Können sich Palästinenser gegen Waffenexporte nachher Israel wehren? Klage scheitert
Kann sich ein Palästinenser in Gaza gegen deutsche Waffenlieferungen an Israel wehren? Vor einem Berliner Verwaltungsgericht sind zwei solcher Versuche vorerst gescheitert. Das Gericht hat am Mittwoch zwei Klagen gegen die Exportgenehmigungen deutscher Kriegswaffenlieferungen an Israel abgewiesen. Im ersten Verfahren hatte ein in Gaza lebender Palästinenser die Bundesregierung verklagt. Er forderte, Deutschland solle – solange Israel Gaza besetzt hält – sämtliche Ausfuhrgenehmigungen für Kriegswaffen an Israel aussetzen.
Die Bundesregierung, so der Vorwurf, verletze mit ihren Genehmigungen internationales Recht, weil die gelieferten Waffen gezielt auf eine Weise eingesetzt würden, die gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen – im Kontext, so die anwaltliche Vertretung, eines möglichen Genozids.
Vor Gericht sprach der Sohn des Klägers, der palästinensische Kinderarzt Qassem Masri, seit 2014 deutscher Staatsbürger. Sichtlich bewegt beschrieb er sein Unbehagen angesichts der kühlen juristischen Sprache, mit der vor dem Verwaltungsgericht über das Schicksal der Menschen in Gaza verhandelt wurde. Er appellierte daran, „den Fachleuten zu folgen, die inzwischen in überwältigender Mehrheit sagen, dass Israel einen Völkermord begeht“.
Einer der palästinensischen Kläger wurde im Laufe des Verfahrens in Gaza getötet
Mehrfach verwies er auf das durch Israel zerstörte Gesundheitssystem in Gaza und appellierte an universelle Werte. Seine Motivation, so Masri, sei gewesen, „meinen Eltern sagen zu können, dass ich alle Instanzen durchlaufen habe“. Masri rang während seines Vortrags mit den Tränen.
Im zweiten Verfahren klagten vier Palästinenser aus dem Gazastreifen. Ein fünfter Kläger, der ebenfalls an dem Verfahren beteiligt war, wurde im Laufe des Verfahrens bei einem israelischen Angriff auf einen Imbissstand in Gaza getötet.
Die Klage, die bereits im April 2024 eingereicht wurde, richtete sich ursprünglich gegen eine Exportgenehmigung, die die Bundesregierung am 30. Oktober 2023 an die Rüstungsfirma Dynamit Nobel Defence GmbH in Burbach (NRW) erteilt hatte – zur Ausfuhr von 3.000 tragbaren Panzerabwehrwaffen des Typs Matador.
Klage gegen die Lieferung der Panzerfaust Matador: Im Häuserkampf eingesetzt
Die Beschreibung des Matador als Panzerabwehrwaffe oder Panzerfaust führt insofern in die Irre, als sie in Gaza von israelischen Soldaten für den Häuserkampf eingesetzt wird. Sie zerstört ganze Gebäude – und kam in Gaza in den letzten Jahren regelmäßig zum Einsatz, wie zahlreiche vom israelischen Militär veröffentlichte Videos belegen. Mehrere der noch lebenden Kläger haben bei Israels Angriffen auf Gaza engste Angehörige verloren. Sie wollten die Exportgenehmigung anfechten und verlangten von Deutschland die Feststellung, dass diese Genehmigung rechtswidrig gewesen sei.
Vertreten werden sie vom Berliner Rechtsanwalt Remo Klinger, bekannt durch Verfahren um Dieselfahrverbote und die Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen. Unterstützt wurde er in diesem Verfahren vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR).
Nach mehrstündiger Verhandlung wies das Gericht letztlich beide Klagen aus formalen Gründen ab.
Im ersten Fall erklärten die Richter die Klage für unzulässig, da sie auf vorbeugenden Rechtsschutz ziele – dieser greife jedoch nur dann, wenn in absehbarer Zeit erneut über Waffenexporte entschieden werde. Dies sei derzeit nicht der Fall, so das Gericht, da die Bundesregierung unter Friedrich Merz im August 2025 angekündigt habe, bis auf Weiteres keine neuen Genehmigungen für Kriegswaffen nach Israel zu erteilen. Die Anwältin Bahnweg hätte darüber hinaus nicht ausreichend substantiiert, dass eine Wiederholungsgefahr bestünde, so die Argumentation des Gerichts.
Die Lage in Gaza habe sich „grundlegend verändert“
Auch im zweiten Verfahren sah das Gericht keine hinreichende rechtliche Grundlage. Eine Feststellung der Rechtswidrigkeit könne nur dann erfolgen, wenn eine sogenannte Wiederholungsgefahr bestehe – also die konkrete Aussicht, dass unter ähnlichen Umständen erneut exportiert würde. Eine solche Gefahr liege nicht nachweislich vor. Entscheidungen über Waffenexporte fielen, so das Gericht, in den „Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung“ und seien daher nicht vorhersehbar. Zudem habe sich die Lage in Gaza inzwischen „grundlegend verändert“ – insbesondere durch das von den USA vermittelte Waffenstillstandsabkommen.
Die Vertreter der Bundesregierung verwiesen ebenfalls auf dieses Abkommen zwischen Israel und Hamas. Dieses, so ihr Argument, habe die Lage in Gaza grundlegend verändert. Die Gegenseite widersprach deutlich. Das Abkommen sei brüchig, sagte Rechtsanwältin Bahnweg. Seit Inkrafttreten habe es bis zum 10. November 282 Verstöße gegeben, bei denen 242 Menschen getötet und Hunderte weitere verletzt worden seien.
Rechtsanwalt Remo Klinger warf der von Ulrich Karpenstein vertretenen Bundesregierung vor, sich in der Verteidigung weitgehend auf Formalismen zu stützen. Eine inhaltliche Prognose dahingehend, wie die deutsche Genehmigungspraxis mit dem Völkerrecht vereinbar sein soll, sei nicht substantiiert worden. Die anhaltende Intransparenz der Bundesregierung über eventuelle völkerrechtliche Prüfungen hinsichtlich erteilter Exportgenehmigungen, so Klinger, erschwere es erheblich, ein Verfahren dieser Art überhaupt sachgerecht zu führen.
„Ein bisschen wie in der Türhütergeschichte bei Kafka fühlen wir uns hier schon“, hieß es an einer Stelle während der Verhandlung.
Kann man sich überhaupt gegen deutsche Waffenlieferungen wehren? Der Vergleich mit Ramstein
„Wir verhandeln hier völlig neue rechtliche Fragen“, sagte Klinger nach Ende der mündlichen Verhandlung gegenüber der Freitag. „Etwa: Kann jemand, der im Ausland lebt, sich überhaupt gegen deutsche Kriegswaffengenehmigungen wehren? Gibt es in dieser Konstellation Rechtsschutz? Die Bundesregierung sagt: Nein, das sei regierungsfreies Handeln, das von Gerichten nicht zu überprüfen ist. Wir bezweifeln das und wollen genau diese Grundsatzfrage klären lassen.“
Ob deutsche Exportgenehmigungen dieser Art von Dritten im Ausland angefochten werden können, ließ das Gericht offen. Im sogenannten „Ramstein“-Urteil des Bundesverfassungsgerichts waren zuletzt ähnliche Ansprüche gegen Deutschland im Zusammenhang mit dem Jemen-Krieg geprüft worden. Klinger dazu gegenüber Freitag: „Wenn das Bundesverfassungsgericht schon im Fall Ramstein sagt, dass Ausländer unter bestimmten Umständen Rechtsschutz gegenüber Deutschland beanspruchen können, dann gilt das erst recht, wenn Deutschland selbst eine Genehmigung erteilt hat – und wenn diese rechtswidrig war.“
Im Kriegswaffenkontrollgesetz stehe klar, dass eine Genehmigung nur dann erteilt werden darf, wenn keine völkerrechtlichen Verpflichtungen verletzt werden. „Das basiert auf unserem Grundgesetz, auf Artikel 26“, so Klinger.
Doch genau dazu bleibe die Bundesregierung letztlich jeglicher Substanz schuldig: „Wo ist diese Prüfung? Wo ist das Dokument? Können Sie nachweisen, dass Sie das überhaupt geprüft haben? Das fehlt völlig – und deshalb haben wir erhebliche Zweifel, dass überhaupt nachgeschaut wurde“. Inhaltlich bleibe aber offen, wie die Bundesregierung die Vereinbarkeit ihrer Genehmigungspraxis mit dem Völkerrecht begründet – oder ob sie das überhaupt tut.
Gegen die Urteile des Berliner Verwaltungsgerichts kann ein Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt werden. Klinger kündigte an, den Weg in höhere Instanzen gehen zu wollen: „Es geht hier um grundsätzliche Fragen des Rechts und des Rechtsschutzes – darum, ob man überhaupt überprüfen lassen kann, ob Deutschland das Völkerrecht einhält.“