Boeing Chinook: Ein Hubschrauber z. Hd. die Zeitenwende

Die Boeing-Fabrik in Philadelphia bekommt im Moment öfters Besuch aus Deutschland. Im vergangenen Jahr war Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hier. Er reiste für eine Zeremonie an, mit der Deutschland im Kundenkreis für den schweren Transporthubschrauber CH-47 Chinook willkommen geheißen wurde, der in Philadelphia gebaut wird. 60 Exemplare hat Deutschland bestellt. Der Auftrag soll rund 7,3 Milliarden Euro kosten und aus dem Sondervermögen der Bundeswehr bezahlt werden. Es ist der größte Einzelauftrag für den Hubschrauber, den Boeing jemals aus dem Ausland bekommen hat. Pistorius hielt damals eine deutsche Flagge hoch. Sie hängt nun in der Produktionshalle, genauso wie die Flaggen der anderen zwanzig Länder, die Chinook-Kunden sind.

Am Mittwoch war eine Abordnung der Luftwaffe in Philadelphia, angeführt vom Generalmajor Bernhard Teicke. Anlass war der offizielle Produktionsstart für die Chinook-Hubschrauber für Deutschland. Teicke sprach vom „Anfang einer neuen Ära“. Er nannte die Chinooks ein „Schlüsselsymbol“ für die in Deutschland ausgerufene Zeitenwende und „eines der Dickschiffe im Sondervermögen“, ähnlich wie der Kampfjet des Typs F-35. Der wird von Boeings Rivalen Lockheed Martin produziert. Die Bundeswehr hat 35 Exemplare bestellt. Heather McBryan, die für Boeing das Chinook-Programm verantwortet, sprach von einem „großartigen Tag“ für das Boeing-Werk in Philadelphia.

Legendäre Rotoren

Genaugenommen war der Produktionsstart für die deutschen Chinooks schon im Mai. Seither wird am ersten der sechzig Chinooks für die Bundeswehr gebaut. Die Kabine dieses Hubschraubers mit der Seriennummer M1701 ist fast fertig. Boeing karrte sie aus Anlass der Zeremonie neben das Rednerpult. Sie ist noch in einem grünlichen Gelb lackiert und erinnert an einen Campingwagen. Der fertige Hubschrauber soll 2027 ausgeliefert werden. Bis 2032 soll die Bundeswehr alle 60 Exemplare bekommen. Teicke beschrieb den Zeitrahmen als „ambitioniert“, zeigte sich aber zuversichtlich, dass es dabei bleibt: „Wir liegen voll im Plan.“

Der Chinooks haben eine lange Geschichte und sind legendär, allein wegen ihrer charakteristischen Silhouette mit zwei hintereinander angeordneten und fast zwanzig Meter langen Rotoren. Das erste Exemplar wurde 1962 in Betrieb genommen. Seither hat Boeing immer wieder neue Modellgenerationen herausgebracht. Die Bundeswehr wird den aktuellen Typen CH-47 Block II bekommen. Er zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass er in der Luft betankt werden kann. Chinooks werden für den Transport von Soldaten genutzt, aber auch in der Katastrophenhilfe und für Rettungsmissionen. Sie kamen in den Kriegen im Vietnam und im Irak zum Einsatz, aber auch, als Usama Bin Ladin gefasst wurde, der Gründer der Terrororganisation Al Qaida. Seit der Einführung wurden rund 2500 Stück gebaut. Heute sind 950 im Einsatz.

Obwohl Chinooks schon so lange geflogen werden, gibt es offenbar keine Pläne, sie in absehbarer Zeit auszumustern. Das amerikanische Militär hat Boeing zugesichert, die Hubschrauber bis mindestens 2060 einsetzen zu wollen. Der Konzern arbeitet daran, das Modell weiterzuentwickeln und kann sich zum Beispiel eine autonom fliegende Variante vorstellen. Generalmajor Teicke gab jetzt in Philadelphia zu, die Chinooks seien für die Bundeswehr eher Evolution als Revolution. Doch beschrieb er sie als „State of the Art“ und sagte, das traditionell aussehende Design sei „irreführend“.

„Der Wunsch war schon sehr alt, aber das Geld war nicht da“

Der CH-47 soll den mittelgroßen Transporthubschrauber CH-53 ablösen, der von der Lockheed-Tochtergesellschaft Sikorsky stammt und arg in die Jahre gekommen ist. Er wurde schon 1972 unter Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) in die Bundeswehr eingeführt und war dort zunächst den Transporthubschrauberregimentern der Heeresflieger zugeordnet. Seine eigentlichen Bewährungsproben erlebte er in den Auslandseinsätzen der Bundeswehr zunächst Ende der 1990er Jahre auf dem Balkan, dann in Afghanistan. Das zuverlässige Arbeitstier, gedacht für Kurzstrecken wie zwischen Westerwald und Fulda, schleppte aber auch Sandsäcke bei Hochwassern oder Wassersäcke bei Waldbränden.

Über die Nachfolge des CH-53 ist mehr als ein Jahrzehnt gerungen worden. Es las sich fast wie ein Hilferuf, als die Bundeswehr 2022 aus Anlass des fünfzigjährigen Jubiläums der Einführung in einer Pressemitteilung mit Blick auf das Modell schrieb: „Höchste Zeit für den Ruhestand“. Zwischen 2017 und 2020 gab es schon einmal eine Art Bieterschlacht zwischen Boeing und Lockheed Martin, die über Anzeigenkampagnen, intensives Lobbying und teils sogar vor Gerichten ausgetragen wurde. Derweil bleibt rätselhaft, warum es dem europäischen Hersteller Airbus nicht gelang, ein wettbewerbsfähiges Modell zu entwickeln. Seinerzeit war noch ein Preis von rund fünf Milliarden Euro im Gespräch. Das wurde als zu teuer empfunden. Ende 2020 stoppte das Verteidigungsministerium das Vergabeverfahren. „Der Wunsch war schon sehr alt, aber das Geld war nicht da,“ sagte Generalmajor Teicke jetzt in Philadelphia.

Mit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine kam wieder Fahrt ins Geschehen, dann wurde rasch gehandelt. Mitte 2022 verkündete die damalige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) die Entscheidung für den zweimotorigen Chinook. Angesichts des Sondervermögens war der Preis von nunmehr 7,3 Milliarden Euro keine Hürde mehr. Die Gründe für die Auswahl: Viele NATO-Partner fliegen das Modell, darunter neben den USA die Niederlande, Großbritannien, Spanien und Kanada. Außerdem wähnte man sich auf der Seite eines bewährten Konzepts. Wichtig war der Bundeswehr auch, dass der neue Hubschrauber in der Luft betankt und damit seine Reichweite von etwa 650 Kilometern enorm vergrößert werden kann.

Rückschläge in der Rüstungssparte

Große Einsatzbereitschaft erwartet die Bundeswehr zudem von langen Wartungsintervallen und kürzeren Werkstattzeiten. Teicke nannte den CH-47 jetzt „konkurrenzlos“, auch deshalb, weil Boeing den Hubschrauber zügig liefern könne. Es gebe Zeitdruck, weil der bisher genutzte CH-53 zunehmend unwirtschaftlich sei, unter anderem, weil es immer schwieriger werde, Ersatzteile zu finden. Die Anschaffung sei „überfällig“. Neben Boeing als eigentlichem Hersteller sind auch eine Reihe anderer Unternehmen in das Chinook-Projekt der Bundeswehr eingebunden, darunter der Erzrivale Airbus und Lufthansa Technik.

Der Chinook-Hubschrauber ist für Boeing ein verlässliches Produkt, das von den Turbulenzen der vergangenen Jahre weitgehend unberührt geblieben ist. Der Konzern blickt auf krisenreiche Zeiten zurück. Er hat sechs Jahre nacheinander Nettoverluste ausgewiesen. 2024 wechselte er seinen Vorstandschef aus. Das Geschäft mit Zivilflugzeugen wurde wiederholt von Unfällen zurückgeworfen. 2018 und 2019 kam es zu Abstürzen von Jets des Typs 737 Max, bei denen 346 Menschen starben. Anfang des vergangenen Jahres löste sich während einss Flugs ein türgroßes Rumpfteil und hinterließ ein klaffendes Loch in der Kabinenwand. In Quartalsbericht im Oktober buchte Boeing einen Milliardenaufwand wegen abermaliger Verzögerungen bei der Einführung des Langstreckenflugzeugs 777X.

Auch in der Rüstungssparte gab es immer wieder Rückschläge. Beispielsweise hat sich die Entwicklung neuer Versionen der als Air Force One bekannten Flugzeuge für den amerikanischen Präsidenten erheblich verzögert. Doch errang Boeing in seinem Rüstungsgeschäft in diesem Jahr einen großen Erfolg. Der amerikanische Präsident Donald Trump gab dem Unternehmen den Zuschlag für den Bau eines neuen Kampfjets für die Luftwaffe, der F-47 heißen soll. Boeing setzte sich gegen Lockheed Martin durch. Das kam einer Revanche gleich, nachdem der Rivale einst das Rennen um den Bau des F-35 für sich entschieden hatte. Boeing gilt auch als einer der größten Gewinner in den von Trump befeuerten Handelskonflikten. Eine Reihe von Zollabkommen, die in den vergangenen Monaten zwischen den USA und anderen Ländern angekündigt worden sind, umfassen auch die Bestellung einer größeren Zahl von Boeing-Flugzeugen.

Der Chinook-Auftrag der Bundeswehr ist für Boeing von enormer Bedeutung. Das Werk in Philadelphia hat eine jährliche Produktionskapazität von 72 Hubschraubern dieses Typs. Diese Zahl wurde während des Irak-Kriegs erreicht, mittlerweile aber schon lange nicht mehr. Heute werden nur noch zwischen 18 und 28 Exemplare im Jahr produziert. Der Auftrag aus Deutschland hilft also in erheblichem Maße, die Auslastung zu erhöhen.

Die gegenwärtigen Misstöne im transatlantischen Verhältnis blieben in Philadelphia außen vor. Teicke beschrieb den Produktionsbeginn als Meilenstein sowohl für Deutschland als auch für die Vereinigten Staaten. „Dies zeigt, was möglich ist, wenn zwei Nationen, die gemeinsame Werte haben, mit Entschlossenheit und gegenseitigem Respekt zusammenarbeiten.“ Mit der Bestellung der Hubschrauber leiste Deutschland einen „konkreten Beitrag zu unserer kollektiven Verteidigung“.