Theater | Auf dünnem Eis: Philippe Quesnes Vampire tanzen aufwärts dem Gletscher
In der Inszenierung „Vampire’s Mountain“ wird der Mythos des Vampirs dekonstruiert: Horror weicht ironischer Melancholie. Doch wo bleibt der Blick auf eine untergehende Welt und den eigentlichen Grusel der Welt?
Diese Vampire sind nicht im Wald zusammengetroffen, um ihren abgründigen Durst zu stillen
Foto: Martin Argyroglo
Sie haben einen Hang zum Blassen, das liegt wohl in ihrem Wesen. Doch kennen wir Vampire vor allem als Geplagte unstillbarer Leidenschaft, aus der sich Böses speist. Nicht so im Deutschen Schauspielhaus Hamburg, wo derzeit ein Club der Vampire zu beobachten ist, der sich durch erstaunlich phlegmatische Affektlagen auszeichnet.
Vampire’s Mountain, die mit Spannung erwartete Inszenierung des international erfolgreichen französischen Regisseurs Philippe Quesne, beginnt im dunklen Tannenwald. Ein choraler Gesang, der das Dunkel vertieft, eine Gruppe Ausgestoßener, die sich zwischen den Schatten erahnen lässt – alles deutet zunächst auf eine unheimliche Schauerszenerie, ganz im Sinne der Romantik, hin. Doch als Licht in den Bühnenraum tritt, verfliegt jeder Anlass zum Grusel.
Willkommen bei den Goths
Diese Vampire sind nicht im Wald zusammengetroffen, um ihren abgründigen Durst zu stillen. Vielmehr wird das Hamburger Publikum Zeuge einer Party melancholisch-intellektualistischer Goths der eher harmlosen, tragikomischen Art.
Eine Handnebelmaschine sorgt für etwas Effekt, mit einem Sarg wird die Erweckung zum Untoten ironisch nachgeahmt, ab und an gibt es Ausflüge in dunklere Gefilde kultureller Referenzen: Beckett wird vorgetragen, Bachs Kirchenkantate – „Ach wie flüchtig / Ach wie nichtig / Ist der Menschen Leben!“ – zum Soundtrack, natürlich auch das mit subtiler Ironie.
Das größere Problem dieser Gemeinschaft, ihr Lebensstoff, scheint eher mit der Frage zu tun zu haben, wie die Stimmung wenigstens etwas am Laufen gehalten wird, als mit jener, wo die nächste blutrünstige Verführung stattfindet.
Vampire am Rande der Moderne
Was für den ersten Schauer, für eine echte Überwältigung sorgt, sind nicht etwa die vampirischen Performer, sondern es ist das fantastische Bühnenbild (Quesne, der aus der bildenden Kunst kommt, unter Mitarbeit von Elodie Dauget) selbst, das seinen großen Auftritt hat: Der Tannenvorhang fällt und vor uns und den Vampiren, gleichermaßen sprachlos, eröffnet sich ein erhabenes, schneebedecktes Bergmassiv in unendlicher Weite.
Quesne versucht, das ganze Projektionsfeld des Unheimlichen, aus dem sich der Vampir seit dem 19. Jahrhundert nährt, ins Wanken zu bringen. Lebte der Vampir in der kapitalistischen Moderne auf der Schattenseite eines zu leichtgläubigen Fortschrittsverspechens und erinnerte mit seiner Existenz an die verdrängten Seiten von Ausbeutung und Macht, so kann in der gegenwärtigen Endstufe Spätkapitalismus kein Vampir mehr das Unheimliche eines unwiederbringlich wegschmelzenden Gletschermassivs toppen.
Was, wir, die Vampire, sind gar nicht mehr die Hauptdarsteller, umweht von Faszination und Grusel gleichermaßen, Stoff für die dunkelsten, doch genialsten, poetischen Zertrümmerer der Moderne? In einer Übersprungshandlung wird versucht, den Berg mit den dunklen Heroen der Moderne zu besetzen, irgendwo hier muss doch der „Nietzsche-Gipfel“ oder der „Baudelaire-Pfad“ sein.
Am Ende bleibt nur blutleere Sentimentalität
Doch der Schnee schmilzt und der Berg schwindet, und mit ihm die Lust, sich in Reflexionen über die Vergänglichkeit menschlicher Existenz zu suhlen. „Ach wie flüchtig / Ach wie nichtig / Sind der Menschen natürliche Lebensgrundlagen…“ Zunächst etwas perplex im Angesicht des neuen Horizonts, lässt Quesne seinen Club sich zum letzten Totentanz erheben, in dem Versuch, das Unheimliche in einer mäandernden, langsamen, rituellen Choreographie zurückzuerobern.
Der Sinn für die Verschiebung der Zerstörung ins apokalyptische Ausmaß und die Überforderung der Menschen, dafür eine Sprache der Trauer zu finden, hat Quesnes Stücke in der Vergangenheit zu einem berührenden Ort der Utopie im Kleinen, vor allem des Trosts, werden lassen. An der Figur des Vampirs scheitert er jedoch wegen eines zentralen Problems.
Die Gemeinschaft seiner Vampire hat kein Außen, die Konfliktzone, in der sie sich entfalten, handelt lediglich von dem Problem schwindender Bedeutsamkeit im Zeichen der Katastrophe. Dadurch, dass seine vampirischen Darsteller eine homogene Masse bilden, verdeckt diese Klage jegliches politische Machtverhältnis und verkommt so zur – etwas blutleeren – Sentimentalität. Dabei böte die Figur des Vampirs mit einem politischeren Blick die Chance, die Pathologien unserer Zeit ein wenig aus dem tiefen Dunkel zu befreien.
Vampire’s Mountain Konzept und Regie: Philippe Quesne Deutsches Schauspielhaus Hamburg