„We Are Charlie Kirk“ uff Platz 1 zusammen mit Spotify: Wer war’s?
Rechtsextreme Propaganda im Pop-Gewand verbreitet sich dank KI rasant. Was sagt das über unsere Gesellschaft, wenn Songs über Massenabschiebungen viral gehen?
Donald Trump und seine Frau Melania Trump, lauschen dem Song „We Are Charlie Kirk“
Screenshot: ViVO tunes/Youtube
Eine blonde Sängerin betritt die Bühne, hinter ihr ein Streichorchester. Der andächtig nachtblau beleuchtete Konzertsaal ist ruhig. Die etlichen Menschen im Publikum – es scheinen Tausende zu sein – halten je eine Kerze in der Hand. Ganz vorn sitzen Promis: Donald Trump und seine Frau Melania. Dann setzt Erika Kirk mit wässrigen Augen zur Strophe an: „Er stand unerschütterlich da, eine Stimme im Sturm.“
So beginnt das Video zu dem Song We Are Charlie Kirk, einer musikalischen Erinnerung an den jüngst bei einem Attentat ermordeten US-Rechtsextremisten und Vertrauten Donald Trumps. Nur: Nichts davon hat stattgefunden. Die beschriebenen Szenen stammen aus einem KI-generierten Musikvideo zu einem mutmaßlich ebenfalls KI-generierten Song.
Im „Original“ dröhnt eine synthetische Männerstimme, als Interpret ist das Pseudonym „Spalexma“ angegeben. Wer dahintersteckt, weiß niemand so genau. Trotzdem steht der dramatische Nachruf auf einen toten Rechtsextremen beim Streamingdienst Spotify derzeit auf Platz 1 der Plattform-eigenen weltweiten „Viral Charts“.
Abschiebefantasien im Pop
Es ist bei Weitem nicht das erste Mal, dass KI-generierte Songs mit rechtsextremen Inhalten bei einem großen Publikum gut ankommen. Im September vergangenen Jahres fand ein Video Verbreitung, in dem blonde, blauäugige Stewardessen massenhafte Abschiebungen per Flugzeug feiern. Zu einer Melodie aus dem 2009er Partyhit Das geht ab! des Ballermann-Duos Die Atzen singt eine Stimme: „Hey, jetzt geht’s ab, wir schieben sie alle ab.“ Im vergangenen Jahr soll das Lied bei einer AfD-Wahlparty in Brandenburg begeistert gesungen worden sein. Die Atzen distanzierten sich davon, der Grünen-Politiker Volker Beck erstattete Anzeige wegen Volksverhetzung.
Auch im europäischen Ausland kommen fremdenfeindliche KI-Songs gut an. Im November 2025 landete ein Song auf Platz 5 der niederländischen Single-Charts, dessen Titel sich in etwa so übersetzen ließe: „Wir sagen Nein, Nein, Nein zum Asylbewerberheim“.
Im Sommer 2024 zirkulierte in Frankreich ein Dance-Track mit dem Titel Je partira pas („Ich werde nicht gehen“), in dem folgende Zeilen vorkommen: „Du wirst mit deiner Fatma gehen, für dich ist das RSA vorbei, das Boot wartet nicht, glaub mir, du wirst gehen.“ Das Revenu de solidarité active, kurz RSA, ist eine französische Sozialleistung für Geringverdienende und Arbeitslose. Neben dem Namen Fatma kommen noch weitere Anspielungen in dem Song vor, die wenig Zweifel daran lassen, dass sich vor allem muslimische Menschen von den Abschiebefantasien angesprochen fühlen sollen.
KI: Ein Segen für Neonazis?
Generative Künstliche Intelligenz scheint ein Segen für Neonazis aller Couleur zu sein. Bildgenerierende Modelle ermöglichen es, Realitäten darzustellen, die es so nie gegeben hat – etwa eine USA mit ausschließlich weißen Menschen. Und KI-„Künstler*innen“ brauchen kein Label und keine Konzertagentur. Oft, wie im Fall von „Spalexma“, gibt es nicht mal eine eindeutige Urheberschaft, die für den Inhalt verantwortlich gemacht werden könnte.
Während Songs wie We Are Charlie Kirk ihren rechten Gestus geschickt verundeutlichen und daher auf den meisten Plattformen bleiben, ist Je partira pas etwa auf Spotify nicht mehr aufzurufen. Für die massenhafte Verbreitung spielt das aber eine nebensächliche Rolle. Kaum ist ein Song irgendwo blockiert, taucht er auf einer anderen Plattform wieder auf oder kann als minimal veränderter Remix am selben Ort wiederveröffentlicht werden.
Bleibt zu fragen, in was für Gesellschaften Partysongs über Massenabschiebungen in Chartnähe gelangen können und ein Duo namens Die Atzen politisch erhaben wirkt. Wer diese Frage allein in Richtung KI richten will, wird aus der Antwort nichts lernen.