Wehrdienst: Am Ende stiftet das noch Einheit

Die Wehrpflicht ist ein Thema, um das ich mich am liebsten drücke. Weil ich mich auch um den Wehrdienst gedrückt habe. Ich lebte schon als junger Mann in Westberlin, und wir mussten nicht zum Bund. Außerdem hatte ich damals nicht die deutsche Staatsbürgerschaft.

Als alter Mann tut man sich ohnehin schwer, den Jungen etwas abzuverlangen. Oder sollte es, finde ich. Noch klingt mir im Ohr, wie man uns langhaarigen Antiautoritären damals auf der Straße hinterherrief: „Euch geht’s zu gut! Bei Adolf wärt ihr im Lager gelandet! Beim Bund würde man euch die Flausen schon austreiben!“ Ich will nicht so ein geifernder Alter sein, zumal ich sehe, was für Herausforderungen auf die Generation meiner Enkelkinder zukommt (darunter auch ein Junge, der zum Bund müsste, wenn die Wehrpflicht kommt): Klimakrise, Rentenkrise, Konkurrenz zur KI, rapide Zunahme der antiliberalen und antidemokratischen Kräfte auf der extremen Linken und Rechten.

Es kommt hinzu, dass ich als Brite nicht nur persönlich davon profitierte, dass mein Heimatland 1960 die Wehrpflicht abschaffte. Aus den Reihen der jungen Männer, die sonst zum Dienst eingezogen worden wären, gingen die Beatles und die Rolling Stones und all die anderen Kulturrevolutionäre hervor, die das graue Land meiner Kindheit in den Swinging Sixties in eine bunte Wundertüte verwandelten. Und die – naiv genug – von love & peace sangen: „Nothing to kill or die for …“, fand mein Idol John Lennon in Imagine. Kann ich meinem jugendlichen Selbst in die Augen schauen und sagen, dass ich jetzt für die Wehrpflicht bin?

Ja. Denn erstens war ich eigentlich nie, oder nur kurz, ein Hippie. Als Kind lebte ich in Malaysia, wo Großbritannien einen erfolgreichen Krieg gegen kommunistische Guerillas führte. In meinem britischen Internat verschlangen wir Geschichten über die Heldentaten unserer Armee im Krieg gegen Deutschland. Dann lehrten mich Karl Marx und Mao Zedong, dass Kriege die Lokomotiven der Geschichte seien und dass die politische Macht aus den Gewehrläufen komme.

Der Krieg war auch allgegenwärtig, vor allem als Angst vor der Atombombe, aber zugleich abstrakt. Für andere Mitglieder meiner Familie war er sehr konkret. Meine Cousins und Cousinen mussten als Schulkinder in Tel Aviv Gräben ausheben, um anrückende arabische Panzer aufzuhalten. Das war 1948. Als ich in Westberlin Sergeant Pepper hörte, kämpften sie im Sechstagekrieg. Als ich nach dem Scheitern der Studentenbewegung in einer maoistischen Sekte für die Weltrevolution agitierte, wurden ihre Söhne und Töchter eingezogen, um ihr Land im Jom-Kippur-Krieg zu verteidigen. Nun sind auch ihre Enkelkinder im Einsatz.

Damals, als radikaler Student, habe ich mit diversen palästinensischen Befreiungsfronten sympathisiert und den israelischen Teil der Familie verachtet. Sie hätten allen Grund, mich heute zu verachten. Aber es sind großherzige Leute. Wenn ich zu Besuch bin, stellen sie mich manchmal Freunden vor: „Hier ist unser Cousin Alan, stellt euch vor, er war mal Maoist!“

Denn meine Verwandten sind keine verbiesterten Reaktionäre. Im Gegenteil. Politisch stehen sie alle links von mir. (Bekanntlich leiden Ex-Kommunisten oft unter dem Konvertitensyndrom. Ich will das bei mir nicht ausschließen.) Im Februar war ich mit einigen von ihnen im Kibbuz Nir Oz, der von der Hamas zerstört wurde, am Abend auf der wöchentlichen Friedensdemonstration in Tel Aviv. Und am nächsten Morgen traf ich einige der Enkelkinder, die ihren Wehrdienst ableisten. Einer fliegt einen Kampfjet, einer ist im Westjordanland eingesetzt, einer ist in einer Einheit, die Sachen macht, die so geheim sind, dass er nicht einmal seinen Eltern davon erzählen darf. Es sind ganz normale junge Leute, die etwas machen, was in Israel ganz normal ist. Und ja, es ist furchtbar, dass das normal ist.