Lieferkettengesetz: Wo ist jener Skandal?

Nach reichlich Getöse vorab hat das Europaparlament am Donnerstag getan, was inhaltlich geboten war. Die Abgeordneten haben mehrheitlich die Vorschläge der EU-Kommission zur Vereinfachung der Lieferkettenrichtlinie und diverser Berichtspflichten gebilligt und sind teilweise darüber hinausgegangen. Wenn es die EU auch nur halbwegs ernst ist mit ihrem Bekenntnis zum Bürokratieabbau, dann war dieses Abstimmungsverhalten das einzig richtige. Wenn sich in den bevorstehenden Verhandlungen des Parlaments mit den Mitgliedstaaten das jetzt erzielte Ergebnis ungefähr erreichen ließe, bedeutete das eine echte Entlastung der Unternehmen.

Es ist bezeichnend, dass sich die Sozialdemokraten und Grünen im Parlament kaum auf eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Abstimmungsergebnis einließen. Sie wittern einen Skandal, weil die EVP-Fraktion samt der deutschen CDU/CSU-Abgeordneten teilweise mit den Rechtsparteien für eine Entlastung von Unternehmen gestimmt und so vermeintlich die „Brandmauer“ eingerissen hätten, welche EVP, Liberale, Sozialdemokraten und Grüne einst gegen die Rechten errichtet hatten. Dieser Vorwurf stellt die Fakten auf den Kopf. Es ist vier Wochen her, dass der Rechtsausschuss des Parlaments einen Kompromiss der vier Fraktionen gebilligt hat. Diesen hat das Parlamentsplenum danach zur Freude eines Teils der Sozialdemokraten und der Grünen gekippt.

Dass die EVP ihre eigenen Anträge jetzt weniger verwässert durchsetzen konnte, hat wenig mit einer vermeintlich eingestürzten Brandmauer und viel mit der ideologischen Verbohrtheit von Teilen dieser beiden Fraktionen zu tun, denen die Entlastung der Wirtschaft schlicht egal ist. Die Krokodilstränen der Brüsseler SPD-Abgeordneten sind zudem scheinheilig: Ihr Vorsitzender Lars Klingbeil hat sich in dieser Frage auf die EVP-Seite geschlagen.

Ob das Abstimmungsergebnis ein Meilenstein auf dem Weg zur Weckung neuer Wachstumskräfte in der EU ist, steht dahin. Hätte das Parlament aber anders abgestimmt, wäre der Bürokratieabbau an die Wand gefahren worden, bevor er begonnen hätte.