Digitalisierung: Was Deutschland von Griechenland lernen kann

Griechenland ist seit geraumer Zeit nicht nur ein Vorbild beim Abbau von Staatsschulden, auch bei der Di­gitalisierung der öffentlichen Verwaltung hat das Land einiges vorzuzeigen. Das versucht die Regierung an diesem Montag in Berlin zu vermitteln, wenn Finanz­minister Kyriakos Pierrakakis seinen Amtskollegen Lars Klingbeil und den Digitalminister Karsten Wildberger trifft.

Pierrakakis ist ein IT-Spezialist, der unter an­derem in den USA ausgebildet wurde. Von 2019 bis 2023 gab er als Digitalminister Anstöße für etliche Reformen. Die Hertie School in Berlin, wo er am Montagabend auftritt, bezeichnet ihn als „eine der einflussreichsten Stimmen in Europa bei den Themen digitale Regierung und Staatsreform“.

Zentral ist in Griechenland die Regierungswebsite namens „gov.gr“, über die nach Angaben der Verwaltung mehr als 1500 staatliche Dienstleistungen digital abrufbar sind – von der Ausstellung von Geburts- und Heiratsurkunden über Rentenbescheinigungen bis zu Wahlunterlagen und Zahlungsmöglichkeiten. In einer „Wallet“ können Bürger über Personalausweis, Führerschein und Gesundheitskarte in digitaler Form verfügen.

Mit Digitalisierung gegen Steuerhinterziehung

Minis­terien und die Behörden kommunizieren über ein einheitliches Netzwerk namens Mitos miteinander und sparen Papierkram und Zeit. Der Aufwand, um etwa ein Unternehmen anzumelden, hat sich deutlich verringert. Darüber hinaus hilft die Digitalisierung bei der Bekämpfung der Steuerhinterziehung. Auf Plattformen wie „myData“ müssen Unternehmen Einnahmen und Ausgaben in Echtzeit melden, sodass der Fiskus Unstimmigkeiten entdecken kann.

Gerade die Hinterziehung von Mehrwertsteuer habe so nachgelassen, berichtet das Finanzministeri­um. Die Einnahmelücke sank zwischen 2018 und 2022 von 25,4 Prozent der Steuerverbindlichkeiten auf 13,7 Prozent.

„Die Verwaltungsdigitalisierung in Grie­chenland hat enorme Fortschritte gemacht, mittlerweile sind mehr als 2000 Dienstleistungen direkt online abrufbar“, berichtet Ilja Nothnagel, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutsch-Griechischen Handelskammer in Athen. Die Regierung arbeite auch daran, mit Künstlicher Intelligenz Anfragen effizienter und schneller zu bearbeiten. „Erste Effekte sind deutlich spürbar“, sagt Noth­nagel. „Wichtig ist, dass die Digitalisierung zentral gesteuert wird, Vorgaben von einem Ministerium müssen für alle gleichbedeutend gelten“, ergänzt Marian Wendt, Leiter der Konrad Adenauer-Stiftung in Athen.

Umstellung verläuft nicht reibungslos

Früher waren die meisten Behördengänge ein Mühsal. Etliche Dokumente konnten nur nach Absprache zwischen drei Behörden ausgestellt werden. Renten wurden mit einer Verzögerung von bis zu zweieinhalb Jahren nach Antritt des Ruhestands ausgezahlt. Zur Gründung eines Un­ternehmens brauchte man nach Angaben der Weltbank im Jahr 2014 durchschnittlich 15 verschiedene Genehmi­gungen. Heute geht vieles schneller. Vier von fünf Griechen finden, dass die Digitalisierung von öffentlichen und privaten Dienstleistungen ihnen das Leben erleichterte, berichtet die EU-Kommission.

Allerdings läuft die Umstellung nicht immer reibungslos. Bei der Digitalisierung medizinischer Akten in den Kranken­häusern etwa sei es zu erheblichen Ver­zögerungen gekommen, berichtete der griechische Informationsdienst „health­report.gr“, weshalb der Verlust europäi­scher Fördermittel aus dem EU-Wieder­aufbauplan drohe. Griechenland verwendet gut ein Fünftel dieser während der Pandemie beschlossenen Mittel – rund 7,4 Milliarden Euro – für die Digitalisierung. Weitere 2,7 Milliarden Euro kommen aus den EU-Kohäsionsfonds hinzu.

Auch nach Einschätzung der EU-Kommission steht die griechische Digitali­sierung vor etlichen Herausforderungen. Fachpersonal ist knapp. So gibt es in Griechenland deutlich weniger Spezialisten der IT- und Kommunikationstechnologie als im EU-Durchschnitt. Das ist auch eine Folge der Auswanderung im Zuge der Schuldenkrise. Zudem hinken auf der Gegenseite der öffentlichen Verwaltung die vielen kleinen und oft finanzschwachen griechischen Unternehmen in der Digitalisierung hinterher. In der Bevölkerung, gerade bei älteren Bürgern, fehlen oft grundlegende digitale Fähigkeiten. Minister Pierrakakis räumt ein, dass ein anderes Land ein größeres Vorbild bei der Digitalisierung sei: Estland. Vertreter des Landes haben bei den Reformen Griechenlands mitgearbeitet.

Dennoch hat die griechische Regierung etliche Voraussetzungen für eine Moder­nisierung geschaffen. Die Abdeckung mit dem 5-G-Telekomstandard Griechenlands gehört zu den höchsten in der EU; auch viele entfernte Inseln sind heute vernetzt. Die Deutsche Telekom hat über ihre griechische Tochtergesellschaft OTE am Netzausbau mitgewirkt. Grundlage für solche Reformen sind solide öffentliche Finanzen. Hier wird Finanzminister Pierrakakis in Berlin über Fortschritte berichten: So werde die staatliche Verschuldung 2026 um 7,7 Prozentpunkte auf 138,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes fallen. 2029 solle sie unter 120 Prozent liegen. Die Schulden aus dem ersten europäischen Rettungspaket sollen bis 2031 vollständig zurückgezahlt werden, zehn Jahre früher als vorgeschrieben. Kreditgeber wie Deutschland und Frankreich können mit Milliardenüberweisungen aus Athen rechnen, die ihren Haushalten helfen.