Tanzpremiere in Genf: Verweile doch, Kostüm, du bist so schön

„Bal impérial“ – Kaiserball – hat Sidi Larbi Cherkaoui seine neueste Choreographie betitelt. Die Stadt Wien hatte ihn aus Anlass des zweihundertsten Geburtstags von Johann Strauss Sohn eingeladen, eine Auftragschoreographie zu Musik des Komponisten zu schaffen. In Wien wird das Stück erst Anfang Dezember gespielt; die Uraufführung fand nun zuvor im Grand Théâtre de Genève statt, wo Cherkaoui Ballettdirektor ist.

Er choreographiert Opern, Musikclips, Musicals und Luxuswerbung – Walzer, Marsch und Polka standen aber noch nie auf den Musik-Listen seiner Stücke. Im Programmheft bezeichnet er sie als Soundtrack des Kaiserreichs, imperiale Musik oder Herrschaftsmusik. „Bal impérial“ will sich dieser Musik aus zweifelhafter, höfischer Umgebung nicht durchgehend widmen, weswegen sich Constantin Trinks und das Orchestre de la Suisse Romande beim Spielen mit den drei Musikern und Sängern Shogo Yoshii, Tsubasa Hori und Kazutomi „Tsuki“ Kozuki abwechseln. Auf den Ägyptischen oder den Persischen Marsch, den Walzer „Rosen aus dem Süden“ und den größten Hit von Strauss fils, „An der schönen blauen Donau“, folgen Stücke die „Gin no Suzu“ heißen oder „Ogi Biwake“ und in denen japanische Trommeln und Gesänge eine große Ruhe und Konzentration verströmen.

Szene aus „Bolero“, einer Choreographie von Sidi Larbi Cherkaoui aus dem Jahr 2013
Szene aus „Bolero“, einer Choreographie von Sidi Larbi Cherkaoui aus dem Jahr 2013Gregory Batardon

Dramaturgisch sind diese Wechsel dadurch gestaltet, dass Personal aus der einen ästhetischen Welt mit in die andere hinüberwechselt. Dem Schwert und seinem rituellen Gebrauch kommen im alten Österreich wie im historischen Japan große Bedeutung zu, die Inszenierung schlägt vor, die Unterschiede beider formaler Gesellschaften eher als Ähnlichkeiten zu begreifen hinsichtlich der Machtmanifestationen, der Gewaltausübung, des codifizierten Umgangs der Klassen.

Ritualisierter japanischer Selbstmord mit der Klinge kommt ebenso vor wie Kämpfe rot-weiß gekleideter Söldner. Besonders die Walzer dienen dem andert­halbstündigen Stück als musikalische Kulisse alberner Menuette und lüsterner Bankette in einer sexualisierten Welt überfeinerten Konsums von Körpern, Bewegungen, Weintrauben und Satinhandschuhen. Der Walzertakt, in den Cherkaouis Tanz fast widerwillig einschwingt, erzeugt in den Figuren ein Pina-Bausch-haftes, nervöses Über-Kopf-Geflatter der Hände. Cherkaoui geht der choreographische Atem in den Strauss-Musiken schnell aus, das ist Musik, die von seinem Herzschlag zu weit entfernt ist.

Die neunzig Minuten sind insgesamt zu lang, denn das Stück bleibt auch thematisch bei einer wiederholten Vorführung stereotyper Figuren, denen am Hintern ein Stück Stoff vom Reifrock fehlt – Vivienne Westwoods Piratenkollektion missverstanden. Die Perücken und Perlenketten sind wie die sich zwischen Orient und Okzident hin und her drehende Palastwand von Ausstatter Tim Yip, der mit dem Film „Tiger and Dragon“ berühmt wurde. Die queeren Freuden an der Opulenz machen das Stück sympathisch, sind aber nicht abendfüllend.

Dass „Bal impérial“ Ballett und Ball reflektieren würde, ist schon zu viel gesagt. Das Stück hat kein Narrativ, ist aber auch nicht abstrakt. Es hat keine These, keinen Witz, keinen Sinn für Pointen oder Spannungsbögen, es erschafft keine schönen Bilder, sondern eine Menge Klischees. Die tiefdekolletierten, seidenraschelnden Tänzer halten sich tanzend an der samtbehangenen Bankett-Tafel fest, füttern einander mit Weintrauben, alles in lila Strumpfhosen. Den Großteil der unfassbar oberflächlichen Arbeit leistet das sich bewegende Bühnenbild. Die japanischen Musiker immerhin sind fabelhaft, was man vom Orchester nicht behaupten kann und in der Wiederaufnahme des Abends, Maurice Ravels „Boléro“, den Cherkaoui 2013 mit Damien Jalet, Marina Abramovic und Riccardo Tisci für die Pariser Oper schuf, auch nicht von den Genfer Tänzern.

Source: faz.net