Steuerbetrug | Cum-Cum-Skandal: Milliardenbetrug ohne Konsequenzen

Es ist ruhig geworden um das Thema Steuergerechtigkeit. Dabei wäre es für Politik und Öffentlichkeit im wahrsten Sinne des Wortes gewinnbringend, mehr darüber zu sprechen. Zum Beispiel über die wenig beachteten, steuerrechtlich unzulässigen Cum-Cum-Geschäfte, durch die der deutsche Fiskus 28,5 Milliarden Euro verloren hat.

„Es ist krass, wie die geführten öffentlichen Debatten von den Themen ablenken, die wirklich was bringen würden“, sagt die finanzpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, Katharina Beck, im Gespräch mit dem Freitag. Sie verweist auf die Debatte zum Bürgergeld. Die wochenlang diskutierte, vermutlich verfassungswidrige neue „Grundsicherung“ wird im Haushaltsjahr 2026 wohl Einsparungen von gerade einmal 86 Millionen Euro bringen.

Die Aufarbeitung von Cum-Cum steht, im Gegensatz zu der der bekannteren Cum-Ex-Deals, noch ganz am Anfang. Dabei steht noch mehr Geld auf dem Spiel als bei Cum-Ex, wo der Schaden „nur“ zehn Milliarden Euro betrug. Die gute Nachricht ist, dass sich Politik und Behörden diese und noch weitere gestohlene Steuermilliarden zurückholen könnten – indem sie Verjährungsfristen verlängern, Gesetzeslücken schließen und konsequent ermitteln. Das sollten sie auch. Es geht nicht nur darum, Geld zu haben oder nicht zu haben, für Sozialstaat oder Infrastruktur, sondern auch um Steuergerechtigkeit. Von Cum-Cum profitierten nicht Kleinanleger, sondern Großbanken und institutionelle Anleger, aber auch Sparkassen und Volksbanken.

Erinnern wir uns kurz, wie Cum-Cum-Geschäfte funktionierten. „Cum“ bedeutet auf Latein „mit“, gemeint sind Aktien „mit“ Dividenden. Wenn ein deutsches Unternehmen an seine Aktionäre eine Dividende auszahlt, gilt diese als Einkunft aus Kapitalvermögen. Darauf wird die sogenannte Kapitalertragssteuer fällig. Deutsche Aktieninhaber können sich diese anrechnen und dadurch komplett erstatten lassen. Für ausländische Aktieninhaber ist dies nur teilweise möglich.

Was Lars Klingbeil getan hat

Mit dem Cum-Cum-Trick haben ausländische Aktieninhaber diese Regelung umgangen, indem sie die Aktie kurz vor dem Dividendenstichtag einer deutschen Bank liehen. Die Bank kassierte die Dividende, führte die Kapitalertragssteuer ab und ließ sie sich dann wieder erstatten. Kurz nach dem Stichtag gab sie dem ausländischen Inhaber die Aktie zurück, samt steuerfreier, vollständiger Dividende. Einen kleinen Teil der Dividende behielt die Bank für sich ein.

Cum-Cum war seit den 1990er Jahren eine geläufige Praxis, die sich zunächst in einer gesetzlichen Grauzone bewegte. Manche Experten gehen davon aus, dass es ab dem Jahr 2001 nicht mehr legal möglich war, aber von den Finanzbehörden trotzdem nicht verfolgt wurde. Öffentlich bekannt wurden die Geschäfte erst 2016 durch Recherchen von BR, Handelsblatt, Washington Post und ProPublica. Unter politischem und öffentlichem Druck beschloss das Finanzministerium noch im selben Jahr eine Gesetzesänderung und schob Cum-Cum damit einen Riegel vor. Ein Großteil der Fälle wurde bisher jedoch noch nicht aufgearbeitet: Von den hinterzogenen 28,5 Milliarden Euro wurden bisher nur 226 Millionen Euro zurückgefordert, Fälle mit einem Volumen von 7,3 Milliarden Euro sind in Bearbeitung.

Doch die Zeit drängt. Zwar liegt die Verjährungsfrist bei schwerer Steuerhinterziehung bei 15 Jahren. Jedoch ist die Aufbewahrungsfrist für Buchungsbelege und Rechnungen deutlich kürzer. Wenn der Staat die Fälle also nachverfolgen will, muss er das tun, bevor die Banken die Belege vernichten dürfen.

2024 hatte das Bürokratieentlastungsgesetz IV die Aufbewahrungspflicht für Buchungsbelege von zehn auf acht Jahre verkürzt. Katharina Beck und die Grünen-Fraktion kämpften damals erfolgreich dafür, die Aufbewahrungsfristen im Finanzsektor für ein weiteres Jahr bei zehn Jahren zu belassen – denn wenn Belege im Schredder landen, kann man nicht mehr ermitteln. Da dieses eine Jahr von den Ermittlungsbehörden nicht ausreichend genutzt wurde, setzten sich Beck, die Grünen und der Verein Finanzwende dafür ein, die zehn Jahre im Finanzsektor dauerhaft beizubehalten. Einen Antrag der Grünen zur Verlängerung der Fristen haben CDU und SPD zwar abgelehnt. Dann aber nahm Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) den Vorschlag im August 2025 doch auf.

Betrugsfälle müssen auch nachverfolgt werden

„Der entsprechende Gesetzentwurf des Kabinetts ist gerade im Parlament. Er soll am 15. November im Finanzausschuss und eine Woche später im Plenum beschlossen werden“, sagt Grünen-Finanzpolitikerin Beck. „Aber so, wie ich die Machtverhältnisse im Finanzbereich kenne, kämpfen einige gerade bestimmt dafür, dass das wieder gestrichen wird.“ Sie verweist auf Zahlen von Finanzwende e. V., die den Einfluss der Finanzlobby illustrieren. Laut Recherchen des Vereins gibt diese jährlich fast 40 Millionen Euro für Lobbyarbeit aus, mehr als Chemie- und Autolobby zusammen. Sie beschäftige 442 Lobbyistinnen und Lobbyisten, also umgerechnet fast zehn für jedes Mitglied des Finanzausschusses im Bundestag, so der Verein.

Freilich reicht es nicht, die Aufbewahrungsfristen für Belege zu verlängern, die Betrugsfälle müssen auch nachverfolgt werden. Dafür zuständig sind primär die Bundesländer, in denen die Banken ansässig sind, sowie das Bundeszentralamt für Steuern. „Auf Bundesebene sollten vor allem die Bundesbetriebsprüfer ihre Prioritäten auf die Nachverfolgung der besonders relevanten Fälle legen“, fordert Beck.

Dahingehend habe es noch nicht ausreichend Fortschritte gegeben. „Man sollte bei Themen wie Cum-Cum auch darüber nachdenken, Kompetenzen im Bund zu bündeln.“ Wichtig ist ihr außerdem, dass Gesetzeslücken geschlossen werden: „Wir müssen davon ausgehen, dass es neben Cum-Cum und Cum-Ex noch weitere, ähnliche Modelle für illegale Steuergestaltung gibt.“ Eine Lücke in Deutschland sei etwa die Steuerfreiheit von Wertpapierleihgebühren. Als Beispiel für bereits bekannte Formen des internationalen Steuerbetrugs nennt Beck Umsatzsteuerkarusselle. Bei denen müsse vor allem auf EU-Ebene gehandelt werden.

Cum-Cum und Cum-Ex sind wohl nur die prominente Spitze des Eisbergs. Die Schätzungen dazu, wie viel Geld dem deutschen Staat durch Steuerhinterziehung und -vermeidung insgesamt pro Jahr entgeht, gehen auseinander. Einer britischen Studie zufolge waren es im Jahr 2015 aber sage und schreibe 125 Milliarden Euro – man rechne diese ungeheure Summe nur einmal in Schulen, Krankenhäuser, Bahnlinien oder Sozialwohnungen um.

Wenn der Staat also tatsächlich gegen Sozialschmarotzer vorgehen will, sollte er nicht bei Menschen anfangen, die Anspruch auf Bürgergeld haben. Im Kampf gegen Steuerhinterziehung, aggressive Steuergestaltung, Geldwäsche oder Schwarzarbeit gäbe es schließlich um ein Vielfaches mehr zu holen.

Auch weitergehende Änderungen in der Steuerpolitik würden sich lohnen, zum Beispiel die Abschaffung von Steuerprivilegien für Superreiche: Dadurch könnten laut Finanzwende-Berechnungen in Deutschland pro Jahr 80 Milliarden Euro gewonnen werden.