AfD-Vorwahlkampf: Union oder SPD? „Ich wüsste nicht, dass die hier präsent sind“

„Ratten“. Das ist das Wort, das nachwirkt, als es bei einem Bürgerdialog der AfD in Sachsen-Anhalt um Sozialkürzungen für Asylsuchende geht. „Die Ratten, die verschwinden ja nicht gleich“, sagt ein Mann aus dem Publikum, 62, seit langem AfD-Wähler, seit 2020 Mitglied. „Die versuchen doch hier, in Hessen, in München oder sonst wo, sich zu verdünnisieren oder zu verstecken“, sagt er ins Saalmikrofon. „Habt ihr da einen Plan, wie wir das verhindern können?“

Ganze Menschengruppen als „Ratten“ bezeichnen? Bei der AfD in Sachsen-Anhalt scheint das normal. Keiner der drei Landtagsabgeordneten auf dem Podium der Kultur- und Sportarena Brehna interveniert, auch niemand aus dem Publikum. Stattdessen legt Oliver Kirchner los, Co-Fraktionschef der AfD im Landtag, die ein Jahr vor der Landtagswahl in Umfragen vor der regierenden CDU liegt: „Das Land der Frühaufsteher“ (Eigenwerbung von Sachsen-Anhalt) machen wir zum Land der Frühabschieber!“

Die Veranstaltung der Landtagsfraktion in der schmucklosen Mehrzweckhalle des 2.700-Seelen-Städtchens ist Teil des hochenergetischen Dauerwahlkampfes, den die AfD im Land betreibt – vor allem in Ostdeutschland gibt es kaum einen Tag, an dem die Partei nicht irgendwo öffentlich zu Bürgerdialogen, Infoständen oder -abenden einlädt. CDU oder SPD dagegen drehen sich eher um sich selbst: Während die Wahlergebnisse zuletzt mit jeder Wahl sanken, halten sie mühevoll ihre Kreis- und Ortsverbände am Leben, bei gelegentlichen Stammtischen sitzen vor allem gleichgesinnte Ältere beieinander. Grüne oder FDP sind kaum mehr wahrnehmbar. 

Dabei sagte auch der CDU-Spitzenkandidat in Sachsen-Anhalt, Sven Schulze, die nahende Landtagswahl lasse sich nur auf dem Land gewinnen – zu finden ist dort aber bisher nur die AfD. Die radikale Partei bespielt die große Bühne und erzielt mit einfachen Lösungen für komplexe Probleme eine enorme Reichweite. Und: Sie tut das durchgehend, auch in der Zeit zwischen den Wahlen. 

Brehna ist eigentlich eine CDU-Hochburg, der örtliche Landrat Andy Grabner stammt von hier. Wenn aber die AfD-Co-Fraktionschefs Kirchner und Ulrich Siegmund auftreten, kommen die Menschen aus der Bitterfelder Region herbei, die 400 Stühle an diesem Abend sind zu drei Vierteln gefüllt. „Salve!“ Am Einlass begrüßen sich die Einheimischen mit Handschlag, man duzt sich. Sie drängen sich um die Stehtische, wo die Sommer-Ausgabe der Fraktionszeitung ausliegt („Der große CDU-Betrug“), auf dem Titel Kanzler Merz mit Pinocchio-Nase. Es gibt Aufkleber mit den Schriftzügen „LVE AFD“, „Schwarzrotgold ist bunt genug“ oder mit dem Kampfruf „Ost, Ost, Ostdeutschland“ in schwarz-gelb. Personal in AfD-blauen Jacken händigt Mitgliedsanträge aus, „gegen Spende“ werden bedruckte Frisbee-Scheiben und Zollstöcke („Nicht für linke Hände“) ausgegeben. 

Sie schätzen den einfachen Blick auf die Welt

Der 35-jährige Ulrich Siegmund ist Spitzenkandidat und Hoffnungsträger seiner Partei in Sachsen-Anhalt, breitbeinig und mit geradem Rücken steht er am Eingang. Manche Gäste sprechen ihn bereits mit „unser Ministerpräsident“ an, andere bitten um Selfies und Autogramme. Die Besucher sind mittleren Alters, viele Paare, manche mit Kindern, aber auch viele silbergraue Köpfe und runde Rücken.

Seiner Antwort auf die Frage des Mannes zu Asylsuchenden lässt Fraktionschef Kirchner dann eine ganze Reihe herabsetzender Halbwahrheiten folgen: über den Weihnachtsmarkt-Attentäter von Magdeburg, den sein Arbeitgeber, eine Klinik, angeblich besser gestellt habe, weil er Ausländer ist. Über Polizisten, die sich vermeintlich besonders rechtfertigen müssten, wenn sie auf Messerangreifer schießen. 

Sozialschmarotzer raus, Grenze dicht – so lautet die AfD-typische Kernbotschaft auch an diesem Abend in Brehna. Wer das Sozialsystem stützt, sei willkommen, darüber hinaus sind Migranten für Kirchner in erster Linie kriminell: „Allein die Afghanen, 52 Morde, 2.691 Vergewaltigungen“ seit 2015, referiert Kirchner Zahlen der Bundesregierung. Dass Hunderttausende bestens integrierte Afghanen in Deutschland leben, bleibt unerwähnt. 

Den Rassismus sieht Kirchner dabei nicht bei sich selbst: „Diese Rassismus-Keule muss aus diesem Land weg“, fordert er. Recht und Gesetz müssten für alle gelten, „egal, wie der Mensch aussieht“. Und Friedrich Merz solle wie Münchhausen auf der Kanonenkugel an die Front in der Ukraine reiten. 

Das Publikum applaudiert mehrheitlich, nur wenige zögern, durch ihren Beifall die AfD-Rhetorik aufzuwerten. Es ist dieser vereinfachte Blick auf die Welt, den die meisten Besucher an der AfD schätzen. Viele Gespräche am Rande zeigen: Sie wählen die AfD, „weil jetzt mal andere ran sollen“ an die Regierung. Nicht wieder die von der CDU. Auch nicht der Neue, Sven Schulze? „Nee, die sprechen alle zu geschwollen“, sagt ein bärtiger Mann, der Servicetechniker bei der Bahn ist. Sie wollen Siegmund, weil der TikTok-affine Posterboy rhetorisch „den Nagel auf den Kopf trifft“. Sie sehen als Verdienst der AfD, dass die bereit aufgegebene Kinderklinik Bitterfeld 2024 wieder öffnete. Die AfD hatte zwar zum Straßenprotest aufgerufen – die Schließung kippte im Kreistag aber eine breite Mehrheit. 

Auf die Frage, ob sie denn auch schon mal bei der CDU oder SPD war, sagt eine Frau: „Ich wüsste nicht, dass die hier präsent sind.“