Impulse aus mehr als 30 Jahren hauseigener Architektur seien somit auf Knopfdruck da, nötig sei dafür nicht mehr als eine Suchanfrage. „Das liefert dem Gestalter präzisere, schnellere und relevantere Informationen“, sagt Fischer.

Die Arbeit eines Architekten könne die KI „auf absehbare Zeit“ aber nicht ersetzen. Es gehe vielmehr darum, „den Entwurfsprozess zu unterstützen“. Und aus großen Datenmengen mit verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten die bestmögliche herauszufiltern. Für den Menschen bedeute das: bessere Bauten. Für den Architekten gehe mit der Nutzung von KI wiederum ein Zeitgewinn einher. Und wenn der Gutteil der immer wiederkehrenden Aufgaben entfällt, bleibt laut Fischer wieder mehr Zeit für das Wesentliche: die Architektur.

Source: faz.net