Wirtschaft dieser Liebe: „Ich date vereinigen Hetero-Mann, und dasjenige ist nicht peinlich“

Eigentlich sei es nichts anderes als ein Online-Katalog, meinte meine Freundin. „Du gibst an, was genau du suchst, die App macht dir Angebote, du wählst aus, was dir gefällt und probierst dich dann durch.“ Es ging um Tinder – nicht um Zalando.

Die Aussage meiner Freundin war als Witz gemeint, der schon damals 2018 zu nah an der Realität war. Denn die Art, wie wir daten und Beziehungen führen, hat sich tatsächlich wieder einer wirtschaftlichen Logik unterworfen. Also genau dem, wovon uns der Feminismus unter anderem eigentlich einmal hatte befreien wollen.

Für unsere Großmütter war die Entscheidung, wen sie heiraten, immer auch eine ökonomische. Frauen heirateten noch im 20. Jahrhundert, weil es wirtschaftlich für sie notwendig war. Heute sieht die „Ökonomie der Liebe“ natürlich etwas anders aus. Wir gründen mit unseren Partner:innen keine Wirtschaftsgemeinschaft mehr im klassischen Sinne. Stattdessen behandeln wir unsere Beziehungen selbst, als wäre sie ein konstanter Tauschhandel: Du gibst mir Wäschewaschen, ich gebe dir dafür Geschirrspülen – klingt irgendwie wieder nach Vernunftehe. Und potenzielle Partner:innen sind nur noch austauschbare Konsumartikel. Stört etwas an der jetzigen, gibt es sicher eine, die besser passt.

Immer Ausschau halten. Am besten auf Vergleichsportalen.

Die Sprache der Liebe ist heute eine Sprache der Ökonomie

Ziemlich deutlich zeigt sich das in der Sprache: Wir „investieren“ in eine Beziehung, machen „Beziehungsarbeit“, suchen eine:n neue:n Partner:in auf einer „Partnerbörse“ und vergleichen konstant den „Gap“ zwischen unserer emotionalen „Sorgearbeit“ und der unserer Partner:innen. Etwas, das die Soziologin Eva Illouz übrigens schon vor über 20 Jahren beschrieb. In dieser ganzen Bilanzkalkulation wird immer deutlicher, dass die „Rendite“, die Frauen in heterosexuellen Beziehungen bekommen, für die wenigsten von ihnen aufgeht.

Ein Mann an der Seite einer Frau ist ein so schlechtes und risikoreiches „Investment“, dass die Vogue befand, es sei schon peinlich, den Partner in den Sozialen Medien zu zeigen.

Wirtschaftlich bilanziert, würde das sogar stimmen: Verheiratete Frauen mit Kindern machen die unglücklichste, kinderlose Single-Frauen die glücklichste Kohorte in der Bevölkerung aus. Währenddessen leben verheiratete Männer gesünder und länger als unverheiratete, weil sich deren Partnerinnen um ihre Gesundheit kümmern und sie emotional stabilisieren.

Ja, es gibt Risiken in Hetero-Beziehungen

Alleinerziehende berichten immer wieder, dass sie weniger Arbeit mit Haushalt und Kindererziehung haben, seit sie dem Ex nicht auch noch hinterherräumen müssen, denn Frauen in heterosexuellen Beziehungen übernehmen immer noch den Großteil der Sorge- und Hausarbeit. Frauen geben also so viel mehr in eine Beziehung, dass sich einige die „Mehrarbeit“ am Mann, nach der Trennung auszahlen lassen. Wortwörtlich.

Gleichzeitig ist für eine Frau wenig so riskant, wie eine heterosexuelle Beziehung einzugehen: Einer der gefährlichsten Menschen für eine Frau ist ihr Partner oder Ex-Partner. Während Männer von Partnerschaften „profitieren“, sind sie für Frauen ein „Hochrisiko-Investment“, bei dem sie regelmäßig „verlieren“.

All das stimmt. Und obwohl ich das weiß, bin auch ich in einer Partnerschaft mit einem Mann. Würden wir unsere „Leistungen“ aufrechnen, käme sicherlich auch bei uns heraus, dass ich bisher mehr Sorgearbeit übernommen habe. Dabei können wir uns noch so sehr darum bemühen, sie gleichmäßig aufzuteilen. Mein Partner streitet das auch gar nicht ab. Viele Männer sind sich inzwischen durchaus darüber bewusst, dass sie von einer Beziehung mehr „profitieren“ als ihre Partnerinnen und problematisieren das auch.

Trotzdem Männer daten

Kennengelernt haben wir uns nicht über eine App, sondern eher altmodisch, auf dem Geburtstag einer gemeinsamen Freundin. Wir wussten kaum etwas übereinander, konnten uns also wirklich kennenlernen, etwas, das eine gezielte Suche nach einem passenden Tinder-Profil unmöglich macht. Fraglich ist auch immer noch, ob ich bei jemandem, der als Hobbys „Schwimmen“ (langweilig) und „Joggen“ (langweilig, aber wenigstens mit Kopfhörern) angegeben hätte, in die richtige Richtung geswipt hätte.

Wäre ich der Logik einer Dating-App gefolgt, die mir auf meine Suche das passende „Produkt“ anbietet, hätten wir uns eventuell nie getroffen. Denn diese Herangehensweise nimmt dem „Sichverlieben“ seinen essenziellsten Teil: Spontanität, Neugier und Überraschung.

Meistens verlieben wir uns gar nicht in jemanden, von dem wir glauben, dass sie oder er zu uns passt, sondern gerade in jemanden, der uns neugierig macht. Jemanden, den wir Stück für Stück kennenlernen können oder bei der wir immer wieder neue Seiten entdecken, die überraschen, jemand, der oder die sich mit uns verändert. Wenn ich in der App aber nur nach etwas in meiner Vorstellung „Passendem“ suche, verschwindet genau dieser Überraschungseffekt.

Was sich nicht messen lässt

Dass eine ökonomische Logik unsere Beziehungen durchzieht, lässt sich in einer kapitalistischen Gesellschaft kaum vermeiden. Ehegatten-Splitting, Hauptverdiener und Sorgearbeit: Unsere Beziehungen sind eng mit der Wirtschaft verflochten, das ist klar. Mit dem Ergebnis, dass Beziehungen, die stabil sind und auf echter Verbundenheit beruhen, schwieriger zu erreichen sind. Und mit dem Ergebnis, dass wir unsere Beziehungen mit dem Wandel der Wirtschaft auch wandeln: Derzeit „algorithmisieren“ wir sie, fragen also, welche:r Partner:in gerade am besten zu unseren aktuellen Vorlieben passt. Und ob wir derzeit profitieren oder „reingeben“.

Für die Graphic-Novel-Autorin Liv Strömquist ist das eine direkte Folge des Zwangs zur konstanten Selbstoptimierung in einer hoch individualisierten Gesellschaft. Wer ständig damit beschäftigt sei, an sich zu arbeiten, verliere die Fähigkeit, sich auf eine andere Person einzulassen. Klar, wenn ich mich selbst optimieren kann, kann ich auch meine Beziehung optimieren. Anstatt zueinanderzufinden und Gemeinsamkeit zu schaffen, soll ein:e potentielle:r Partner:in perfekt die Lücke ausfüllen, die für sie freigemacht wurde. Tut sie das nicht, verspricht die App ein besseres Angebot zwei Kilometer entfernt.

Dabei verliebt sich kaum jemand in eine Gleichung, die auf Anhieb perfekt aufgeht. Was Liebe ausmacht, ist, dass sie eben nicht berechenbar und keine Zweckgemeinschaft ist.

Ich habe mich bestimmt nicht in meinen Partner verliebt, weil er den Abwasch übernimmt, wenn ich vorher gekocht habe. Was eine romantische Beziehung tatsächlich aus- und besonders macht, sind Dinge, die sich nicht mathematisch berechnen und gegeneinander aufwiegen lassen: Nähe, Geborgenheit und emotionale Bindung. Und deshalb ziehe ich, auch wenn ich nach einer ökonomischen Rechnung wahrscheinlich mehr Sorgearbeit leiste als mein Partner, durchaus „Gewinn“ aus unserer Beziehung. Der lässt sich in einer Bilanz nur nicht quantifizieren.