Dieses Interview basiert auf Auszügen eines sechsstündigen Gesprächs für den ZEIT-Podcast „Alles gesagt?“. Die Auszüge wurden gekürzt und redigiert, um die Lesbarkeit zu verbessern. Hier geht es zur Originalaufnahme.
Redaktion: Hannah Schraven, Sophia Hubel
DIE ZEIT: Frau Brorhilker, Sie haben als Staatsanwältin die ersten deutschen Prozesse zu Cum-Ex geführt. Heute ist dieses komplexe Verfahren zur Steuerhinterziehung weltbekannt. Können Sie uns beschreiben, wie Sie mit Cum-Ex in Berührung kamen?
Anne Brorhilker: Ich wurde sozusagen gewechselt, weil ich mit Wirtschaftskriminalität eigentlich gar nichts am Hut hatte. Aber bei der Staatsanwaltschaft wurde eine Stelle frei, die musste besetzt werden. Als ich 2013 das erste Mal einen Cum-Ex-Fall auf dem Tisch hatte, war ich schon ein paar Jahre in diesem Segment unterwegs gewesen. Am Vormittag waren die Kollegen vom Bundeszentralamt für Steuern bei der Staatsanwaltschaft und haben den Fall vorgestellt. Das waren sehr korrekte Beamte. Die haben mir das so ganz technisch erklärt. Mit dem Ergebnis, dass ich vormittags ungefähr gar nichts verstanden habe. Nachdem der Arbeitstag zu Ende war, habe ich mich noch mal in Ruhe hingesetzt. Ich habe die einzelnen Schritte mit einem Kuli auf ein Blatt Papier gezeichnet und dann versucht, es nachzuvollziehen. Als ich das alles aufgezeichnet hatte, dachte ich mir: Ach, guck mal, das Prinzip kennst du doch. Das ist ja wie Umsatzsteuerkarusselle. Die hatte ich ein paar Jahre lang gemacht. Da geht es genau darum, dass sich einer eine Steuer erstatten lässt, die der Vordermann nicht abgeführt hat. Im Comic würde jetzt eine Glühlampe aufgehen. Und ich war mir ziemlich sicher, wenn wir herausfinden, dass das so war, dann ist das strafrechtlich relevant. Es gab zu diesem Zeitpunkt noch kein Urteil, muss man dazu wissen. Es war also erst mal Neuland. Aber ich fühlte mich nicht unkomfortabel, weil ich durch diese Zeichnung das Gefühl hatte, dass es das auf einem anderen Feld schon gibt.