Sanae Takaichi | Sie trommelt nur zum Besten von Rechte: Wer ist Japans erste Premierministerin Sanae Takaichi?

Japan hat seine erste Premierministerin – ein Ausdruck des progressiven Wandels des Landes ist das aber nicht. Immerhin leugnet sie Kriegsverbrechen und will den in der Verfassung verankerten Pazifismus über Bord werfen. Ein Porträt


Japans erste Premierministerin ist häufig allein unter Männern

Foto: Eugene Hoshiko / picture alliance / Associated Press


Keine Woche, nachdem in Berlin-Mitte auf Druck der japanischen Regierung die Friedensstatue Ari abgebaut wurde, bekommt Japan seine erste Premierministerin. Ari repräsentierte Frauen, die unter Krieg gelitten haben – darunter die sogenannten „Trostfrauen“: zahlreiche Koreanerinnen und Chinesinnen, die während des Zweiten Weltkriegs von der japanischen Armee zu Sexsklavinnen gemacht wurden. Nun übernimmt in Tokio ausgerechnet Sanae Takaichi, 64, die Regierungsgeschäfte – eine Frau, die das Leid und sogar die Existenz dieser Frauen leugnet. Wie konnte das passieren?

Im internationalen Vergleich von 148 Ländern belegt Japan den 118. Platz in Sachen Geschlechtergerechtigkeit. Frauen machen nur knapp 20 Prozent des japanischen Parlaments aus und besetzen noch deutlich weniger hohe Regierungsämter. Es gibt offizielle Fotos des Kabinetts von Shinzō Abe, auf denen Sanae Takaichi, damals Innenministerin, ganz allein zwischen Männern in schwarzen Fräcken und grauen Hosen steht. Dass ausgerechnet sie zuerst an die Spitze der Liberaldemokratischen Partei (LDP) und dann ins Amt der Premierministerin gewählt wurde, ist aber kein Zeichen eines progressiven Wandels – es ist Ausdruck eines Rechtsrucks.

Sanae Takaichi ist in Japans Politik eine Ausnahme

Innerhalb der rechtskonservativen LDP, die seit 1955 fast durchgehend die japanische Regierung stellt, steht Takaichi am äußersten rechten Rand. Die Rechten haben politisch Aufwind, seit bei den Oberhauswahlen im Juli die rechtsextreme Sanseitō mit einem migrationsfeindlichen und „Japan First“-Wahlkampf stark zugelegt hat. Takaichi vertritt eine ähnliche Haltung und hat – ohne es belegen zu können – behauptet, Migrant:innen und Tourist:innen würden an Torii, den häufig rot lackierten Toren vor Schreinen, Klimmzüge machen und die Rehe in den Parks von Nara treten. Takaichi kommt aus dieser zentraljapanischen Stadt, wo sie als Tochter eines Angestellten einer Autofirma und einer Polizistin aufwuchs. Auch das ist ungewöhnlich für Regierungsmitglieder in Japan – meist kommen sie aus bekannten Politikerfamilien.

Während ihres Studiums in Kobe entdeckte sie Motorräder und Heavy Metal für sich. Die neue Premierministerin ist Schlagzeugerin. Geheiratet hat sie zweimal – denselben Mann, Taku Yamamoto, ebenfalls LDP-Politiker. Beim ersten Mal hat sie seinen Namen angenommen, beim zweiten Mal, als ihre Karriere seine übertrumpft hatte, nahm er ihren an. In Japan keine Nebensache: Seit Jahren kämpfen Feministinnen dafür, dass Ehepaare verschiedene Nachnamen führen dürfen. Ein Punkt, der zwar nichts an Japans trauriger Platzierung im Gleichstellungsindex ändert, für viele Japanerinnen aber als Symbol für mehr Eigenständigkeit wichtig ist.

Auch ansonsten ist ihre Gesellschaftspolitik streng konservativ. Japan ist das einzige G7-Land, in dem gleichgeschlechtliche Paare nicht heiraten dürfen – geht es nach Takaichi, bleibt das auch so. Die Thronfolge der Kaiser möchte sie ebenfalls nicht auf weibliche Familienmitglieder ausweiten. Allgemein sind Frauenrechte nichts, was Takaichi bewusst als politisches Thema sieht, dem sie sich widmen sollte – und das, obwohl sie einst Ministerin für Geschlechtergerechtigkeit war. In diesem Amt sollte sie auch die rekordniedrige Geburtenrate umkehren. Japan ist das Land mit der weltweit ältesten Bevölkerung und steht bereits jetzt demografisch massiv unter Druck.

Die politische Nachfolge von Shinzō Abe

In gewisser Weise ist Takaichi die Antwort der LDP auf den Aufstieg der Rechtspopulisten: Ähnlich wie sie ist Takaichi migrationsfeindlich und vertritt ein nationalistisches Geschichtsbild. Takaichi zufolge sei der Zweite Weltkrieg aus japanischer Sicht „Selbstverteidigung“ gewesen. Die Opferzahl des Massakers von Nanking sei übertrieben worden. Auch leugnet sie die massenhafte Zwangsprostitution koreanischer Frauen und Mädchen und findet den Begriff „Zwangsarbeit“ in Bezug auf die japanischen Kolonien falsch. Diese Einstellung, die sich auch in ihren regelmäßigen Besuchen beim umstrittenen Yasukuni-Schrein zeigt, dürfte in Zukunft zu Spannungen sowohl mit Südkorea als auch mit China führen. In dem Schrein werden Kriegstote geehrt, darunter über tausend verurteilte Kriegsverbrecher. Der letzte Premierminister, der in dieser Rolle 2013 den Schrein besuchte und damit Proteste in China auslöste, war Takaichis Mentor – der 2022 ermordete Shinzō Abe.

Politisch will sie in dessen Fußstapfen treten: So plant sie, sich wirtschaftspolitisch an den nach ihm benannten „Abenomics“ zu orientieren. Das heißt, die Zinsen niedrig zu halten und die Staatsausgaben zu erhöhen – ein Schritt, vor dem Wirtschaftswissenschaftler angesichts der hohen Inflation warnen. Außerdem unterstützt sie die von den Rechten und Nationalisten angestrebte Änderung der Verfassung: die Streichung des neunten Artikels, der Japan zum Pazifismus verpflichtet und dem Land ein eigenes Militär verbietet – auch ein Lieblingsprojekt ihres Mentors, das er nicht umsetzen konnte.

Politisches Geschick hat Takaichi bereits unter Beweis gestellt: Wenige Tage nach ihrer Wahl an die Spitze der LDP zerbrach die seit 26 Jahren bestehende Koalition mit der Kōmeitō, einer sozialstaatlich und pazifistisch orientierten Partei. Grund für den Bruch war Takaichis Weigerung, den Spendenskandal innerhalb ihrer Partei, der ihren Vorvorgänger Kishida 2024 das Amt kostete, aufzuarbeiten. Innerhalb von nur einer Woche fand sie mit der konservativen Partei Nippon Ishin no Kai einen neuen Koalitionspartner. Der steht ihr politisch auch deutlich näher.