Kohlekraft in Indien: Indien könnte Klimaziel torpedieren

Die indische Regierung erwägt laut einem Bericht, anders als bisher geplant mindestens bis zum Jahr 2047 neue Kohlekraftwerke zu bauen. Das berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Verweis auf mit den Überlegungen befassten Personen. Die Pläne würden demnach zwischen dem Energieministerium und der faktischen Planungskommission NITI Aayog (National Institution for Transforming India) diskutiert, eine Art Denkfabrik innerhalb der Regierung. Den Angaben zufolge sollen bald indische Industrieführer über den verlängerten Kraftwerksbau informiert werden, da die Berechnungen abgeschlossen seien. Die Regierung hat den Bericht bisher nicht kommentiert.

Eigentlich hatte Indien geplant, vom Jahr 2035 an in der Summe keine neuen Kohlekraftwerke zu errichten. So soll das von Ministerpräsident Narendra Modi ausgegebene Ziel erreicht werden, bis 2070 klimaneutral zu werden, also unter dem Strich kein zusätzliches Kohlendioxid mehr auszustoßen. Das Land ist nach China und den USA der drittgrößte Emittent von Kohlendioxid. Zwar liegt der Ausstoß je Einwohner in Indien nur bei einem Viertel des Wertes für China und Europa. Doch Wissenschaftler warnen, dass Klimaziele mit den Kraftwerksplänen nicht zu halten seien. Der Subkontinent könnte für seinen geplanten Aufstieg zum Industrieland bis zum einhundertsten Jahrestag der Unabhängigkeit vom britischen Empire so viel Kohle verbrauchen wie China.

Plan könnte Strom verteuern

„Das wäre ein Desaster für den internationalen Klimaschutz“, kommentierte Klimaforscher Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel den Bericht gegenüber der F.A.Z. „Setzt das Land seine Pläne um, würde die globale Erwärmung sogar die Drei-Grad-Marke überschreiten können“, sagte Latif. „Die Auswirkungen eines solchen Temperaturanstiegs wären nicht beherrschbar.“ Gerade Indien wäre „außergewöhnlich stark“ betroffen.

Der Klimaforscher Pao-Yu Oei von der Europa-Universität Flensburg sagte der F.A.Z., dass ein stärkerer Ausbau der Kohlekraftwerke in Indien bis 2047 „die nationalen und internationalen Klimaziele gefährdet und zusätzliche globale Kosten der Klimakrise riskiert“. Zusätzlich führe der Plan perspektivisch auch zu höheren Stromkosten in Indien, da die alternative Stromerzeugung durch erneuerbare Energien in Kombination mit Stromspeichern „die günstigere Energieversorgung“ sei.

Eigentlich hatte sich Indiens Regierungschef Modi in den vergangenen Jahren auf der Weltbühne gerne als Klimaschützer präsentiert. Auf der Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Dubai Ende 2023 hatte er verkündet, dass „die ganze Welt auf uns schaut“, und als Losung ausgegeben, dass „Mutter Erde von uns erwartet, ihre Zukunft zu schützen“. Doch seit dem Wahlsieg Donald Trumps in den USA und der Absage des amerikanischen Präsidenten an den Klimaschutz ist auch in Indien die Überzeugung gereift, dass Energiesicherheit auf mittlere Sicht doch wichtiger sei als die Erderwärmung.

Indien nähert sich Chinas Tempo an

Dem Bloomberg-Bericht zufolge soll die Kapazität der Kohlekraftwerke bis 2047 um 87 Prozent auf 420 Gigawatt ausgebaut werden. Bisher war stets davon die Rede gewesen, die Kapazität bis 2035 um 45 Prozent zu erhöhen und dann unter dem Strich keine neue Kapazität mehr zu schaffen. Das war als notwendig angesehen worden, um die angestrebte Klimaneutralität bis 2070 zu erreichen. Weil Indien jedoch rund 85 Prozent der verbrauchten Kohle im Land selbst fördert und gerade mal 15 Prozent aus Indonesien, Südafrika und den USA importiert, soll Regierungschef Modi die Energiequelle als verlässlicher ansehen als den Ausbau von erneuerbaren Energien.

Diese baut Indien im ganzen Land eigentlich seit Jahren massiv aus. Zwar wird der Energiekonsum bisher gerade mal zu etwa drei Prozent aus Sonne, Wind und Wasserkraft gedeckt. Doch Klimaschützer haben das Tempo des Ausbaus gelobt, wenngleich sie auch gemahnt haben, dass dieses weiter steigen müsse. Seit Modi vor gut einem Jahrzehnt an die Macht kam, ist nicht nur die Zahl der Windkraftanlagen und Solarparks, sondern auch der Kohlekraftwerke stark gestiegen. Die unter der Ägide des Regierungschefs neu gebaute Kapazität beträgt laut der Seite „Global Coal Plant Tracker“ über 500 Gigawatt – so viel wie die Kapazität an Erneuerbaren, die bis 2030 kommen soll. Derzeit liegt noch China beim Neubau von Kohlekraftwerken vorne. Indien jedoch nähert sich dem Tempo an – und könnte bald schon überholen, sollte Neu Delhi seine Ausbaupläne umsetzen.