Revolte gegen Bürgergeld-Sanktionen: Endlich macht die SPD-Linke ihren Job
Gute Nachrichten: Es gibt sie noch, ein paar SPD-Linke! Mit einem Mitgliederbegehren wollen sie die Sanktionen im Bürgergeld aufhalten. Wie realistisch ist dieser Vorstoß?
Juso-Chef Philipp Türmer
Foto: Florian Gärtner/Imago/Photothek
Man muss es mal so klar sagen: Auf die Jusos und manche SPD-Linke ist noch Verlass. Ja, es gibt viel hämisches Lachen über die Sozialdemokraten, deren „Sozial“-Ministerin Bärbel Bas den Schutz der ohnmächtigsten Bürgergeld-Empfänger*innen unter dem Druck der Union verkauft hat für eine stabile Bundesregierung. Seit der Agenda 2010 mag man sich ohnehin nicht mehr wirklich aufregen über die „Sozial“-Politik der SPD. Und gerade deshalb ist es alles andere als selbstverständlich, einmal festzustellen: Juso-Chef Philipp Türmer macht gerade seinen Job.
Der besteht darin, wenigstens jene sozialen Härten zu verhindern, die mutmaßlich verfassungswidrig sind – wie Sanktionen im Bürgergeld, die in die Obdachlosigkeit münden. Und das versuchen die Jusos jetzt zusammen mit anderen linken Teilen der SPD-Basis: Sie reden nicht nur, sondern starten konkret ein Mitgliederbegehren gegen die von der Koalition geplante Bürgergeldreform. Einer der Organisatoren ist Juso-Chef Philipp Türmer. Unterschrieben ist das Begehren außerdem von der SPD-Europaabgeordneten Maria Noichl sowie Aziz Bozkurt, Vorsitzender der AG Migration und Vielfalt in der SPD. Die letzten aufrechten Linken in der SPD?
Das sind die Forderungen im SPD-Mitgliederbegehren zum Bürgergeld
Worum geht es? „Die SPD darf keine Politik mittragen, die Armut bestraft“, heißt es in dem Text. Die Forderungen der SPD-Linken sind:
- Erstens soll die Verschärfung der Sanktionen im Bürgergeld verhindert werden. Bislang plant die Bundesregierung, verpasste Termine beim Jobcenter mit einer Kürzung des Regelsatzes bis hin zur völligen Streichung der Zahlungen – inklusive der Miete – zu sanktionieren. Das wollen die SPD-Linken aufhalten: „Sanktionen, die das Existenzminimum gefährden, widersprechen der Menschenwürde“, schreiben sie. Davor hatte unter anderem die Sozialaktivistin Helena Steinhaus hier im Freitag gewarnt.
- Zweitens fordern sie Unterstützung, Qualifizierung und psychosoziale Hilfe für Betroffene, damit der Sozialstaat effizienter funktioniert und trotzdem unterstützt.
- Und drittens soll sich die SPD in den Debatten über das Bürgergeld und Armut anders positionieren – und eine Vermögenssteuer fordern: „Die Diskussion um das Bürgergeld ist auf die Ursachen von Armut zu lenken anstatt auf symbolpolitische Maßnahmen.“ Es dürfe keine Wiederauflage der Agenda 2010 geben und „damit auch keine pauschale Kürzung sozialer Leistungen“.
Das Begehren könnte die Bürgergeldreform tatsächlich aufhalten. Konkret muss zunächst ein Prozent der SPD-Mitglieder das Begehren unterschreiben, damit es offiziell eingeleitet ist. Die SPD hat – nach eigenen Angaben, Stand Ende 2024 – rund 357.000 Mitglieder, es müssten also 3.570 Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten aus verschiedenen Bundesländern unterschreiben. Dann müssen die Genoss*innen innerhalb von drei Monaten die Unterstützung von 20 Prozent der Mitglieder finden, das geht per Online-Befragung. Gelingt dies, muss sich als Nächstes der Parteivorstand damit befassen.
Der Parteivorstand muss dann entscheiden, ob er einen Mitgliederentscheid durchführt, oder er muss die Forderungen so umsetzen.
Die SPD zwischen Friedrich Merz und den letzten linken Sozialdemokraten
2019 hatten die Jusos um Kevin Kühnert schon einmal versucht, Sanktionen komplett abzuschaffen – und sind an der SPD-Spitze gescheitert. Diese milderte die Sanktionen nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts immerhin ab. CDU-Chef Friedrich Merz gab dann das Wahlversprechen, den Haushalt durch Einsparungen im Bürgergeld zu sanieren, ein rechtspopulistisches Versprechen, das durch reale Einsparungen kaum abgedeckt ist. Kann die SPD es mit diesem Druck durch die Union aufnehmen? Wohl nur, wenn der Druck aus der linken Parteibasis stark genug ist.
Zwar ist traurig, wie dünn die Decke der Namen derzeit ist, die diesen Vorstoß covern; dennoch zeigt dieses Mitgliederbegehren, dass das Herz der Sozialdemokratie noch schlägt, irgendwo in dieser Republik. Ist es groß genug? Das wird sich daran zeigen, ob es den verbliebenen linken SPDlern gelingt, genug Unterstützung für dieses Mitgliederbegehren zu finden.