Klimapolitik: Der lange Zeit Abschied von jener Utopie

Es ist umgekehrt, wie es nun die Grünen darstellen wollen: Nicht die Welt bremst, weil Europa beim Klimaschutz bremst, sondern Europa bremst, weil die Welt nicht so will wie die Europäer. Zwar gibt es in den größten Treibhäusern wie Indien und China Bewegung in die richtige Richtung, aber erstens ist dort nicht einmal der Zeitpunkt klar, wann der CO2-Turbo abgeschaltet wird, und zweitens sollte man sich keine Illusionen machen, dass auch dort der Klimaschutz sich ökonomischen und machtpolitischen Interessen unterzuordnen hat – wie in Amerika oder gar Russland.

Deshalb ist die EU und sind die nationalen Regierungen in Europa gezwungen, ihre vor Jahren festgezurrten Ziele zur Eindämmung des Klimawandels schrittweise zu korrigieren. Die einen, vornehmlich die Osteuropäer, wollen dabei gründlicher vorgehen, die anderen, unter anderem Deutschland, vorsichtiger. Deutschland ist gleich zweifach in einer unvorteilhaften Lage. Es ist nicht mehr in der Position, sich als Vorbild in Europa gerieren zu können, und es gilt auch jenseits der EU als abschreckendes Beispiel für eine selbstzerstörerische Politik. Die Auto-, Stahl- und Chemiegipfel im Kanzleramt sind schließlich nicht nur der Rezession geschuldet, sondern zeugen davon, dass die „Transformation“ zum Ausverkauf einer Industrienation führen kann.

Kein klimapolitischer Revisionismus

In der Abkehr von starren Zielen steckt aber kein klimapolitischer Revisionismus, wie es besonders Protagonisten eines Kurses sehen wollen, die mit dem Klimawandel ohnehin auch gleich den Kapitalismus bekämpfen wollten. Es ist die Rückkehr zu einer alten Frontstellung unter westlichen Klimapolitikern, die Politikern im Allgemeinen nicht fremd sein sollte. Es ist der Gegensatz zwischen einer Politik, die gesinnungsethisch gegen eine Wand rennt, und einer Politik, die durchsetzen will, was real möglich ist.

Die einen konnten ihren Standpunkt immer wieder durch die Katas­trophenmeldungen von Wissenschaftlern festigen, die anderen, die schon vor Jahren prognostizierten, dass dieser Weg der falsche ist, kommen allmählich aus der Defensive. Ein schönes Beispiel dafür ist Bill Gates, der innerhalb kurzer Zeit vom Apokalyptiker zum Pragmatiker geworden ist und dem man nicht vorwerfen kann, sich dazu von Donald Trump treiben zu lassen.

Eine Klimapolitik, die keine Rücksicht darauf nimmt, dass ein Klimawandel nur international, nicht national oder gar regional wesentlich zu beeinflussen ist, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, utopisch zu sein. Städte wie Hamburg, die auf radikale Weise klimaneutral werden wollen, wirken so, als wollten sie das Konzept der „atomwaffenfreien Zone“ auf das Klima übertragen. Der Unterschied besteht im materiellen Aufwand, der auch für Staaten immer schwieriger zu rechtfertigen ist, je weniger sie auf internationale Unterstützung bauen können. Der Effekt einer rigiden Klimapolitik ist dann buchstäblich schnell verpufft.

Die Krise des Emissionshandels

Übertriebene Ziele scheitern auf diese Weise an der Wirklichkeit. Das betrifft nun auch eines der wichtigsten Mechanismen einer CO2-Eindämmung, den Handel mit Emissionszertifikaten. Sie sind bislang das beste marktwirtschaftliche Mittel, um über die Preisbildung Anreize zum Weg aus dem Treibhaus zu weisen. Aber auch für den Emissionshandel gilt: Bleibt er eine Insellösung in einer Welt, die sich nicht auf gleiche Bedingungen einigen kann, gefährdet er die Wettbewerbsfähigkeit energieintensiver Industrien. Obendrein wurde er immer wieder Opfer einer kompromisslosen Politik, die den Marktmechanismen nicht vertraut und deshalb Zielmarken, Ausstiege und Vorschriften draufsattelte. Zwei Korrektive, die dagegen existenziell sind, mussten früher oder später hinzukommen: der Schutz vor Importen und die Subventionierung von Exporten. Ausgang offen.

Es ist nicht so, dass der Druck aus dem klimapolitischen Kessel weicht, je näher Wirtschaft und Privathaushalte der Klimaneutralität kommen. Im Gegenteil. Nicht die ersten Schritte sind die schwierigsten, sondern die letzten, und Deutschland hat gerade einmal die halbe Strecke hinter sich. Das ist sehr viel im internationalen Vergleich, lässt aber daran zweifeln, ob die Politik dem wachsenden Druck standhalten soll, wenn sie dabei Augenmaß und ein Gefühl für Verhältnismäßigkeit verliert. Es war nicht einfach so dahingesagt, als Wissenschaftler infrage stellten, dass die Demokratie geeignet sei, um die klimapolitische Herausforderung zu meistern. Sie wollten damit eine Politik goutieren, die über jedes Stöckchen springt, wenn ihr ein Katastrophenszenario vorgehalten wird.

Es ist richtig, was Bill Gates dem entgegensetzt, verkürzt gesagt: Besser die Folgen des Klimawandels mit Realismus bekämpfen als die Ursachen mit Utopismus. Es wäre selbstzerstörerisch, wenn sich westliche Industrieländer um eines minimalen Effekts willen ruinieren und damit der Mittel berauben, die anders weit besser eingesetzt wären.

Source: faz.net