Hensoldt-Chef im Interview: „Drohnenschutz zu Gunsten von vereinen Flughafen kostet zehn Millionen Euro“

In der Tat ist durch die akute Bedrohung beispielsweise an den Flughäfen ein richtiger Hype ausgelöst worden. Es drängen viele neue Anbieter mit offensivem Marketing und großem Enthusiasmus in den Markt. Wir sehen das gelassen, denn während andere noch Ideen vorstellen, haben wir seit Jahren bewährte Lösungen im Einsatz. Unser erstes Drohnenabwehrsystem haben wir im Jahr 2015 zum G-7-Gipfel geliefert – also über zehn Jahre Praxiserfahrung. In der Sensorik, beim Erkennen und Klassifizieren von Drohnen, sind wir der nationale Champion. Das ist ein Wettbewerbsvorteil, den man nicht über Nacht aufholen kann.
Wie muss nach Ihrer Ansicht solch ein Drohnenwall oder -dom aussehen?
Ich habe 21 Jahre als Soldat gedient und weiß aus eigener Erfahrung, dass es nie die eine hundertprozentige Schutzlösung gibt. Deshalb tue ich mich mit dem Begriff „Wall“ schwer – er suggeriert eine Mauer, durch die nichts dringt. Was wir brauchen, ist ein gestaffeltes, vernetztes System: Für die Landesverteidigung gibt es die European Sky Shield Initiative. Dahinter folgen abgestufte Ebenen für den Schutz kritischer Infrastruktur, etwa für Flughäfen, Energieversorger oder Produktionsstätten. So entstehen viele kleinere, flexible „Domes“ statt einer großen Mauer.
In der öffentlichen Debatte wird oft einiges vermengt. Für die Abwehr einer Shahed-Kampfdrohne an der Landesgrenze braucht man sicher andere Systeme als für Spähdrohnen an Flughäfen?
Genau. Antworten haben wir für beide Szenarien parat. Mit den Skyranger-Geschütztürmen von Rheinmetall, für die wir das Radar liefern, sind wir schon gut aufgestellt. Die aktuelle Herausforderung ist die schiere Masse der Angreifer. Wir sehen in der Ukraine oder im Nahen Osten, wie Gegner versuchen, durch Schwärme von Drohnen die Abwehr zu überlasten. Darauf müssen Systeme künftig reagieren können – mit Vernetzung, Automatisierung und intelligenter Priorisierung der Ziele.
Das klingt nach dem Prinzip von Massenmailings, bei dem irgendwann der Server zusammenbricht. Wo liegt der kritische Punkt?
Konkrete Zahlen kann und darf ich nicht nennen. Aber unsere Radargeräte können auch eine sehr große Zahl von Drohnen sicher detektieren. Woran wir arbeiten müssen, das ist die Vernetzung der Systeme, sodass wir eine effiziente Bekämpfung erreichen. Nur wenn Sensoren, Effektoren und Führungssoftware nahtlos zusammenarbeiten, erreichen wir eine effiziente Bekämpfung. Und wir müssen kosteneffizienter werden: Es ist schlicht nicht sinnvoll, mit teuren Raketen auf einfache, billige Drohnen zu reagieren. Deshalb arbeiten wir an alternativen Wirkmitteln – von neuen Abfangsystemen bis hin zu Lasern.
Wie holt Hensoldt feindliche Drohnen vom Himmel?
In der Luftverteidigung durch Skyranger sind wir ja mit unseren Radaren im Einsatz. Anders beim Objektschutz, dort haben wir der Bundeswehr schon unser System Asul geliefert etwa zum Schutz von Feldlagern. Durch die Kombination von Radar, Funkaufklärung, optischen und akustischen Systemen können wir frühzeitig identifizieren, ob es sich um eine Drohne oder etwa einen Vogel im Anflug handelt, und die effektivsten Wirkmittel identifizieren. Derzeit steht vor allem der sogenannte Softkill im Zentrum, also Systeme, welche die Kommunikation der Drohnen mit der Steuereinheit stören, aber auch Fangdrohnen, die mit Wurfnetzen arbeiten. Damit können wir die Gefahr minimieren, dass Drohnen unkontrolliert abstürzen, und vermeiden Kollateralschäden. Das ist ein wichtiger Punkt in der aktuellen Diskussion: Wer einfach abschießt, ohne an die Folgen zu denken, handelt fahrlässig. Gerade an Orten wie Flughäfen muss Sicherheit ganzheitlich gedacht werden – von der Detektion bis zur verantwortungsvollen Neutralisierung.
Zumal rechtlich noch nicht klar ist, wer den Abschussbefehl wann geben darf. Sind nach den jüngsten Vorfällen schon größere Bestellungen eingegangen?
Das Interesse der Bundeswehr an Skyranger ist ja bekannt. Die Verträge haben wir noch nicht, aber ich bin sehr sicher, dass dies bald geschehen wird. Wir bereiten uns darauf vor und haben massiv in die Ausweitung unserer Produktion investiert. Wir sind in der Lage, künftig große Stückzahlen unseres Radars zu produzieren. Im Objektbereich hat die Bedrohungssituation die Diskussion schon beschleunigt. Insofern rechne ich zeitnah auch mit einem Anstieg der Bestellungen. Da wir in diesem Bereich viel marktverfügbare Technologie einsetzen, können wir die Produktion bei Bedarf schnell hochfahren.
Was kostet es denn, einen Flughafen drohnensicher zu machen?
Grob gesagt: Sie können einen großen Flughafen wie in München für zehn Millionen Euro vor Drohnen schützen. Dabei reden wir von den einmaligen Anschaffungskosten eines Systems. Dazu kommt dann der jährliche Betrieb.
Sie sind nach der Lieferung raus? Oder kann man die Leistung von Hensoldt auch im Abonnement buchen?
Tatsächlich denken wir derzeit über solche Betreibermodelle für den Schutz kritischer Infrastruktur nach. Gerade bei vielen kleineren Kunden gibt es dafür Bedarf. Das wäre deutlich effizienter im Betrieb, als wenn sich jeder Kunde eine eigene Kommandozentrale zur Drohnenabwehr hinstellt. Sie brauchen weniger Personal, und die Software wird ständig weiterentwickelt. Man kann ja in Friedenszeiten davon ausgehen, dass zu 99,9 Prozent der Zeit an einem Flughafen nichts Schlimmes passiert. Im Bereich der Cybersecurity bietet die Telekom den Schutz für die IT vieler Firmen auch über ein eigenes Security Operations Center an.
Ist das Betreibermodell noch ein Gedankenspiel, oder gehen Sie damit schon an den Start?
Am Start ist es noch nicht, aber ich glaube, das ist mehr als ein Gedankenspiel. Wir haben das in der Vergangenheit für den Bereich Eventschutz auch schon ausprobiert. Natürlich hat dort die Polizei die Hoheit, aber die zaubern einen Drohnenabwehrspezialisten auch nicht einfach aus dem Hut. Deshalb waren in der Vergangenheit schon Spezialisten von uns mit im Einsatz.
Flexibilität ist das neue Zauberwort. Sie haben kürzlich das Spexer-Radar zur Drohnenabwehr für deutsche Fregatten vorgestellt. Ist das System auch auf andere Träger etwa an Land montierbar?
Spexer ist ein universeller Sensor, und wir haben ihn im Design sehr modular aufgebaut. Das Backend ist relativ klein und handlich, das kann sowohl auf mobilen Fahrzeugen als auch auf Schiffen eingesetzt werden. Das Frontend, also die Antenne, gibt es in verschiedenen Größen. Damit hat man eine große Flexibilität. Künftig könnten wir damit eine große Antenne über das Gefechtsfeld verteilen, indem jeder eine kleine Antenne mit sich führt, die wir dann miteinander vernetzen. Dadurch werden die Daten viel besser und die Resilienz, wenn mal eine Antenne ausfällt. Hier findet gerade der große Umbruch statt. In Zukunft müssen Sie über das Gefechtsfeld ein großes Netzwerk legen.
Aber jetzt rüsten Sie zunächst einmal Fregatten aus.
Spexer gibt es schon länger und wurde zunächst zur Grenzüberwachung eingesetzt. Irgendwann haben sie in der Marine erkannt, dass Drohnenabwehr auch hier ein echtes Thema ist, zum Beispiel in Häfen, wo die Schiffe liegen.
Technologisch brauchen wir uns in Europa nicht zu verstecken. Am Ende ist es zum einen eine Frage der Bündelung der Bedarfe und damit auch wirklich geeigneter Kompromisse unter den Nationen. Da haben wir immer wieder Partikularinteressen oder gewisse Ausrichtungen, die diesen gemeinsamen Nenner schwer herausbilden lassen. Auf der anderen Seite entsteht eine normative Wirkung durch Rahmenverträge. Deutschland sagt ja im Bereich Luftverteidigung, aber auch bei U-Booten, dass wir bestellen und andere Nationen draufsatteln können. So lässt sich Sicherheit schaffen und Technologiekompetenz in Europa erhalten. Zudem sind die aktuellen Zahlen auch durch das erste Sondervermögen geprägt, für das in den USA F35-Kampfjets, P-8-Seeaufklärer und CH-47-Hubschrauber gekauft wurden. Das wird sich verschieben. Bei unseren Projekten stehen wir in engem Dialog mit unseren amerikanischen Partnern. Ich sehe große Bereitschaft, mit europäischen Unternehmen zusammenzuarbeiten.
Sie weisen wie andere börsennotierte Rüstungskonzerne einen milliardenschweren Backlog an aufgestauten Bestellungen auf. Sind Lieferverspätungen angesichts der aktuellen Auftragsrekorde nicht programmiert?
Das macht mir keine Sorge. Denn in unserem Geschäft vergeht zwischen dem Auftragseingang und der Auslieferung vergleichsweise viel Zeit. Und die Bezahlung erfolgt ebenfalls spät, sodass es sich verzögert auf den Umsatz auswirkt. Aber es stimmt, wir müssen und werden unsere Produktion erheblich ausbauen. In einem ersten Schritt haben wir in einen neuen Standort in Oberkochen, in ein Logistikzentrum und neue Produktionsstraßen investiert. Vor einigen Tagen haben wir nun angekündigt, die Produktionskapazität weiter auszubauen und in der Nähe von Ulm einen neuen Außenstandort zu errichten, wo vom Jahr 2027 an eine bis zu vierstellige Anzahl Radare zur Drohenabwehr hergestellt werden soll. Und wir denken schon darüber hinaus: Wie sichern wir unsere Lieferketten langfristig ab, wie halten wir Schlüsseltechnologien in Europa? Das wird künftig entscheidend sein – weniger die Frage, wo produziert wird, sondern ob wir jederzeit liefern können.
Nicht nur die Autoindustrie bekommt aktuell zu spüren, wie abhängig man sich von relativ simplen Chips von Nexperia gemacht hat, die derzeit nicht aus China geliefert werden. Haben Sie Ihre Lieferketten schon geprüft, sind Sie auch betroffen?
Akut sehen wir kein Problem – unsere Bedarfe liegen unterhalb kritischer Schwellen. Aber das Thema ist zentral. Lieferkettensicherheit ist nicht nur ein wirtschaftliches, sondern ein sicherheitspolitisches Thema. Und genau so wird es inzwischen auch in den Ministerien behandelt.
Das heißt, Europa braucht eine eigenständige, resiliente Lieferkette für Chips und andere Technologieprodukte?
Wenn wir über Verteidigungs- und Abschreckungsfähigkeit reden und über Technologiekompetenz, dann gehört das für mich dazu.
Um Unabhängigkeit geht es auch im Weltraum. Gerade haben Airbus, Thales und Leonardo ein gemeinsames Unternehmen zum Bau von Satelliten angekündigt, um damit die Abhängigkeit vom Starlink-System von Elon Musk zu schaffen. Welche Bedeutung messen Sie dem Projekt bei?
Der Weltraum wird zum nächsten Verteidigungsraum Europas. Er ist für Aufklärung, Kommunikation und Lagebilder inzwischen so wichtig wie Land, See oder Luft. Deshalb ist es konsequent, dass Europa eigene Kapazitäten aufbaut – unabhängig von kommerziellen oder außereuropäischen Systemen. Das neue Satellitenunternehmen von Airbus, Thales und Leonardo ist ein starkes Signal. Auch für Hensoldt wird der Orbit als Einsatzraum unserer Sensorik immer wichtiger – denn technologische Souveränität endet nicht an der Grenze der Atmosphäre.
Seit dreieinhalb Jahren wehrt sich die Ukraine gegen den russischen Überfall und hat dabei aus einer scheinbar aussichtslosen Ausgangslage heraus erstaunliche Fähigkeiten entwickelt. Viele deutsche Unternehmen entwickeln dort unter realen Gefechtsbedingungen neue Waffen. Welche Erfahrungen aus diesem Krieg haben Sie persönlich mitgenommen?
Zunächst einmal zolle ich den tapferen Menschen in der Ukraine meinen größten Respekt. Wir unterstützen das Land vor allem in der Luftverteidigung nach Kräften. Als Erfahrung nehme ich mit, dass wir unsere Produkte nicht mehr zu statisch denken dürfen. Die Entwicklung geht rasend schnell. Die große Revolution findet bei uns eigentlich in der Software statt. Im August haben wir einen Head of Software Defined Defence eingestellt, der gerade dafür sorgt, dass wir ganz neue Softwareentwicklungsteams aufbauen. Die zukünftige Kampfstärke, das sehen wir in der Ukraine, liegt in der innovativen Vernetzung auf dem Gefechtsfeld. Das ist die Lehre Nummer eins. Die Lehre Nummer zwei ist das „gläserne Gefechtsfeld“. Wenn ich einen Krieg gewinnen will, dann geht das nicht nur mit dem besten Panzer oder einer Drohnenarmee. Es ist wirklich die Vernetzung dieser Systeme, von der See zum Land in die Luft und den Weltraum, die den Unterschied ausmacht. Die dritte Hauptlehre, und da bin ich noch nicht so ganz zufrieden, ist die engere Zusammenarbeit – in Europa, aber auch innerhalb unserer Industrie. Die Verteidigung Europas ist eine so große Aufgabe, dass es dafür einen Schulterschluss braucht. Dann sehen wir eine ganz andere Dynamik. In der Ukraine gibt es diese Dynamik. Wobei wir uns auch nicht mit dem Kriegsbetrieb vergleichen dürfen. Nicht alle Erfahrungen aus der Ukraine sind übertragbar.