Bärbel Bas: Die neue Reizfigur

Die zuständige Ministerin hat zuletzt eher nicht geholfen, ihr eigenes Gesetz über die Hürde zu bringen, da sind sich die meisten Beteiligten einig. Nicht weil die Arbeitsministerin so eisern an dem Paket aus SPD-Haltelinie, CSU-Mütterrente und CDU-Zuverdienst festgehalten hätte, das war ihr Job und unter Sozialdemokraten Konsens. Sondern weil sie daneben mit klassenkämpferisch klingenden Tönen die Arbeitgeber attackierte und damit Zweifel weckte an der Glaubwürdigkeit ihrer Zusagen, im kommenden Jahr wirklich mit einer großen Rentenreform Ernst zu machen.

Für die Regierung ist es gerade noch mal gut gegangen. Das so lange umstrittene Rentenpaket ist beschlossene Sache, sogar mit eigener Mehrheit, selbst wenn sich die Linksfraktion nicht enthalten hätte. Womöglich hat die Aussicht, von Heidi Reichinnek und ihren Leuten abhängig zu sein, am Ende sogar mehr geholfen als das Agieren der eigenen Arbeitsministerin.

Begonnen hatte es mit einer Rede vor dem Arbeitgeberverband in der letzten Novemberwoche. „Wir finanzieren diese Haltelinie aus Steuermitteln. Sie belasten damit die Beitragszahler nicht“, hatte sie dort gesagt. Die Arbeitgeber lachten, weil sie dachten: Zahlen müssen wir es so oder so. Aber das hätte sich wohl versendet, wäre nicht Bas selbst ein paar Tage später darauf zurückgekommen, wieder in einer Rede, bloß vor einem ganz anderen Publikum: Auf dem Bundeskongress der Jungsozialisten kam sie auf die Episode zurück. „Für mich war dieser Arbeitgebertag ein Schlüsselerlebnis, weil mir da besonders deutlich geworden ist, gegen wen wir eigentlich gemeinsam kämpfen müssen.“

Also nicht: gegen Ausbeuter, Reiche, Kapitalisten. Sondern gegen Leute, die Arbeit geben, so war zumindest die Formulierung. Und das als Vorsitzende einer Arbeiterpartei. Die Entrüstung war entsprechend groß, die nun über sie hereinbrach. Seither fragt sich die halbe Republik, wie die Frau eigentlich tickt, die in der aktuellen Reformdebatte die zen­trale Rolle spielt.

Eine Klassenkämpferin ist sie nicht

Man kann darüber lange sprechen mit Parteifreunden der SPD, des christdemokratischen Koalitionspartners, der oppositionellen Grünen, mit Verbandsvertretern. Unter allen, die sich jenseits der öffentlichen Empörung halbwegs ernsthaft mit den Dingen beschäftigen, herrscht erstaunliche Einigkeit: Eine Klassenkämpferin ist sie nicht. Eher ist es demnach Unsicherheit, die sich in ihren Worten ausdrückt – die Analysen unterscheiden sich in den Gründen: ob aus mangelnder Erfahrung, der schwierigen Doppelrolle als Parteichefin und Ministerin, überbordenden Erwartungen, vielleicht auch allem zusammen.

Die Signale, die sie seit Amtsantritt ausgesandt hatte, waren ja schon zuvor durchaus widersprüchlich gewesen. Gleich zu Beginn hatte sie über „mafiöse Strukturen“ beim Bürgergeldbetrug geklagt. Gemeint waren vor allem Immobilienspekulanten im Ruhrgebiet, die ihre Häuser auf Staatskosten mit Roma-Familien belegten. Aber der Satz klang größer, fast schon im Sound des Agenda-Politikers Gerhard Schröder. Dann aber bezeichnete sie die Worte des aktuellen Kanzlers Merz, der deutsche Sozialstaat sei in seiner jetzigen Form nicht mehr finanzierbar, als „Bullshit“. Das klang dann wieder nach dem genauen Gegenteil.

Es folgte die SPD-Niederlage bei der nordrhein-westfälischen Kommunalwahl im September, die auch dem Bürgergeldmissbrauch geschuldet war. „Wir haben verstanden“, hieß es nun bei den Sozialdemokraten im Ruhrgebiet, und Bas veranstaltete eine entsprechende Konferenz im heimischen Duisburg. Das war wieder der Schröder-Sound. Bis jetzt die Arbeitgeberschelte kam.

Sie machte es anders als Merz

Einiges spricht dafür, dass sich Bas vor den Jusos auch hinreißen ließ. Es war kein Heimspiel für sie, schließlich hatte der Jugendverband gerade ein Mitgliederbegehren gegen ihre Bürgergeldreform gestartet. Sie war in einer ähnlichen Lage wie kurz zuvor der Kanzler auf dem Deutschlandtag der Jungen Union. Merz hatte sich für klare Kante entschieden, die SPD-Haltelinie gegen die eigene Parteijugend verteidigt. Manche meinten, er sei dabei nicht einfühlsam genug vorgegangen. Bas machte es anders, sie verteidigte zwar die CDU-Sanktionen beim Bürgergeld. Aber sie glaubte, der Parteijugend rhetorisch entgegenkommen zu müssen – nicht bedenkend, wie das dann nach außen wirkte.

Denn so stark, wie es nach außen eine Zeit lang wirkte, ist ihr Rückhalt in der Partei nicht. Als die Vorsitzenden auf dem Parteitag im Juni gewählt wurden, bekam sie als die Neue 95 Prozent, Vizekanzler Klingbeil bei seiner Wiederwahl nur 65 Prozent. Das sah vor allem nach einem Problem für Klingbeil aus, was es zweifellos war, aber es sollte sich auch zu einer Hypothek für Bas entwickeln.

Ihr gutes Ergebnis war vor allem dem Glauben geschuldet, im Vergleich zum geschmeidigen und machtbewussten Finanzminister vertrete die Frau vom linken Flügel die reine Lehre der Partei, unbeleckt von den Kompromisszwängen des praktischen Regierens. Ihren Spielraum als Ministerin engt das eher ein. Stünde sie jetzt zur Wiederwahl, nachdem sie ihren Gesetzentwurf zum Bürgergeld vorgelegt hat, schnitte sie auf einem Parteitag wohl deutlich schlechter ab, ihr Einsatz für die Rente hin oder her.

Bürgergeld und Rente sind zwei sehr verschiedene Themen

Dabei sind Bürgergeld und Rente aus SPD-Sicht durchaus zwei sehr verschiedene Themen. Beim Bürgergeld ist sich die Parteispitze einig, dass Änderungen auch mit Blick auf die Wünsche der eigenen Klientel nötig sind. Bei der Rente sieht das anders aus. Dass vor allem die Bezieher höherer Renten profitieren, wie Experten kritisieren, ist durchaus Programm:

Schließlich handelt es sich dabei vor allem um jene überwiegend männlichen Facharbeiter mit langen und kaum unterbrochenen Erwerbsbiographien, die einst zur Kernklientel der SPD gehörten. Gerade diejenigen Teile der Partei, die aus der SPD nicht das Sozialamt der Nation machen wollen, sind deshalb an einer solchen Rentenpolitik interessiert – auch wenn Bas lieber mit Geringverdienern argumentiert.

Mit dem weniger dankbaren Posten der Parteivorsitzenden sah es anders aus. Da lief alles auf sie zu, nachdem andere abgesagt hatten, vor allem die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger. Exekutive Erfahrungen, die sie auf das wichtige Ministeramt vorbereitet hätten, hatte Bas vorher nicht. Das eint sie allerdings mit vielen Mitgliedern des neuen Kabinetts bis hinauf zum Kanzler. Ob das ein beruhigender Umstand ist, sei dahingestellt.

Ist es ihr ernst mit der großen Rentenreform?

In den vergangenen Tagen hat Bas immer wieder betont, dass es ihr ernst ist mit der großen Rentenreform im kommenden Jahr, wenn die zuständige Kommission bis spätestens Juni ihre Vorschläge gemacht hat. Das sind neue Töne, zumindest was das Timing betrifft. Im vorigen Sommer hatte sie im Gespräch mit der F.A.S. noch anders geklungen. „Da geht es vor allem um die Zukunft: Was brauchen wir über die laufende Legislatur hinaus?“, sagte sie damals über die Rentenkommission. „Welche Pflöcke wir in dieser Regierung noch einschlagen können, werden wir sehen. Alles andere ist dann Sache der nächsten Regierung.“

Das sieht jetzt anders aus, zumindest wenn man nach den Absichtserklärungen geht. Was unter einer großen Rentenreform zu verstehen ist, darüber gehen die Ansichten allerdings weit auseinander. Von einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit ist im Papier des Koalitionsausschusses von Ende November die Rede, vorzugsweise für Versicherte mit höhren Bildungsabschlüssen, die spät ins Erwerbsleben eingetreten sind. Aber auch die „Einbeziehung weiterer Einkunftsarten“ und die „Einbeziehung weiterer Gruppen“ in die gesetzliche Rentenversicherung kommt dort vor, sprich: Auch Beiträge auf Kapitaleinkünfte oder ein Abschmelzen des Beamtenstatus stehen aus Bas’ Sicht wieder auf der Agenda.

Wenn man Bas richtig versteht, findet sie die Lage der Rentenversicherung auch nicht so dramatisch. Nach den jetzigen Berechnungen werde der Beitrag auch im Jahr 2040 auf nicht mehr als 21,4 Prozent steigen, das sei immer noch weniger als in Österreich, heißt es aus ihrem Haus – allerdings unter der Voraussetzung, dass die Steuerzuschüsse weiter fließen wie jetzt beschlossen.

Sie findet die Lage nicht so dramatisch

Befürwortern einer großen Rentenreform macht auch der Wahlkalender große Sorgen. Im März und September kommenden Jahres sind wichtige Landtagswahlen. In Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern kämpfen Alexander Schweitzer und Manuela Schwesig um ihr Amt, in der einstigen Hochburg Berlin steht die SPD in Umfragen zurzeit auf Platz fünf. Es ist schwer vorstellbar, dass die Durchsetzungsfähigkeit einer Parteivorsitzenden unter solchen Niederlagen nicht litte. Und wenn in Sachsen-Anhalt die Rechtspopulisten vorne liegen, die lauthals nach einem Rentenniveau von 70 Prozent rufen, macht das mögliche Einschnitte nicht eben wahrscheinlicher – zumal wenn die Sozialdemokraten womöglich gar nicht mehr in den Landtag kommen.

Vor ein paar Tagen empfing Bas’ Ko-Vorsitzender Klingbeil die großen Wirtschaftsverbände im Finanzministerium. Über die Arbeitgeberschelte der Arbeitsministerin sei nicht gesprochen worden, versichern Beteiligte. Dafür umso mehr über konstruktive Zusammenarbeit und eine gemeinsame Reformagenda für Deutschland. „Es besteht große Einigkeit darüber, dass eine starke Sozialpartnerschaft und ein gutes Zusammenspiel von Politik und Wirtschaft unerlässlich sind. Denn die großen aktuellen wirtschaftlichen Aufgaben können nur im Zusammenspiel bewältigt werden“, hieß es anschließend aus dem Finanzministerium.

Das darf man durchaus als Kommentar zur Bas-Debatte verstehen.