Roberto Saviano: „Einschüchterung auf offener Bühne“

DIE ZEIT: Auf den investigativen Fernsehjournalisten des staatlichen Senders RAI, Sigfrido Ranucci, ist ein Anschlag verübt worden. Eine Bombe zerstörte sein Auto. Nur durch einen Zufall kam niemand zu Schaden. Warum er?

Roberto Saviano: Ranucci hat sich in den letzten Jahren mit investigativen Reportagen in seiner Fernsehsendung Report einen Namen gemacht. Er ist dabei offenbar vielen Leuten auf die Füße getreten. Insgesamt hat er 170 Anzeigen erhalten. Man muss wissen, dass ein Kläger als Entschädigung jede beliebige Summe verlangen kann. Mir ist das auch passiert. Man sitzt dann auf immensen Anwaltskosten. Die ständigen Klagen und die damit einhergehenden Kosten machen es für einen Journalisten viel schwerer, frei zu arbeiten. Ranucci lebt außerdem seit Jahren unter Personenschutz.


Roberto Saviano: Roberto Saviano, 46, Autor, lebt unter Polizeischutz.

Roberto Saviano, 46, Autor, lebt unter Polizeischutz.

ZEIT: Wer steckt hinter dem Attentat?

Saviano: Ranucci wohnt in Pomezia, vor den Toren Roms. Die Art des Anschlages ist typisch für die Gegend. Bei der Bombe handelt es sich um gepresstes Schießpulver, im Jargon Zwiebel genannt. Diese Bombe hat eine beträchtliche Zerstörungskraft. Es gab in der Gegend bereits einen Anschlag dieser Art auf einen Wachmann einer privaten Sicherheitsfirma. Albanische kriminelle Banden bedienen sich üblicherweise dieser Mittel, nicht die italienischen Banden.

ZEIT: Hat Sie der Anschlag überrascht?

Saviano: Es ist wichtig zu verstehen, dass solche Anschläge den betroffenen Journalisten stärken. Die Gesellschaft solidarisiert sich mit ihm. Das war jedenfalls in der Vergangenheit häufig so. Wenn jemand heute so einen Anschlag verübt, dann rechnet er offensichtlich damit, dass die Solidarität nicht von Dauer sein wird. Dann glaubt er, dass die Empörungswelle schnell abebben wird.


Roberto Saviano: Das durch den Anschlag zerstörte Auto des Journalisten

Das durch den Anschlag zerstörte Auto des Journalisten

ZEIT: Was könnte das Ziel der Attentäter sein?

Saviano: Wer auch immer den Anschlag verübt hat, nimmt natürlich wahr, dass Journalisten auch von der Politik permanent geschwächt werden. Journalisten müssen mit vielen Klagen und persönlichen Angriffen leben. Wenn selbst Regierungsmitglieder den Journalismus attackieren, dann kann man zu der Überzeugung gelangen, dass man einen Journalisten angreifen kann. Dass man damit durchkommt.

ZEIT: Als Premierministerin Giorgia Meloni noch in der Opposition war, hat sie die Sendung von Ranucci als „journalistischen Müll“ bezeichnet und verlangte, dass Report von dem Sender zur Rechenschaft gezogen wird. Ihr Parteifreund Ignazio La Russa, heute Präsident des Senats, bezeichnete die Journalisten der Sendung als „serielle Verleumder“. Meinen Sie solche Attacken auf den Journalismus?

Saviano: Wenn man jemanden öffentlich permanent angreift, dann wird diese Person verwundbarer. Die systematische Delegitimierung einer Person führt zu ihrer Isolation. Und die Isolation führt wiederum dazu, dass man zuschlagen kann.

ZEIT: Giorgia Meloni hat sich allerdings nach dem Attentat sofort mit Ranucci solidarisiert. Sie sagte: „Die Informationsfreiheit ist ein grundlegender Wert der Demokratie.“

Saviano: Das ist reine Rhetorik. Wenn sie es ernst meinte, dann müsste die Regierung ein Gesetz gegen den Missbrauch von Klagen einbringen. Diese sogenannten Slapps haben allein das Ziel, jemanden einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. Wenn es Meloni mit ihrer Solidarität mit den Journalisten ernst meint, müsste sie ihre eigenen Klagen gegen Journalisten fallen lassen.

ZEIT: Sie selbst sind von Meloni verklagt worden.

Saviano: Ja, wegen Verleumdung. Ich habe den Prozess verloren. Auch Matteo Salvini, der Chef der Lega, Vizepremier und Minister der Regierung hat mich verklagt. Der Prozess läuft seit sieben Jahren. Eine Klage des Ex-Kulturministers Gennaro Sangiuliano habe ich gewonnen.

ZEIT: Sowie einen Prozess gegen einen Boss der neapolitanischen Camorra.

Saviano: Nach 17 Jahren! Dieser Prozess ist sehr wichtig, um die Lage in Italien zu verstehen. Zum ersten Mal hat ein Boss der Camorra im Gerichtssaal behauptet, dass die Journalisten schuld daran sind, wenn Mafiosi verurteilt werden. Es war Einschüchterung auf offener Bühne.

Seit der Veröffentlichung seines Buches Gomorrha, das die Machenschaften der Mafia beschreibt, muss Roberto Saviano sich und seine Familie verstecken.