Paketdienst-Kontrollaktion: Boten fehlen Schutz und Toilette

In fast 60 Prozent der Subunternehmen der Paketbranche herrschen mangelhafte Arbeitsbedingungen für die Paketboten, in weiteren 35 Prozent sind sie verbesserungswürdig. Das ist das Ergebnis einer dreieinhalb Monate langen Kontrollaktion in Nordrhein-Westfalen im Frühjahr und Sommer in insgesamt 54 Betrieben auf Initiative des dortigen, CDU-geführten Arbeitsministeriums.

In der Branche dürfe es „nicht so weitergehen“, forderte der zuständige Landesarbeitsminister Karl-Josef Laumann am Montag vor Journalisten und verlangte eine Verschärfung der „gesetzlichen Arbeitsschutzvorgaben für die Branche, die auf Bundesebene liegen“.

Konkret rief Laumann nach einem Verbot von Werkverträgen in der Paketzustellung; Ausnahmen könne er sich vorstellen, wenn Subunternehmen ausschließlich sozialversicherungspflichtig Beschäftigte zu Tariflöhnen einsetzten. Laumann hatte vor einigen Jahren durch intensive Kontrollen in Schlachthöfen maßgeblich eine strengere Regulierung zum Arbeitsschutz in der Fleischindustrie angestoßen, die auf Bundesebene weitgehend übernommen wurde.

In fast 60 Prozent mangelhafter Arbeitsschutz

In der aktuellen Kontrollaktion der Paketzustell-Subunternehmen erhielten insgesamt 59 Prozent die Beurteilung „mangelhaft“, was bedeute: „Der Arbeitsschutz ist eigentlich nicht vorhanden oder nur in Bruchstücken“, sagte Steffen Röddecke, Leiter der Gruppe Arbeitsschutz im NRW-Arbeitsministerium, am Montag vor Journalisten. Das Ergebnis der Besichtigungen sei ein extrem schlechtes.

Zum Vergleich: Im Rahmen der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie seien in den vergangenen fünf Jahren rund 200.000 Betriebe der unterschiedlichsten Branchen kontrolliert worden; der Anteil der mangelhaft bewerteten habe dabei im Durchschnitt bei nur rund 15 Prozent gelegen.

Wie viele Touren, wie schwere Pakete, wo ist eine Toilette?

In etwa der Hälfte der kontrollierten Paket-Subunternehmen fehlte eine so genannte Gefährdungsbeurteilung. Arbeitgeber haben also keine klaren Schutzstrategien für die Beschäftigten. In der Zustellbranche geht es dabei zum Beispiel darum, wie schwer Pakete sein dürfen, wie viele Touren die Zusteller in welcher Zeitspanne fahren, „bis hin zu einem ganz simplen Problem: Wo ist denn eine Toilette, die ich anfahren kann“, führte Röddecke aus.

Wenn es eine Gefährdungsbeurteilung gebe, würden darin zum Teil wichtige Themen nicht berücksichtigt, zum Beispiel, wie man sich beim Be- und Entladen im Straßenverkehr zu verhalten habe oder wie man mit schweren Lasten umgehe. Zum Teil habe es auch keine Unterweisung der Beschäftigten gegeben. In den Subunternehmen fehle es auch häufig an einer arbeitsmedizinischen und sicherheitstechnischen Betreuung.

Eine Befragung von 225 Mitarbeitern der Subunternehmen zeigte zudem, dass mehr als ein Drittel ihre Arbeitszeiten nicht digital erfassten – also entweder über Zettel oder gar nicht. Etwa ein Fünftel gab an, zuweilen mehr als zehn Stunden täglich zu arbeiten. Laumann forderte in diesem Zusammenhang eine Pflicht zur digitalen Arbeitszeitaufzeichnung für Paketboten, die leicht umzusetzen sei, weil ohnehin alle Zusteller digitale Handscanner mit sich führten.

Onlinehandel lässt die Branche boomen

Die Paketbranche wächst seit Jahren stetig. Dem Bundesverband Paket- und Expresslogistik zufolge waren im Jahr 2024 rund 4,29 Milliarden Pakete quer durch Deutschland unterwegs; zehn Jahre zuvor waren es nur 2,78 Milliarden. Haupttreiber ist der Onlinehandel, der vor allem während der Corona-Pandemie zu boomen begann, aber seither nur geringfügig an Fahrt verloren hat. Kurier-, Express- und Paketdienste erwirtschafteten hierzulande vergangenes Jahr einen Gesamtumsatz von 27,6 Milliarden Euro; die Branche beschäftigt rund 266.000 Menschen.

Weil die Paket-Unternehmen gerade zur Weihnachtszeit immer stärker an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen, geben viele einen Teil ihrer Aufträge an Subunternehmer ab, zum Teil auch über mehrstufige Ketten mit teilweise zweifelhaftem Ruf.

Ein Gesetz soll schon jetzt die Boten schützen

Seit November 2019 gilt in Deutschland als Gegenmaßnahme das so genannte Paketboten-Schutz-Gesetz, das der Bundesrat erst kürzlich entfristet hat; ansonsten wäre es zum Jahresende ausgelaufen. Demnach gilt für Paketdienste die so genannte Nachunternehmerhaftung für die korrekte Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen. Das bedeutet, dass derjenige, der einen Auftrag an ein Subunternehmen weitergibt, trotzdem selbst dafür haftet, die Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Das soll dazu führen, dass Paketdienste ihre Subunternehmen sorgfältiger aussuchen und die Zwielichtigen außen vor bleiben.

Die Regelung funktioniere aber nicht, sagte Laumann am Montag, weil die Hauptunternehmer ihre Nachunternehmer auf Eignung prüfen und sich so eines Großteils ihrer Haftung wieder entledigen dürften.

Verordnung zu Sackkarren fehlt noch

Auch das neue Postgesetz, das seit Jahresbeginn gilt, beinhaltet einzelne Passagen, die Paketboten schützen sollen. So müssen mittlerweile Pakete, die schwerer als 20 Kilogramm sind, gekennzeichnet werden. Die Kontrollaktion zeigte, dass dies auch sehr gut funktioniert. Allerdings: Die schwereren Pakete müssen zu zweit zugestellt werden oder mit einem geeigneten Hilfsmittel. Bis heute fehlt aber eine entsprechende Verordnung des Bundestages was eigentlich ein geeignetes Hilfsmittel ist.

Laumann forderte, dass eine solche Verordnung jetzt schnell kommen müsse. Röddecke sagte, bei den Kontrollen sei herausgekommen, dass fast 40 Prozent der Zusteller über keine Sackkarre verfügten, einige hätten sogar angegeben, sich ihre Sackkarre privat angeschafft zu haben.