Prüfung von Programmvielfalt: Richter fällen folgenreiches Urteil zum ÖRR

Künftig ist es Sache der Gerichte, die Meinungsvielfalt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu überprüfen – sofern Kläger sie anzweifeln und dafür genügend Anhaltspunkte liefern. Das hat am Mittwoch das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden und damit die eigenen Kontrollmechanismen der Rundfunkanstalten erheblich geschwächt. Zugleich haben die Richter strenge Maßstäbe für die Überprüfung der Programmvielfalt aufgestellt (BVerwG 6 C 5.24).

Geklagt hatte eine Frau in Bayern, die sich weigert, ihren Rundfunkbeitrag zu bezahlen. Sie meint, ARD, ZDF und Deutschlandradio berichteten zu einseitig und missachteten insofern den Programmauftrag. Vor dem Verwaltungsgericht und dem Verwaltungsgerichtshof scheiterte sie. Dessen Richter argumentierten, schon die Möglichkeit, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu nutzen, rechtfertige den Beitrag. Auf die Frage nach strukturellen Defiziten komme es insofern nicht an; dafür seien im Übrigen die Rundfunkräte zuständig. Dort könne die Frau eine Programmbeschwerde einreichen, sie sei insofern nicht rechtlos.

„Evidente und regelmäßige Defizite“

Die Richter am Bundesverwaltungsgericht sahen es nun anders. Dem Verwaltungsgerichtshof attestierten sie, ein Karlsruher Urteil von 2018 verkannt zu haben. Damals entschied das Bundesverfassungsgericht, dass der Rundfunkbeitrag rechtmäßig sei. Laut den Leipziger Kollegen beruhte das Karlsruher Urteil „tragend“ darauf, dass der Rundfunk Vielfalt sichere. 2018 habe das Verfassungsgericht die „Äquivalenz zwischen Beitragspflicht und Programmqualität bejaht“. Ob sich daran inzwischen etwas geändert habe, obliege der „tatrichterlichen Würdigung, ohne dass den Rundfunkanstalten insoweit ein Beurteilungsspielraum zusteht“. Biete der Kläger hinreichende Anhaltspunkte für „evidente und regelmäßige Defizite, hat ein Verwaltungsgericht dem nachzugehen“, heißt es in der Mitteilung des Bundesverwaltungsgerichts weiter. Sofern ein Gericht zur Überzeugung komme, der Kläger liege richtig, müsse es eine Entscheidung in Karlsruhe einholen.

Der Maßstab, den die Leipziger Richter für die Meinungsbildung aufstellen, ist zugleich streng. In den Blick zu nehmen ist demnach ein Zeitraum von mindestens zwei Jahren. Währenddessen muss das „Gesamtprogrammangebot“ die Anforderungen an die gegenständliche und meinungsmäßige Vielfalt und Ausgewogenheit „gröblich verfehlt“ haben. Angesichts des weiten Spielraums des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung einer Beitragspflicht müsse es um ein „grobes Missverhältnis zwischen Abgabenlast und Programmqualität“ gehen. Die Richter geben auch zu bedenken, dass die programmliche Vielfalt lediglich „ein Zielwert“ sei, „der sich stets nur annäherungsweise erreichen lässt“. Außerdem müssten Richter die Programmfreiheit berücksichtigen. Sie ist Kern der in Artikel 5 Grundgesetz geschützten Rundfunkfreiheit.

Die Verfassungsmäßigkeit des Rundfunkbeitrags sei nach all dem erst dann fraglich, wenn das „mediale Gesamtangebot“ über einen längeren Zeitraum „evidente und regelmäßige Defizite“ erkennen lasse.

Der Verwaltungsgerichtshof muss sich nun abermals mit dem Verfahren befassen. Dass die Klägerin dort eine Vorlage an das Verfassungsgericht erreichen wird, halten die Leipziger Richter nach dem „bisherigen tatsächlichen Vorbringen“ allerdings für „überaus zweifelhaft“.

Source: faz.net