Windpark-Projekte: Die Furcht vor dieser Flaute

Die Nordsee ist ein idealer Standort zur Stromerzeugung. Der Wind bläst stark und recht konstant, das Wasser ist nicht allzu tief. Milliardensummen zahlten Energieunternehmen, um neue Flächen für Windparks auf dem Meer zu ersteigern. Im Sommer 2023 zahlten BP und Totalenergies stolze 12,6 Milliarden Euro für den Zugriff auf zwei riesige Windparkflächen in der Nord- und Ostsee. Diesen Sommer war alles anders. Die Auktion für neue Windparks vor den deutschen Küsten floppte, es fand sich kein einziger Bieter.

Auch in Großbritannien, Dänemark, den Niederlanden und Belgien fanden Auktionen für neue Offshore-Windparks kaum Interesse. Und auch in vielen Ländern Asiens stockt der Ausbau. Beispielsweise hat Mitsubishi große Projekte in Japan storniert. In den USA legt sich die Trump-Regierung quer, dort ist der große Offshore-Ausbau praktisch tot, sagen Fachleute. Erst in der vergangenen Wo­che kündigte der weltgrößte Windparkentwickler Ørsted an, vorerst keine neuen Projekte vor der US-Küste mehr zu entwickeln. RWE hat sämtliche Arbeiten für Offshore-Windparks in Amerika eingefroren. Equinor kämpft noch darum, genehmigte Projekte fertigzustellen.

Hohe Kosten fressen die Gewinne auf

Die Windbranche ist in Aufruhr. „Es ist ein globales Phänomen“, sagt Søren Lassen, Leiter der Abteilung für Windenergie bei der Energieunternehmensberatung Wood Mackenzie. Mit Ausnahme von China würden fast überall geplante Projekte gestoppt oder verkleinert. Das wird zu ei­nem „Kollaps“ der Bautätigkeit in zwei bis drei Jahren führen, sagt Lassen. Die Börsenreaktionen bleiben nicht aus. So wurde Ørsted, der Weltmarktführer unter den Entwicklern, auf dem Höhepunkt Anfang 2021 auf mehr als 100 Milliarden Euro taxiert. Heute ist das dänische Unternehmen 80 Prozent weniger wert.

Der Ausbau der Offshore-Windenergie wird daher in den nächsten Jahren deutlich langsamer vorangehen als geplant. Die Internationale Energieagentur (IEA) hat vor Kurzem ihre Prognosen deutlich gesenkt. Derzeit sind etwa 50 Gigawatt (GW) Kapazität auf den Meeren installiert. Statt eines Ausbaus bis auf 214 Gigawatt erwartet die IEA jetzt nur noch 140 Gigawatt bis 2030. Als Daumenregel heißt es, dass ein Gigawatt installierte Leistung in etwa ausreicht, um eine Million Haushalte mit elektrischem Strom zu versorgen – falls der Wind konstant bläst. Durch die Probleme der Offshore-Windenergiebranche wackelt also ein bedeutender Pfeiler der Energiewendebemühungen.

Ein ganzes Bündel an Faktoren hat zu der Krise geführt. „Die Einnahmenseite der Projekte hat einen Schlag abbekommen, und noch mehr ist die Kostenseite betroffen“, sagt Lassen. Höhere Zinsen, gestiegene Kosten für Rohstoffe wie Stahl, dann drastische Lieferkettenengpässe – all das hat den Unternehmen, die Wind­räder auf den Meeren installieren wollen, einen Strich durch die Rechnung gemacht. Windenergieexperte Lassen schätzt, dass die Kosten seit dem Ende der Corona-Krise um 30 bis 40 Prozent gestiegen sind. „Dadurch sind die Gewinnspannen stark geschrumpft.“ Weil viele Unternehmen fürchten, gar keinen Gewinn mehr zu machen, werden Projekte abgesagt.

Vom zweistelligen Milliarden-Erlös zur Auktion ohne Bieter

Das Geschäftsmodell für Windparkentwickler und -betreiber ist schnell erklärt: Nach großen Anfangsinvestitionen in Flächen, Turbinen und Verkabelung ver­kaufen die Entwickler die Windparks. Es folgen lange Jahre der kontinuierlichen Einnahmen durch den Verkauf des erzeugten Stroms. Selbst kleine Veränderungen in den lang laufenden Kosten- und Erlösstrukturen machen sich aber drastisch bemerkbar. Groß war in Deutschland daher das Aufsehen, als erstmals auf Subventionen verzichtet wurde.

2017 ersteigerte der süddeutsche Stromkonzern ENBW die Fläche für den Windpark „He Dreiht“ westlich von Helgoland. Diese Woche wurde die erste Windkraftan­lage ans Netz angeschlossen, das Neueste, was Weltmarktführer Vestas im Angebot hat, mit einem Rotordurchmesser von 236 Metern. „Eine einzige Rotorumdrehung der 15-Megawatt-Anlage reicht aus, um rechnerisch vier Haushalte für einen Tag mit Strom zu versorgen“, vermeldet ENBW anlässlich dieses Meilensteins. Bis zum nächsten Sommer sollen alle 64 Windräder angeschlossen sein. Abnehmer werden in diesem Fall Großkunden wie DHL, Fraport oder Bosch sein, die mit ENBW langfristige Verträge, sogenannte Power Purchase Agreements, geschlossen haben, um ihrerseits einen sicheren Lieferanten für grünen Strom zu haben.

Seit diesem ersten Auktionsgewinn für einen Windpark ohne Subventionen gab es eine regelrechte Achterbahnfahrt im Offshore-Geschäft in Deutschland. Im Sommer 2023 erlöst der Bund sogar einen zweistelligen Milliarden-Eurobetrag mit der Versteigerung von Windparkflächen für insgesamt 7 Gigawatt Kapazität. Nur zwei Jahre später gab es lange Ge­sichter – kein einziges Gebot mehr für die Auktion im August 2025.

Sind die Konditionen zu schlecht?

Von einem „Scheitern mit Ansage“ sprach Stefan Thimm, Geschäftsführer des Bundesverbands Windenergie Offshore (BWO), denn die Unternehmen bekämen ständig weitere Risiken aufgebürdet. Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) führte das Scheitern auf schlechtere geologische Bedingungen zurück. Zudem seien Kunden bei Stromabnahmeverträgen in Zeiten von Negativpreisen nicht mehr bereit, diese zu erfüllen, was den gesamten Finanzierungsplan eines Projekts infrage stelle. „Es wäre sicherlich gut, wenn die Bundesnetzagentur einen Blick über den Kanal wirft und gegebenenfalls die Ausschreibungsbedingungen anpasst“, sagte Reiche.

In Großbritannien wollten die Unternehmen zu den gebotenen Konditionen nicht mehr zugreifen. Die Londoner Regierung ist ein Pionier der „Contracts for Difference“ (CfD). Dies ist eine umgekehrte Auktion, bei der jener Anbieter den Zuschlag bekommt, der bereit ist, die erzeugte Energie zum niedrigsten Festpreis zu verkaufen. Das soll für die Stromkunden den bestmöglichen Preis sichern. Die CfD-Verträge sichern zugleich die Inves­toren gegen den möglichen Verfall der Strompreise ab und garantieren Mindesteinnahmen. Steigt der Strompreis über eine bestimmte Schwelle, werden höhere Erlöse abgeschöpft.

Neue Verträge verbessern, ohne ältere zu verschlechtern

Nun wird auch in Deutschland intensiv über das „Ausschreibungsdesign“ für die Windauktionen debattiert. Ministerin Reiche denkt über eine Einführung von Contracts for Difference nach. Auch quali­tative Kriterien könnten stärker berück­sichtigt werden, etwa eine systemdienliche Einbindung der Projekte ins Stromnetz oder eine besonders umweltverträgliche Errichtung. Je nach Gestaltung der Verträge können diese letztlich wieder einer Subvention gleichkommen – was zwangsläufig Widerspruch provoziert. Zum Beispiel bei jenen, die schon im Geschäft sind und ältere, ungünstigere Verträge abgeschlossen haben. Stefan Kansy, Offshore-Verantwortlicher bei Totalenergies in Paris, warnt, es dürfe durch Förderinstrumente für zukünftige Windparks nicht zu einer Verschlechterung des Geschäftsmodells für bereits zugeschlagene Parks kommen.

Totalenergies ist in Deutschland groß im Geschäft. Allein in der Milliarden-Auktion von 2023 hat der französische Konzern zwei Windparks mit insgesamt 3 GW ersteigert. Nun teilte das Unternehmen vor wenigen Tagen mit, dass die Geneh­migungsunterlagen dafür eingereicht worden seien. Umweltverträglichkeitsprüfung, Schutz- und Sicherheitskonzept und die Verteilung der Windräder und Kabel wurden dem Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie in Hamburg übergeben.

Sorge vor erneutem „Fadenriss“

Das Amt hat nun wiederum bis anderthalb Jahre Zeit für die Planfeststellungsbeschlüsse. Eines der Themen für das Amt ist das Kollisionsrisiko von Zugvögeln – weshalb eine industriefinanzierte Studie des BWO diese Woche genau rechtzeitig kommt. Demnach sind die Zugvögel fast durchweg schlau genug, Windanlagen zu meiden.

Unterdessen versuchen die beteiligten Branchen gemeinsam mit der Politik, die Möglichkeiten eines geänderten Ausschreibungsdesigns abzustecken. Die Furcht: Ohne Änderung könnte es einen „Fadenriss“ geben wie Mitte der 2010er-Jahre. Weil damals wegen regulatorischer Hürden das Interesse der Investoren nachließ, gingen viele Firmen in die Insolvenz oder mussten ihr Portfolio komplett umstellen, was die Lieferketten brüchig werden ließ und auch einen erheblichen Kompetenzverlust bedeutete. Allein im Jahr 2017 kam es in der deutschen Windkraftbranche zu einem Abbau von 26.000 Ar­beitsplätzen.

Erste Zeichen, dass sich so etwas wiederholen könnte, gibt es schon. Die Krise von Ørsted führt dort schon zu Massenentlassungen. Etwa ein Viertel der 8000 Beschäftigten muss in den nächsten zwei Jahren gehen. Die Zulieferer werden die Delle ebenfalls spüren. Vestas, der Turbinen-Weltmarktführer aus Dänemark, verzichtet nun auf den Bau einer geplanten Fabrik in Stettin an der Ostsee, die erhofften tausend Arbeitsplätze entstehen nicht.

Solche Szenarien vor Augen trommeln Verbände für eine Reform des Windenergie-auf-See-Gesetzes. Ein Referentenentwurf wurde im Juni vorgelegt, Konsulta­tionen dazu finden bis Weihnachten statt. „Ohne entschlossenes Handeln der Politik droht der Investitionsstandort Deutschland weiter an Attraktivität einzubüßen und ein Verlust von Arbeitskräften und Wertschöpfung in Deutschland“, heißt es in einem gemeinsamen Papier des Bundesverbands Windenergie Offshore, des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft, des Maschinenbau-Verbands VDMA Power Systems und der Übertragungsnetzbetreiber Tennet, Amprion und 50Hertz. Gelänge es aber, die Finanzierungs- und Risikokosten für Investoren durch Contracts for Difference zu senken, könnte der Strom um 30 Prozent billiger werden, prognostiziert Karsten Neuhoff, Leiter der Abteilung Klimapolitik am Deut­schen Institut für Wirtschaftsforschung.

Windenergieexperte Søren Lassen von Wood Mackenzie glaubt, dass sich die Branche fangen werde. Er sieht, dass sich der Wind in der Regierungspolitik vieler Länder drehe. Die Konditionen für die nächsten Auktionen von Offshore-Windparks würden verbessert. „Nach 2030 wird sich der Sektor erholen“, gibt er sich überzeugt. Darauf hoffen auch die Großen der Branche. Ørsted-Vorstandschef Rasmus Errboe hat eine doppelte Botschaft. Einerseits warnte er jüngst vor dem Risiko einer „Abwärtsspirale“. Zugleich hält er daran fest, für die Zukunft optimistisch zu sein.