Deutsche Wirtschaftspolitik: Unbequeme Mahnerin

Endlich habe Deutschland eine Wirtschaftsministerin, die etwas von Wirtschaft verstehe: Mit diesem Lob hatte BDI-Präsident Peter Leibinger Katherina Reiche vor gut einem Monat im Haus der deutschen Wirtschaft in Berlin den roten Teppich ausgerollt. Als die frühere Vorstandschefin eines Energieunternehmens am Dienstag wieder dort auftrat, widerstand Reiche der Versuchung, umgekehrt ihren früheren Kollegen zu schmeicheln. Stattdessen sprach die Wirtschaftsministerin das aus, was viele im Land dieser Tage denken: Warum nur haben sich Autohersteller und Zulieferer so sehr von Mikrochips eines Anbieters – gemeint ist Nexperia – abhängig gemacht? Haben die Coronapandemie und die Gaskrise nicht eindrücklich gezeigt, wie verwundbar Unternehmen dadurch sind?

Die Politik war auch naiv

Reiche hat recht: Viele Unternehmen haben sich in den vergangenen Jahren zu sehr auf möglichst günstige Beschaffungskosten fokussiert – im Vertrauen darauf, dass der Staat ihnen im Krisenfall auch diesmal wieder helfen wird. Naiv war aber auch die Politik. In Brüssel wie in Berlin hat man sich an der Vorstellung berauscht, sowohl die Chinesen als auch die Amerikaner ließen sich mit ambitionierten Klimaschutz- und Sozialstandards beeindrucken. Die Konzentration auf diese Themen hat die EU als Handelspartner nicht gestärkt, sondern geschwächt.

Noch immer wirkt Reiche wie eine einsame Mahnerin, wenn sie auflistet, wie unattraktiv die hohen Steuern, die hohen Sozialabgaben und das Dickicht aus Bürokratie speziell den Standort Deutschland machen. Grundsatzreden helfen wenig, wenn nicht nur die Sozialdemokraten, sondern auch ihre Kollegen in der Union Reformen blockieren. Zugleich lässt Reiche auch selbst Lücken, allen voran in der Außenwirtschaftspolitik. Mit ihrer Reise in die Ukraine hat sie zwar ein Zeichen gesetzt. Mindestens ebenso wichtig wären aber Besuche bei den wichtigsten Handelspartnern Deutschlands. Reiche selbst hat auf dem Außenwirtschaftstag angemerkt, wie systematisch der amerikanische Präsident Donald Trump die Länder Asiens bereist, um die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu stärken. Diesem Beispiel könnte sie gut folgen.