Friedrich Merz simuliert Einigkeit im Rentenstreit, dieser wahre Gewinner ist Jens Spahn

Union und SPD geben sich einig bei Rentenpaket und Verbrenner-Aus. Doch der nächste Krach ist sicher. Das garantiert schon die AfD-Drohkulisse. Auf seinen Fraktionschef sollte sich Kanzler Friedrich Merz wohl eher nicht verlassen


Applaudiert sich Jens Spahn hier selbst?

Foto: Christoph Soeder/picture alliance/dpa


Die schwarz-rote Koalition stand von Beginn an auf wackligen Beinen. Denn nur ein Drittel der 60,5 Millionen Wahlberechtigten haben am 23. Februar CDU, CSU oder SPD gewählt. Selbst die Bürger, die tatsächlich zur Wahl gingen, haben diesen Parteien auf dem Stimmzettel mehrheitlich eine Abfuhr erteilt. Allein im Parlament verfügt Schwarz-Rot über eine knappe Mandatsmehrheit. Tanzen nur wenige Abgeordnete aus der Reihe – wie beim ersten Wahlgang zur Kanzlerwahl am 6. Mai – geht auch die Bundestagsmehrheit flöten.

Friedrich Merz regiert noch keine sieben Monate, aber schon fragen viele Beobachter: Wie lange hält diese Regierung? Bricht die Koalition beim nächsten Streit auseinander oder rauft sie sich wieder zusammen?

Alle Augen richten sich dann auf den Koalitionsausschuss, der – dem Ernst der Lage und der Dramatik der Schlagzeilen angemessen – stets bis in die frühen Morgenstunden tagt. Anschließend wird Entwarnung verkündet. Man habe in größtem Einvernehmen gute und tragfähige Lösungen erarbeitet, die vielleicht nicht perfekt sein mögen, aber in einem „hochkomplexen Land“, das vor „größten geopolitischen und geoökonomischen Herausforderungen“ steht, in dem die Minister „mit hohem Tempo an die Arbeit“ gehen und der Kanzler „unermüdlich bis spät in die Nacht“ seinen aufopferungsvollen Dienst versieht (lauter Zitate aus Merz‘ Regierungserklärung vom 26. November), können Lösungen immer nur von Woche zu Woche neu justiert werden.

Was daran liegt, dass Koalitionsverträge aus einem Haufen Sprechblasen bestehen, die nicht gerade technologie-, aber interpretationsoffen sind.

Der Frust der bürgerlichen Eliten über die 16-Prozent-SPD

Der Streit, den schwarz-rote „Reformen“ hervorrufen, entlädt sich so gut wie immer an der Frage: Wie viel Sozialstaat können „wir“ „uns“ angesichts der erforderlichen Investitionen in Militär und Wirtschaft noch leisten – ohne uns total zu verschulden? Doch die erhoffte (oder befürchtete) Richtungsentscheidung wird stets aufs Neue durch das politische Patt in der Regierung vereitelt.

Das heißt, die schwarz-rote Regierung, die hohes Reformtempo zwar behauptet und für die Medien simuliert, kommt in Wahrheit nicht vom Fleck. Sie tritt auf der Stelle. Der Frust darüber wächst, insbesondere die Wut bürgerlicher Eliten, die es immer weniger ertragen können, dass eine 16-Prozent-SPD die fast doppelt so große Union im Zaum hält, mühsam zwar, und allenfalls in der Lage, die schlimmsten Sozialkürzungen zu verhindern, aber mit der wirkmächtigen Drohung „Sonst kommt die AfD und holt uns alle!“

Die Entfesselung der Jungen Union und der „Familienunternehmer“

Die Rebellion gegen diese Selbstfesselung – ob nun von den 18 Unionsabgeordneten der Jungen Gruppe oder vom Verband der Familienunternehmer – wird sich weiter verschärfen, und der Fraktionsvorsitzende der Union, Jens Spahn, der im Stillen mit den Rebellen sympathisiert, wird den Teufel tun und die ihm äußerst willkommenen Aufstände vorzeitig abwürgen. Im Gegenteil, erst im letzten Moment wird er medienwirksam den Loyalen geben und einen tragfähigen Kompromiss ausloten. Konfliktscheu ist Spahn gewiss nicht. Die Zeit arbeitet für ihn.

Das bedeutet: Die nächtlichen Kompromisse zu Rente und Verbrenner-Aus werden bis zum nächsten Krach halten. Und der kommt so sicher wie das Amen in der Kirche. Denn der große „Pat“ (die Union) und der kleine „Patachon“ (die SPD) sind letztlich zu ungleich. Erst die Landtagswahlen im kommenden Jahr können dafür sorgen, das ‚asymmetrische‘ Patt in der Regierung aufzulösen oder, wahlweise, zu stabilisieren. Man weiß nicht so recht, was man sich eher wünschen soll.