„Bugonia“ : Die Wut im Keller
Eine Wut geht um. Als umfassendes Lebensgefühl erfasst sie die Leinwand, verschlingt Familien, bringt Provinzstädtchen in Aufruhr, verbirgt sich in vollgerümpelten Kellern. Es ist die Wut von Menschen, die sich übersehen, abgehängt, verraten, verlassen fühlen, und sie bringt großes amerikanisches Kino hervor – explosive Provinzpossen, hintersinnige Grotesken, abgedrehte Science-Fiction-Filme.
In Bugonia von Yorgos Lanthimos, Regisseur der Filme The Favourite und Poor Things, gärt sie im Untergeschoss eines abgelegenen Holzhauses irgendwo in Georgia. Der Hinterwäldler Teddy (Jesse Plemons) hat sich mit seinem Cousin und Gefolgsmann in dem heruntergekommenen Gebäude verbarrikadiert und plant seinen großen Auftritt. Er will die Vernichtung der Erde durch Aliens verhindern. Als deren Abgesandte hat er die prominente Chefin eines Biotech-Konzerns ausgemacht. Er entführt sie, auch weil er ihr Unternehmen für die Umweltschäden und die tödliche Erkrankung seiner Mutter verantwortlich macht. Allerdings ist er da an die Falsche geraten. Oder an genau die Richtige. Denn sie wird von Emma Stone gespielt.
Kleiner Mann, was nun? Das fragt mit diversen Eskalationsstufen auch der Überflieger-Film des Jahres One Battle After Another. Der Regisseur Paul Thomas Anderson überzeichnet einen Colonel (Sean Penn) zur muskelbepackten, sexuell frustrierten Karikatur. Als er von einem rechtsextremen Geheimzirkel angeworben wird, wittert der Militär seine große Chance. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann dem Mann der Kragen seiner chronisch zu eng geknöpften Hemden platzt. Auch Joaquim Phoenix’ eher trotteliger Sheriff will in Eddington von Ari Aster (Kinostart in Deutschland 20. November) hoch hinaus, während der Coronapandemie lässt er sich als Bürgermeister des titelgebenden Provinzstädtchens aufstellen. Doch anstatt die Gräben zwischen den politischen Lagern (Querdenker, Abtreibungsgegner, Waffenfetischisten, Black-Lives-Matter-Demonstranten) zuzuschütten, reißt er sie weiter auf, ein Amoklauf in Zeitlupe beginnt. Nur nebenbei sei erwähnt, dass Emma Stone auch in diesem amerikanischen Delirium mitspielt.
Die drei Protagonisten dieser Filme fühlen sich als Untergrundkämpfer, doch ist ihnen sozusagen der Obergrund abhandengekommen. Wie Maulwürfe wühlen, wüten und kämpfen sie sich durch den eigenen Wahn. Erbarmungslos, bis hin zur physischen Zerstörung, werden sie mitsamt ihren hochtrabenden Plänen auseinandergenommen.
Ausgezehrt von Hass und Frust wirkt der Paketpacker und Bienenzüchter Teddy in Bugonia. Sein beigefarbener Anzug aus besseren Zeiten ist drei Nummern zu groß. Seine Selbstachtung ist in den Keller gezogen. Teddy hat ihn zur Kommandozentrale seiner Verschwörungstheorien umfunktioniert, zum Gefängnis mit Elektroschockgerät. An den Wänden hängen Zeitungsausschnitte, physikalische Berechnungen, Zeichnungen und Nachbauten von Raumschiffen,
„Willkommen im Hauptquartier des menschlichen Widerstandes“ – so begrüßt Teddy die Managerin Michelle Fuller in seinem Haus. Kahl geschoren (die Haare könnten der Kommunikation mit dem Alien-Mutterschiff dienen), eingeschmiert mit einer weißlichen Antihistaminikum-Salbe (schwächt die DNA von Außerirdischen), kommt Fuller nach ihrer Entführung (mit Jennifer-Aniston-Tarnmasken) langsam wieder zu sich. Dieser Keller ist aufgenommen mit einem Fischaugenobjektiv, der 180-Winkel weitet den Raum und verzerrt die Gesichter.
Willkommen in einer weiteren Versuchsanordnung von Yorgos Lanthimos. Es ist auch ein Duell. Sobald Michelle ihre Augen nach der Betäubung auch nur einen Millimeter öffnet, ist sie im Kampfmodus.
Eingeführt wird Emma Stones Figur mit ihrem allmorgendlichen Einzug in die protzig kühle Konzernzentrale. Jeder Schritt ihrer hochhackigen Schuhe hallt nach, jeder Satz ist ein Befehl. Als sie einem TV-Team ein Interview zur praktizierten Diversität in ihrem Unternehmen gibt, überspielt ein professionell einstudiertes Lächeln ihren Widerwillen. Gute Miene zum bösen Spiel macht Michelle auch in Teddys Keller. Sie ist die Kriegerin ihrer Klasse, eine Demagogin der kapitalistischen Eliten, noch in Handschellen kann sie den von der Entführung berauschten Entführer manipulieren und seine Verschwörungstheorie gegen ihn selbst wenden. Je mehr sie einstecken muss, desto stärker scheint sie zu werden.
Einmal zeigt die Kamera Teddy auf seinem Fahrrad, nah und frontal. Wie besessen tritt er in die Pedale, das Gesicht von Anstrengung und Wut entstellt. Er fühlt sich als Verfechter der Gerechtigkeit und ist doch nur Ausführender von Michelles fatalen Anweisungen.
Auch in dieser Groteske von Yorgos Lanthimos liegt eine Zeit- und Gesellschaftsanalyse. Und das Ergebnis ist erwartungsgemäß nicht schön: Die gläserne Fassade der Konzernzentrale ist verspiegelt. Teddy hat die Fenster seines Hauses mit Alufolie beklebt. In das eine Gebäude kann niemand hinein-, aus dem anderen kann niemand hinausblicken. Es braucht zwei großartig physische Schauspieler wie Emma Stone und Jesse Plemons, um diese innerlich wie äußerlich hochgerüsteten Gegner zu spielen, die einander nicht sehen und sich doch plötzlich anschauen müssen.