Kunstsammlung Scharf: Diese Pfirsiche möchte man nirgendwo differenzierend sehen
Pierre Bonnards Gemälde „Die große Badewanne“ von 1938 ist ein Farbenfeuerwerk in Goldgelb, Altrosa, Orange und Blau. Der Frauenkörper in der Wanne wird ebenso in Licht gebadet wie von Wasser umspült, er verschmilzt mit dem Element und strahlt zugleich daraus hervor. Bonnards Modell, seine Frau Marthe, war zum Zeitpunkt der Entstehung des Bildes knapp siebzig Jahre alt, aber die Badende, die man sieht, trägt jugendliche Züge, ihr Körper zeigt keine Spuren des Verfalls. Der greise Maler hat nicht seine wirkliche Ehefrau gemalt, sondern die Frau, an die er sich erinnerte. Im Sehnsuchtsbad der Farben ist die Zeit aufgehoben, die Geschichte der Liebe kehrt an ihren Anfang zurück. Marthe Bonnard starb 1942 im Haus des Paares im südfranzösischen Le Cannet, aber in der „Großen Badewanne“ bleibt sie für immer jung.
Die Sammlung wurde nie durch Erbstreitigkeiten zerrissen
Bonnards Bild ist der Blickfang der Ausstellung mit Werken aus der Sammlung Scharf, die seit einem Monat in der Alten Nationalgalerie auf der Berliner Museumsinsel gastiert. Die Sammlung selbst ist ein Unikat in Deutschland, denn sie befindet sich in vierter Generation in Familienbesitz, ohne durch Erbstreitigkeiten zerrissen worden zu sein. Allerdings hat sie sich in der dritten Generation geteilt, weil Dieter Scharf, einer der beiden Enkel des Gründers Otto Gerstenberg, sich vor allem für den Surrealismus interessierte, sein Bruder Walther dagegen französische Malerei des neunzehnten Jahrhunderts bevorzugte. Heute wird die Sammlung von Dieter Scharf im Museum Scharf-Gerstenberg in Charlottenburg gezeigt, während René Scharf, der Sohn von Walther Scharf, und seine Frau Christiane ihre bis in die Gegenwartskunst erweiterten Bestände immer nur zeitweise verleihen.

Ihre größten Verluste erlitt die noch ungeteilte Sammlung im Zweiten Weltkrieg. Otto Gerstenberg, der Generaldirektor der Victoria-Versicherung und Erfinder der „Lebensversicherung für jedermann“, hatte zunächst Altmeister und dann Impressionisten gesammelt und in den Zwanzigerjahren Teile seiner älteren Erwerbungen verkauft. Während eines Bombenangriffs auf Berlin verbrannten zahlreiche Gemälde im Kreuzberger Victoria-Gebäude, während andere bei Kriegsende von der Roten Armee beschlagnahmt und in die Sowjetunion abtransportiert wurden. Gerstenbergs Tochter Margarethe Scharf konnte Teile der Sammlung nach Bayern retten, musste aber in der Nachkriegszeit einige Werke aus Geldmangel verkaufen. Heute hängt etwa Manets „Im Café“ in der Sammlung Oskar Reinhart in Winterthur, während Renoirs „Frau auf der Treppe“ und die „Place de la Concorde“ in der Petersburger Eremitage zu sehen sind.

In der Alten Nationalgalerie vereinen sich die Impressionisten und Postimpressionisten der „Scharf Collection“, wie sie hier heißt, zu einem verzauberten Tanz mit der Museumssammlung. Corots „Junge blonde Frau in heller Tunika“ und Courbets Porträt des Bohème-Schriftstellers Trapadoux ergänzen die Bestände aus der Barbizon-Schule, und Cézannes „Haus mit rotem Dach“, Monets „Bauernhof in Chailly“ und Bonnards sommerlich schimmernden „Korb mit Pfirsichen“, möchte man – von der „Großen Badewanne“ ganz zu schweigen – am liebsten nirgendwo anders mehr sehen.
Anders ist es mit den Beständen von Bildern und Kleinbronzen von Honoré Daumier und Grafiken Toulouse-Lautrecs, die Walther und René Scharf angelegt haben. Beide sind so einzigartig – die Toulouse-Lautrec-Sammlung ist die weltweit größte ihrer Art –, dass sie, sollten sie jemals gestiftet werden, ein eigenes Haus oder wenigstens einen Museumsflügel verdient hätten. Wer begreifen will, warum Daumiers Karikaturen und Toulouse-Lautrecs Plakatkunst in ihrem Genre bis heute Vorbildcharakter haben, kommt um die Sammlung Scharf nicht herum.

Auf dem Weg der Ausstellung durch das zwanzigste Jahrhundert staunt man nicht zum ersten Mal über die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Während Bonnard seine Frau in der Badewanne malt, zeichnet Matisse „Die Mulattin“ im klassizistischen Stil, den Picasso (von dem kubistische Radierungen und Collagen gezeigt werden) schon wieder hinter sich hat. Léger dagegen wendet sich vom Kubismus zum Figurativen, das bei Jean Bazaine und Maurice Estève wieder hinter kubischen Flächen verschwindet. Mit Daniel Richter, Martin Eder und Jonas Burgert scheint sich endgültig das „Anything Goes“ durchzusetzen, von dem sich allein Katharina Grosse mit einer entschiedenen Handschrift abhebt. Mit Tony Craggs Eisenskulptur „Pool“ kehrt die Sammlung zur Motivik ihrer ältesten Schätze zurück, den schon von Otto Gerstenberg erworbenen „Desastres de la guerra“ von Goya, die in Berlin in einer Auswahl von zwanzig Blättern gezeigt werden.
Private Kunstsammler und öffentliche Museen gehen oft getrennte Wege und bleiben doch aufeinander verwiesen. Die einen haben das Geld, die anderen den Raum und das Renommee. In der Alten Nationalgalerie haben jetzt zwei Sammlungen, die zueinander passen wie Geschwister, für kurze Zeit zusammengefunden. Möge diese Liaison irgendwann auf Dauer gestellt werden.
The Scharf Collection. Alte Nationalgalerie Berlin, bis zum 15. Februar 2026. Der Katalog kostet 38 Euro.
Source: faz.net