Israels Regierungschef: Kann Netanjahu gar begnadigt werden?

An diesem Dienstag wird Benjamin Netanjahu nicht vor Gericht erscheinen. Die Richter in seinem Korruptionsprozess gaben der Bitte statt, die Aussage des Hauptangeklagten ein weiteres Mal ausfallen zu lassen wegen „diplomatischer und Sicherheitsangelegenheiten“. Viel mehr als die fortgesetzten Verzögerungen beschäftigte viele Israelis am Montag aber die Frage, ob der Prozess bald womöglich ganz enden wird – ohne dass es zu einem Urteil gekommen ist.
Netanjahus Bitte um Begnadigung durch Staatspräsident Izchak Herzog, die am Sonntag publik wurde, ruft offenbar eine ähnliche Polarisierung hervor, wie sie in der Bevölkerung ohnehin herrscht, wenn es um den 76 Jahre alten Politiker geht. In einer Blitzumfrage, die der Sender Kan am Montagmorgen veröffentlichte, lehnten 43 Prozent der Befragten eine Begnadigung ab, während 38 Prozent dafür waren.
Etwa 200 Gegner des Schritts demonstrierten am Sonntagabend vor Herzogs Haus in Tel Aviv, unter anderem mit der Parole „Nur die Schuldigen bitten um Gnade“. Das zielte nicht zuletzt darauf, dass Netanjahu am Sonntag noch einmal explizit klargemacht hatte, dass er sich weiter als das Opfer einer politisierten Justiz sieht und nicht vorhat, ein Schuldeingeständnis abzugeben.
In der Vorbereitung der Anklage gegen ihn seien „schwere Verbrechen“ verübt worden, behauptete er in einer Videoansprache. Nur mit Blick auf „das nationale Interesse“ sei er überhaupt bereit, sich begnadigen zu lassen – nicht etwa, weil er den Prozess nicht bis zum Ende führen wolle.
Herzog will das Gesuch „höchst korrekt und präzise“ behandeln
Seither wird die Frage diskutiert, ob unter solchen Umständen überhaupt eine Begnadigung möglich ist. Manche Rechtsexperten argumentieren, die im Grundgesetz verankerte Begnadigung durch den Präsidenten könne es nur nach einer Verurteilung geben, mindestens aber nach einem Schuldeingeständnis. In diesem Zusammenhang wird oft auf die sogenannte Bus-300-Affäre verwiesen. 1984 hatten israelische Sicherheitskräfte einen Bus gestürmt, den vier Palästinenser entführt hatten. Auf Befehl des Direktors des Inlandsgeheimdienstes brachten Schin-Bet-Agenten die beiden überlebenden Entführer an einen abgelegenen Ort und prügelten sie zu Tode.
Ungeachtet von Verschleierungsversuchen kam der Vorfall jedoch an die Öffentlichkeit. Der Direktor und weitere Beteiligte wurden schließlich vom damaligen Präsidenten Chaim Herzog – dem Vater des jetzigen Staatschefs – begnadigt, bevor es zum Prozess kam. Allerdings bestanden keine Zweifel an ihrer Schuld, anders als im Fall Netanjahus. Zudem trat der Schin-Bet-Direktor zurück.
Solche Überlegungen gibt es auch jetzt. Manche Oppositionspolitiker werben dafür, Netanjahu zu begnadigen, wenn dieser sich aus der Politik zurückziehe. Auch Herzog könnte Netanjahu eine Begnadigung unter bestimmten Bedingungen anbieten. In israelischen Medienberichten heißt es, der Präsident erwäge ein solches Szenario. Herzogs Büro wies solche Berichte zurück: Der Präsident habe sich noch nicht mit der Frage befasst. Er warte die Ausführungen der Rechtsabteilungen im Justizministerium und im Präsidialamt ab.
Es erscheint indessen unwahrscheinlich, dass Herzog, der in der Vergangenheit für eine Vereinbarung zwischen Netanjahu und der Staatsanwaltschaft geworben und auch eine Begnadigung ins Spiel gebracht hatte, sich noch nicht mit dem Thema beschäftigt haben soll. Am Montag sagte Herzog, er werde die Sache „höchst korrekt und präzise“ handhaben und „nur das Wohl des Staates und der israelischen Gesellschaft“ im Blick haben.
Source: faz.net