Niederlande: Neuwahlen ohne klare Favoriten

In den Niederlanden wird am 29. Oktober zum zweiten Mal innerhalb von nur zwei Jahren eine neue Regierung gewählt. Grund dafür ist ein Bruch der Koalition um den Rechtspopulisten Geert Wilders und seine Partei für die Freiheit (PVV). Die Ausgangslage kurz vor der Wahl: Die PVV hat in den vergangenen Tagen ihren Vorsprung eingebüßt, alle größeren Parteien haben eine Zusammenarbeit mit ihr bereits ausgeschlossen. Eine neue Koalition gilt als sicher. Die Wahlen in den Niederlanden im Überblick:

Wer hat bisher in den Niederlanden regiert?

Die bisherige niederländische Regierung bestand aus einem rechten Bündnis aus vier Parteien. Die stärkste Partei bei der Parlamentswahl 2023 war die rechtspopulistische Partei für die Freiheit (PVV) von Geert Wilders (23,5 Prozent). Bis zum finalen Antritt der neuen Koalition dauerte es allerdings weitere 223 Tage. Die rechtsliberale Partei VVD (15,3 Prozent) des ehemaligen niederländischen Premierministers Mark Rutte, die NSC (12,9 Prozent), eine neu gegründete rechtskonservative Partei eines ehemaligen Christdemokraten, und die BBB (4,6 Prozent), eine europaskeptische rechte Partei niederländischer Bauern, konnten sich mit Wilders‘ Partei einigen und am 2. Juli 2024 ihre Arbeit aufnehmen. Geert Wilders wurde nicht neuer Premierminister und übernahm selbst kein Amt in der Regierung, ein Zugeständnis aus den Koalitionsverhandlungen. Stattdessen einigten sich die Parteien auf den unabhängigen Dick Schoof. Er war zuvor Chef des Geheimdienstes und der Antiterrorbehörde.

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Warum wurde die Wahl vorgezogen?

Die neu gewählte Regierung um Premierminister Dick Schoof hielt nur elf Monate. Am 3. Juni 2025 verließ die VVD von Geert Wilders die Koalition. Hintergrund war ein Zehn-Punkte-Plan zum Umgang mit Migration und Asyl, den Wilders ohne Absprache mit den übrigen Regierungsparteien entworfen und vorgestellt hatte. Bereits bei der Vorstellung des Planes drohte er an, dass seine Partei „weg“ aus der Regierung sei, sollten die drei Koalitionspartner der Umsetzung nicht zustimmen. Der Zehn-Punkte-Plan enthielt unter anderem die Forderung, die niederländischen Grenzen für Asylsuchende zu schließen, mehrere Tausend Syrerinnen und Syrer in ihr Herkunftsland zurückzubringen und den Familiennachzug zeitweise auszusetzen. Die Regierungsparteien VVD, NSC und BBB reagierten mit Wut und Unverständnis auf Wilders‘ Alleingang und verweigerten die Zustimmung, zumal Wilders keine Zugeständnisse seinerseits anbot. Als auch ein Krisentreffen der vier Regierungschefs keinen Erfolg brachte, erklärte Wilders den Austritt seiner Partei aus der Koalition.

Im August verließen auch die Minister der NSC die Koalition, nachdem sie sich nicht auf Sanktionen gegen Israel einigen konnten. Bis zur Neuwahl regiert eine Minderheitsregierung aus VVD und BBB mit 32 von 150 Sitzen im Parlament.

Schon die Vorgängerregierung unter Premierminister Mark Rutte löste sich vorzeitig auf. Das Ende der im Januar 2022 vereidigten Regierung hätte planmäßig erst 2025 sein sollen. Im Juli 2023 löste sich die Regierung jedoch auf, nachdem sich die Koalitionsparteien von VVD, linksliberalen Demokraten der Partei D66 und Christdemokraten der Partei CDA nicht auf einen Kurs in der Flüchtlingspolitik einigen konnten.

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Wie ist die Bilanz der Vorgängerregierung?

Von Beginn an gab es immer wieder Streit in der Vier-Parteien-Regierung. Bereits im Herbst 2024 kam es zu einer Regierungskrise. Damals hatte die NSC angedroht, die Regierung zu verlassen, weil es zu rassistischen Äußerungen im Parlament gekommen sein soll. Damals machte Premierminister Schoof marokkanische Niederländer für gewaltsame Ausschreitungen bei einem Fußballspiel des israelischen Fußballclubs Maccabi Tel-Aviv in Amsterdam verantwortlich. Eine NSC-Politikerin mit marokkanischem Hintergrund reichte daraufhin ihren Rücktritt ein. In mehrstündigen Krisengesprächen konnten die übrigen NSC-Politiker von einem Verbleib in der Regierung überzeugt werden.

Die Koalition hatte sich zum Antritt einen strengen Asyl- und Migrationskurs vorgenommen. In vielen Fragen konnten sich die Parteien allerdings nicht einigen. Vonseiten der Oppositionsparteien wurde der Regierung häufig Chaos vorgeworfen. Im Wahlkampf wurde dieser Vorwurf auch vom Spitzenkandidaten der christdemokratischen Partei CDA, Henri Bontenbal, ausgesprochen. Die CDA ist eine Schwesterpartei der CDU/CSU.

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Wer ist der Favorit bei den Wahlen?

Trotz des vorzeitigen Endes der PVV-geführten Regierung steht die Partei von Geert Wilders in Umfragen weiterhin vorn. Den Zahlen des Instituts Ipsos I&O zufolge hat der Rechtspopulist im Vergleich zu 2023 aber deutlich an Stimmen eingebüßt. Derzeit käme die PVV auf 20 Prozent der Stimmen, umgerechnet 26 der 150 Parlamentssitze. Zwei Jahre zuvor erreichte die Partei noch 37 Sitze. Alle Parteien haben eine Zusammenarbeit mit Wilders nach der Wahl ausgeschlossen. Erneut regieren wird die PVV voraussichtlich also nicht. 

Kurz hinter der PVV liegt laut Umfrage das rot-grüne Bündnis mit 23 Sitzen. Ihr Spitzenkandidat ist Frans Timmermans, ehemals Vizepräsident der EU-Kommission und EU-Klimakommissar. Schon 2023 erreichte das rot-grüne Bündnis den zweiten Platz hinter der PVV.

Einen großen Sprung nach vorn im Vergleich zu 2023 könnte die sozialliberale Partei D66 schaffen. Sie erreicht nach aktuellen Zahlen 22 Sitze im Parlament und steigert sich damit von zuvor nur neun Plätzen deutlich. Ihr Kandidat Rob Jetten ist 38 Jahre alt und übernahm bereits mit 31 Jahren den Vorsitz der Partei. 

Noch mehr steigern könnte sich die Partei CDA. 2023 erreichten die Christdemokraten lediglich fünf Sitze im Parlament. Seitdem wurde sie jedoch von ihrem Spitzenkandidaten Henri Bontenbal mit einem bewusst „antipopulistischen“ Kurs weiter nach vorn gebracht. Bontenbal will mit einem, nach eigenen Worten, „anständigen“ Wahlkampf weg von dauernden Streitigkeiten in der Regierung.

Für die vorherigen Regierungsparteien VVD, BBB und NSC werden laut Umfrageergebnissen Verluste anstehen. Die VVD erreicht nur 16 Parlamentsplätze (vorher 24), BBB kommt auf vier (vorher sieben), die NSC könnte sogar alle ihre 20 Sitze verlieren.

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Was sind die wichtigsten Themen im Wahlkampf?

Bei den niederländischen Wählerinnen und Wählern stehen in diesem Jahr die Themen Wohnen, Einwanderung, Gesundheit, Kriminalität und Lebenshaltungskosten ganz oben auf der Prioritätenliste. Das ergab eine Umfrage der niederländischen öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendung EenVandaag. Die anhaltende Wohnungskrise sei das größte Problem und beschäftige in dem dicht besiedelten Land vor allem die junge Bevölkerung und Menschen mit geringem Einkommen. In Ballungsräumen finden sie nur schwer eine bezahlbare Wohnung.

Die Themen Asyl und Migration werden weiterhin kontrovers diskutiert. Insbesondere die Unterbringung von geflüchteten Menschen und Asylbewerbern, aber auch der Umgang mit den verschiedenen Migrationsformen ist zwischen den politischen Parteien häufig ein Streitthema.

Beim Thema Außenpolitik diskutieren die Parteien besonders intensiv über eine mögliche Anerkennung eines palästinensischen Staates. Das rot-grüne Bündnis setzt sich dafür ein, die CDA nur unter bestimmten Voraussetzungen. Die PVV und VVD lehnen es ab.

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Wie läuft die Wahl in den Niederlanden ab?

In den Niederlanden gibt es keine Fünf-Prozent-Hürde. Deswegen verteilen sich die 150 Parlamentsplätze auf 27 Parteien. Dass eine Partei die absolute Mehrheit von 76 Plätzen erreicht, ist nahezu ausgeschlossen. Deshalb ist eine Koalition aus mehreren Parteien notwendig. Entsprechend lange kann die Bildung eines Regierungsbündnisses dauern, auch wenn die Verhandlungen direkt am Wahlabend beginnen.

Mit Agenturmaterial von AFP

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