Weitere Chipkrise: VW prüft den Stopp welcher Produktion

Eine neue Chipkrise überrollt die komplette europäische Autoindustrie. Bei Volkswagen dürften fehlende Chips sich schon in der nächsten Woche auswirken. Nach und nach werden dann die Bänder angehalten, weil die kleinen, aber wichtigen Halbleiter in einzelnen zugelieferten Teilen fehlen, etwa in der Fahrzeugsteuerung. Volkswagen hat deswegen Kurzarbeit avisiert. Es seien Gespräche aufgenommen worden mit der Arbeitsagentur, wurde der F.A.Z. bestätigt. Zuerst hatte die Bild-Zeitung berichtet, dass der Autohersteller den Baustopp wichtiger Modelle vorbereitet.
Volkswagen dürfte nicht der einzige Konzern sein, der solche Maßnahmen ergreift. Das Problem betrifft die ganze Branche und auch die Industrie darüber hinaus. Entsprechend fieberhaft wird versucht, das Problem einzudämmen. „Der VDA ist mit den betroffenen Unternehmen, der Industrie, der Bundesregierung sowie der EU-Kommission in Kontakt“, meldet sich Hildegard Müller, Präsidentin des deutschen Automobilverbands VDA zu Wort: „Aktuell sollte der Fokus sein, schnelle und pragmatische Lösungen zu finden.“ Auch Volkswagen setzt offenbar alle Hebel in Bewegung: „Wir stehen in engem Kontakt mit allen relevanten Beteiligten“, teilt der Wolfsburger Konzern mit.
Lies: „Das sind längst keine Kollateralschäden mehr“
In den Augen von Olaf Lies, der als niedersächsischer Ministerpräsident auch im Volkswagen-Aufsichtsrat sitzt, zeigt sich an dem aktuellen Fall, wie europäische Autobauer und Zulieferer zwischen die Fronten geraten: „Das sind längst keine Kollateralschäden mehr“, kommentiert der SPD-Politiker: „Die Zeit drängt hier ungemein und in diesem konkreten Fall braucht Europa eher heute als morgen eine Lösung und zwar bevor die Bänder stillstehen.“ Mittelfristig gehe es darum, in Europa eigene Kapazitäten bei der Produktion von Schlüsselkomponenten aufzubauen und strategisch abzusichern, auch durch Partnerschaften mit befreundeten Industriestandorten.
Die Krise hatte sich abgezeichnet, wenngleich sie zunächst wie ein undurchsichtiger Streit zwischen dem Chip-Hersteller Nexperia, der niederländischen Regierung und den bisherigen chinesischen Nexperia-Eigentümern Wingtech daherkam. Das Unternehmen fertigt Standardbauteile für Elektronik aller Art, Dioden und Transistoren, die in Handys ebenso verbaut werden wie in Autos. Allein in einem Personenwagen sind 300 bis 500 solcher Chips zu finden, wobei die Hersteller oft selbst gar nicht wissen, in welchen Zuliefererteilen sie zu finden sind: Standardware, die von vielen der 60.000 Zulieferer von Volkswagen verwendet wird. Nexperia hat bei Standardchips einen Weltmarktanteil von 50 Prozent.
Mögliche Produktionsstopps bei Volkswagen sind nur der Anfang
Weil Nexperia diese große Bedeutung hat, ist klar: Die Produktionsstopps bei Volkswagen sind nur der Anfang. Alle anderen Autohersteller werden vermutlich folgen, je nachdem, in welchem Umfang sie Vorräte haben. Denn die Krise hängt – anders als zu Corona-Zeiten – nicht mit Engpässen in der Logistik zusammen, sondern mit dem Konflikt mit China. Auslöser war das Verhalten des chinesischen Nexperia-Chefs, das zu einer geopolitischen Eskalation führte. Auf Druck der USA schaltete die niederländische Regierung sich ein und übernahm die Kontrolle über das Unternehmen, das zum chinesischen Wingtech-Konzern gehört.
Was nun passieren könnte, führte zu einem Brandbrief des Nexperia-Interimschefs Stefan Tilger. Dieser warnte am Wochenende die Kunden, man könne Nexperia-Produkten nicht mehr trauen. Das trifft auch auf all das zu, was im Hamburger Nexperia-Werk produziert wird, denn die hier hergestellten Wafer werden für das „Packaging“, also das arbeitsintensive Zerkleinern und Verpacken in Bauteile, wieder nach China geliefert, bevor sie dann weiterverkauft werden. Man könne nicht ausschließen, dass in dem chinesischen Werk in Dongguan oder an anderen chinesischen Standorten die Produkt-Spezifikation der Chips verändert worden sei, andere Materialien verwendet würden oder die Qualitätssicherungsprozesse umgangen würden, heißt es in Tilgers Schreiben, das der F.A.Z.: vorliegt. „Wir warnen daher dringend davor, solche Teile anzunehmen oder zu nutzen.“
Bei VW und mutmaßlich bei allen anderen europäischen Autoherstellern werden nun diejenigen Autos vorrangig gebaut, die die höchsten Margen erzielen. Weil Kurzarbeit nur monatsweise beantragt werden kann, sollen die VW-Mitarbeiter mit anderen notwendigen Arbeiten beschäftigt werden. Die Inventurarbeiten, die im Werk Wolfsburg für diesen Freitag auf den Fertigungslinien für Golf und Tiguan anberaumt wurden, stünden aber nicht im Zusammenhang mit einem möglichen Engpass bei Bauteilen, teilt Volkswagen mit.