Vom Anfang jener Klassik durch ihr Ende

Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter und Generalmusikdirektor Omer Meir Wellber stellen das durch die Bank spannende Programm des Internationalen Musikfests 2026 vor – mit großen Klassik-Events, Gaststars und Schwerpunkten zu den 100. Geburtstagen von Miles Davis sowie Hans Werner Henze.

Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter schwelgte am Dienstag – als zöge sein Leben angesichts des Todes noch einmal vor seinem geistigen Auge an ihm vorbei – in Kindheitserinnerungen, sieht er doch sein Ende nahen und exakt voraus, wie es ablaufen wird. Genau genommen wird der 1. Mai 2026 den Anfang vom Ende markieren, das am 3. Juni kein bitteres, sondern mit Verdis „Messa da Requiem“ sein tröstliches Finale findet. Überhaupt lautet der Titel des kommenden Internationalen Musikfestes „Ende“, als Thema dessen 45 hochkarätige Veranstaltungen klammernd. Schließlich habe alles auf der Welt einen Anfang und ein Ende, so der Intendant wurstvergessen. Auch wohne „allem Ende ein Zauber inne“, erklärte Lieben-Seutter, Hermann Hesse vom Kopf auf die Füße stellend. Zudem sei nach einem Ende mit schönster Regelmäßigkeit der Beginn von etwas Neuem zu erwarten. Entsprechend reicht das Programm des Musikfests vom Weltuntergang bis Schöpfung, von Verzweiflung bis Hoffnung, von Klassik bis Jazz.

Bernsteins „Mass“ unter Leitung von Omer Meir Wellber

Die Kindheitserinnerungen des Intendanten riefen ihm ins Gedächtnis, dass in Wien etwa alle zwei Jahre das „Das Buch mit sieben Siegeln“ von Franz Schmidt erklingt, mal im Musikverein, mal im Konzerthaus. Nun endlich wird das spätromantische Oratorium, das in der österreichischen Hauptstadt fest zum Repertoire zählt, wie etwa in Hamburg die Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach, auch einmal in der Elbphilharmonie aufgeführt, zum Auftakt des musikalischen Endspiels, ausgerechnet am Tag der Arbeit 2026 – apokalyptischer dürfte es aus Sicht der Gewerkschaften kaum gehen. Es spielt das NDR Elbphilharmonie Orchester unter Leitung von Manfred Honeck. Das NDR-Vokalensemble erhält Unterstützung vom MDR-Rundfunkchor, sechs Gesangssolisten verkünden die Offenbarung des Johannes und Thomas Cornelius spielt Orgel.

Aufhören- und aufsehenerregend dürfte ein weiteres gewaltiges Werk werden: Die „Mass“ von Leonard Bernstein, aufgeführt am 24. Mai 2026 vom Philharmonischen Staatsorchester und drei Chören, mit Tänzerinnen und Tänzern unter Leitung von Generalmusikdirektor Omer Meir Wellber. Hier trifft sakrale Musik auf Rock, Blues, Gospel und Jazz. 1971 warte das FBI den amerikanischen Päsidenten Richard Nixon vor der Uraufführung, da der Inhalt seinerzeit als heikel empfunden wurde. Im Heiligen Jahr 2000, in dem 25 Millionen Gläubige in den Petersdom pilgerten, erhielt die „Mass“ allerdings den Segen der römisch-katholischen Kirche, wurde in der Vatikanstadt aufgeführt. Wellber erläutert kurz seine Sicht auf das Werk: „Jetzt kommt Jesus wieder, aber diesmal macht er keine Prophezeiungen, sondern er hat eine Rockband.“

Je fünf Konzerte für Miles Davis und Hans Werner Henze

Und weil diese Rockband auch „auf der Straße“ spielen solle, so Wellber, werde die erste Aufführung in der Elbphilharmonie am Pfingstsonntag um 12 Uhr zu Füßen der evangelischen Hauptkirche St. Michaelis auf der Michelwiese fortgesetzt, mit einem Fest unter freiem Himmel und den Künstlern, die am Abend um 20 Uhr eine weitere Aufführung in der Elbphilharmonie geben werden. Der nächste große Kracher in der Elbphilharmonie wird am Dienstag nach Pfingsten die „Götterdämmerung“ von Richard Wagner, das Finale des Rings, in einer konzertanten Aufführung unter Leitung von des ehemaligen Hamburgischen Generalmusikdirektors Kent Nagano – mit dem Concerto Köln und dem Dresdner Festspielorchester sowie dem Festspielchor der Richard-Wagner-Akademie und 13 ausgewählten Sängerinnen und Sängern.

Zwei spannende Schwerpunkte des Musikfests ergänzen das „Ende“-Programm, indem sie den 100. Geburtstag von Miles Davis und den 100. Geburtstag von Hans Werner Henze mit je fünf Konzertereignissen feiern. Der Jazz-Trompeter Miles Davis, der den Jazz genreprägend mehrfach neu erfand, steht vom 3. Mai an auf dem Spielplan, wenn sich das Brussels Jazz Orchestra mit dem Trompeter Ambrose Akinmusire auf Spurensuche begibt. Der Jazz-Drummer Bobby Previte interpretiert das legendäre Album „Bitches Brew“ mit Hamburger Jazzern am 5. Mai, einen Tag später kombiniert die NDR Bigband „Two Sketdches of Spain“ von Davis und Gil Evans mit neuem Flamenco-Jazz. Weiter Schwerpunkt-Konzerte laufen im Anschluss ans Musikfest Ende Juni und Anfang Juli.

„Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ nach Heinrich Böll

Zu Ehren des Komponisten Hans Werner Henze spielt das NDR Elbphilharmonie Orchester am 15./16. Mai 2026 „Tristan / Préludes für Kavier, Tonbänder und Orchester“ und widmet sich am 21./22. Mai Henzes „Sinfonie Nr. 7“. Das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin hingegen bringt die „Sinfonie Nr. 9“, gewidmet den Widerstandskämpfern gegen das NS-Regime, zur Aufführung. Im Rahmen der Reihe Elbphilharmonie Plus wird zudem der Film „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ mit der Musik von Henze gezeigt (17. Mai).

Im regulären Programm des Internationalen Musikfestes sind – neben den oben genannten – weitere Orchester zu Gast. So wird die Camerata Salzburg am 7. Mai 2026 mit Janine Jansen an der Violine gastieren. Das Ensemble Resonanz führt mit Schauspielerin Meret Becker „Arbeit und Struktur“ auf. In diesem Online-Tagebuch reflektierte der Autor und Illustrator Wolfgang Herrndorf seine Krebserkrankung. Kombiniert wird die musikalische Lesung mit „Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“ von Joseph Haydn. Die Academy of St Martin in the Fields steuert Werke von Jean Sibelius und zwei Klavierkonzerte von Wolfgang Amadeus Mozart bei, am Flügel sitzt Khatia Buniatishvili. Festival-thematisch versiert erklingt zudem die „Abschiedssinfonie“ in fis-Moll von Joseph Haydn.

Teodor Currentzis mit „Dem Andenken eines Engels“

Stardirigent Teodor Currentzis steuert mit seinem Orchester Utopia das Violinkonzert „Dem Andenken eines Engels“ von Alban Berg und die 1. Sinfonie von Gustav Mahler bei. Vilde Frang ist dabei an der Violine zu erleben, am 12. Mai 2026. Das Konzerthausorchester Berlin ist am 27. Mai mit von der Festivalpartie (Beethovens Klavierkonzert Nr. 3 mit Alice Sara Ott und Mahlers 5. Sinfonie), die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen unter Leitung von Jukka-Pekka Saraste bereits am 10. Mai (2. Sinfonie von Johannes Brahms, das Violinkonzert e-Moll von Felix Mendelssohn-Bartholdy sowie die Maurerische Trauermusik c-Moll von Mozart).

Das komplette Programm unter: www.musikfest-hamburg.de

Source: welt.de