„Faktisch bin ich kaltgestellt“ – Zweites Deutsches Fernsehen-Mitarbeiter berichtet von Sanktionen nachdem öffentlicher Kritik

Nach seiner Kritik am ZDF im NRW-Kulturausschuss legt der Investigativjournalist Andreas Halbach nach. Er sagt, der Sender versuche seine Reputation zu zerstören. Es habe Mitteilungen über ihn im Intranet gegeben. Einige Kollegen sollen sich weigern, mit ihm weiter zusammenzuarbeiten.

Seit mehr als 20 Jahren arbeitet der Investigativjournalist Andreas Halbach für das ZDF, mehr als 300 Beiträge sind für das Magazin „Frontal“ entstanden. Vor einigen Wochen hatte sich Halbach im NRW-Kulturausschuss kritisch über die Strukturen des Senders geäußert und die dortigen Machtstrukturen mit denen der katholischen Kirche verglichen. Er berichtete von Einschüchterungsversuchen, zurückgehaltenen Rechercheergebnissen, Zwangsversetzungen und einem Arbeitsklima, in dem Kritik nicht erwünscht ist. Das hatte berufliche Folgen für ihn, wie er im Gespräch mit WELT sagt.

WELT: Herr Halbach, im NRW-Kulturausschuss haben Sie gegen Ihren Arbeitgeber ZDF schwere Vorwürfe erhoben. Was ist seitdem passiert?

Andreas Halbach: Faktisch bin ich vom ZDF kaltgestellt worden. Die drei „Chefs vom Dienst“ meiner „Frontal“-Redaktion, die für die Betreuung von Autoren-Beiträgen zuständig sind, weigern sich mit mir weiter zusammenzuarbeiten. Sie haben eine Beschwerde gegen mich eingereicht – warum, weiß ich nicht. Die Mitteilung dazu war ein Dreizeiler. Man wirft mir einen Verstoß gegen das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit vor. Gründe dafür werden mir nicht genannt.

Außerdem wurde auch mein aktuelles Projekt – ein „Frontal“-Beitrag über die Fernwärme-Abzocke – gestoppt, obwohl der Sendetermin schon für den 14. Oktober feststand. Das heißt: Hunderttausende mutmaßlich von Preismissbrauch betroffene Haushalte erfahren jetzt nicht, dass Verbraucherschützer und oberste Kartellwächter den Gesetzgeber zum Eingreifen auffordern. Diese Berichterstattung findet jetzt erst mal nicht statt.

Lesen Sie auch

WELT: Was bedeutet das für Ihre Arbeit?

Lesen Sie auch

Halbach: Dass ich im Moment praktisch daran gehindert werde, meine Arbeit zu machen. Für mich ist es eine Sanktion für meine öffentliche Kritik, was meine Grundrechte auf freie Meinungsäußerung und freie Berufsausübung verletzt. Besonders bedenklich finde ich, dass das alles sofort vollzogen wird, noch bevor die Beschwerde überhaupt geprüft oder ich selbst angehört wurde. Zumal vier Wochen vor meiner Anhörung im Kulturausschuss der Kern meiner Kritik am ZDF in Schriftform durch den NRW-Landtagspräsidenten im Internet veröffentlicht wurde und ich auch die ZDF-Chefredaktion über meine Landtagsanhörung knapp drei Wochen davor informiert habe.

WELT: Wie ist Ihr Arbeitgeber denn intern mit Ihren Vorwürfen umgegangen?

Halbach: Es gab nach meiner Teilnahme im Kulturausschuss eine Mitteilung im ZDF-Intranet, auf die tausende Mitarbeiter Zugriff haben. In dem Artikel der ZDF-Hauptabteilung Kommunikation ging es um meine Recherchen im Sommer 2022 zum RBB-Schlesinger-Skandal, der letztlich diese jetzt historisch umfassendste Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ausgelöst hat. Ich war damals im ZDF der erste, dem interne Dokumente zu der Affäre zugespielt wurden.

Lesen Sie auch

WELT: Aber Ihre Informationen wurden nicht veröffentlicht, sagten Sie im NRW-Kulturausschuss.

Halbach: Ich hatte einen Themenvorschlag am 1. August 2022 eingereicht, als Schlesinger noch ihre Ämter als ARD-Vorsitzende und RBB-Intendantin innehatte und es keine Strafermittlungen gegen sie gab. Dennoch wird jetzt im ZDF-Intranet insinuiert, dass mein Themenvorschlag „zu spät“ gekommen war. Das ist eine falsche Tatsachenbehauptung, denn die Strafermittlungen gegen Schlesinger sind erst eine Woche später eingeleitet worden. Meine Recherchen wären für das ZDF ein Scoop gewesen. Meine Redaktionsleitung hätte die Bedeutung meiner Recherchen sofort im gesamten ZDF kommunizieren und sie in den tagesaktuellen Sendungen verbreiten müssen. Denn Rechtsexperten hatten mir gegenüber sofortige Strafermittlungen gegen Schlesinger gefordert und ihren Rücktritt von allen Ämtern.

Lesen Sie auch

Ein bedeutender Medien-Staatsrechtler sagte mir damals sogar, hier geht es an die „Grundfesten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“. So kam es dann ja auch. Doch all das hat im ZDF am 1. August 2022 niemanden interessiert, obwohl ich sogar sofort Beschwerde gegen Unterdrückung meiner Berichterstattung eingereicht habe. Erst Wochen später hat man mir einen Online-Beitrag zu einem Nebenaspekt erlaubt. Ein weiterer kritischer Artikel von mir zur Gender-Frage um den Schlesinger-Skandal wurde dann wieder auf merkwürdige Weise unterdrückt.

WELT: Haben Sie sich gegen den Intranet-Beitrag gewehrt?

Halbach: Ich habe sofort eine Gegendarstellung gefordert, weil der Artikel natürlich meine Glaubwürdigkeit im eigenen Haus beschädigt und mein Ansehen bei den Kollegen untergräbt. Hinzu kommt: Die Kommunikationsabteilung des ZDF, die diesen Beitrag veröffentlicht hat, hat ihre journalistische Sorgfaltspflicht verletzt. Ich bin vor der Veröffentlichung nicht einmal um eine Stellungnahme gebeten – und auch so was darf in einem öffentlich-rechtlichen Sender einfach nicht passieren.

WELT: Sie haben im NRW-Kulturausschuss von Einschüchterungsversuchen gesprochen. Vermuten Sie solche jetzt auch in Ihrem Fall?

Halbach: Na ja, ich bin jemand, der wegen einer Beschwerde sofort seine Arbeit verliert. Mein Vertrag wurde zwar nicht gekündigt, aber ich kann meinen Job derzeit nicht ausüben. Ob das als weiterer Einschüchterungsversuch zu werten ist, überlasse ich anderen.

Lesen Sie auch

WELT: Gab es auch Kollegen, die Sie direkt angesprochen haben?

Halbach: In der letzten Redaktionskonferenz, bei der ich anwesend war, gab es schon heftige Vorwürfe gegen mich. Mit meinen Vorwürfen gegen das ZDF hätte ich zugleich auch das Ansehen der Redaktion und ihrer Mitarbeiter beschädigt, hieß es vonseiten der Kollegen. Ich habe eine schriftliche Erklärung vorgelesen und darum gebeten, dass mir die Vertrauensfrage nicht gestellt wird – trotzdem wurde sie gestellt.

Man wollte wissen, ob ich überhaupt noch Vertrauen zu den Kollegen habe und ob ich mich noch in der Redaktion sehe. Das habe ich mit einem klaren Ja beantwortet. Denn ich habe weiterhin Vertrauen zu meinen Kollegen, das ist ein Top-Team. Nur leider wird in dieser Redaktion die Möglichkeit zur freien Meinungsäußerung eher kritisch eingeschätzt, das hat die letzte Mitarbeiterbefragung zumindest so ergeben.

WELT: Gab es denn auch Zuspruch?

Halbach: Ja, zahlreich. Ich habe viele Anrufe und Mails von Kollegen und ehemaligen Mitarbeitern erhalten, die Ähnliches erlebt haben – bis hin zu Mobbing, Ausgrenzung und der Unterdrückung von Berichterstattung. Ich konnte das bisher nicht verifizieren und habe mich noch nicht mit den Einzelfällen näher befasst.

Gleichzeitig haben sich einige Kollegen in den sozialen Medien von mir distanziert – teils bis an die Grenze der öffentlichen Beleidigung durch einen einzelnen Kollegen. Aber man muss auch sehen, dass die große Mehrheit der Kollegen, die sich von mir öffentlich distanzieren, unter prekären Bedingungen arbeiten – mit Zeitverträgen oder sogar nur Tageskontingent beschäftigt sind. Das ist in einer Investigativredaktion natürlich höchst problematisch, weil alle auf Vertragsverlängerungen angewiesen sind. Kritik bleibt da schnell aus. Das bestätigt nur meine Einschätzung: Angst und Abhängigkeit führen zu Selbstzensur und Angepasstheit – und das ist eines der größten Probleme im öffentlich-rechtlichen System.

WELT: Wie erklären Sie sich, dass die Lage jetzt so eskaliert?

Halbach: Für mich zeigt sich, dass im ZDF auf Kritik nicht angemessen reagiert wird – vom Sender, aber auch von Kollegen. Denn ich setze mich ja eigentlich für ihre journalistische Unabhängigkeit ein. Für die innere Rundfunkfreiheit, die es ohne ein Redaktionsstatut nicht gibt. Für faire und verlässliche Arbeitsverträge für Journalisten im ZDF und anderen ÖRR-Sendern. Vor diesem Hintergrund verstehe ich nicht, dass sich Kollegen von mir distanzieren.

WELT: Liegt es daran, dass Ihre politische Meinung nicht gewünscht ist?

Halbach: Es geht doch nicht um meine politische Meinung. Ich mache keine Politik, sondern ich bin unabhängiger Journalist, der auch ohne ideologische Voreingenommenheit berichten muss. Deshalb ist im dualen Mediensystem in Deutschland mit teils politisch und ideologisch ausgerichteten privaten Medien, die auch wirtschaftlichen Zwängen unterliegen, die Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Sender auch alternativlos. Weil wir gesetzlich zur Neutralität und Pluralität verpflichtet sind. Wenn es aber Anzeichen für tendenziöse Berichterstattung im ÖRR gibt, und das ist ja gerade die große öffentliche Diskussion, dann steht hier die Glaubwürdigkeit des gesamten beitragsfinanzierten Systems auf dem Spiel. Und die Verantwortlichen sollten deshalb auch Kritiker aus dem Redaktionsalltag wie mich ernst nehmen, statt sie zu canceln und ausgrenzen.

WELT: Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird von Kritikern eine politische Schlagseite vorgeworfen. Sind die Strukturen, die Sie beschrieben haben, aus Ihrer Sicht der Grund dafür?

Lesen Sie auch

Halbach: Möglicherweise liegt das Kernproblem genau darin: Es fehlt eine entscheidende Kontrollinstanz – also ein mitbestimmungsberechtigter Einfluss der Journalisten. Im Moment werden alle wichtigen Entscheidungen hierarchisch getroffen. Aber Journalisten können viele Dinge fachlich ganz anders und kompetenter bewerten als Abteilungsleiter oder Personalchefs. Trotzdem behandeln genau solche Leute Beschwerden – oder eben der Intendant. Deshalb braucht es dringend echte Mitbestimmung der Redakteure.

WELT: Haben Sie aus der Politik Unterstützung erfahren? Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) beispielsweise sprach ja bereits von einer „politischen Unwucht“ und unausgewogener Berichterstattung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Halbach: Ich sehe das genauso, aber im Moment konzentriert sich die Debatte stark auf die Causa Julia Ruhs. Dabei wird jedoch nur eine Seite berücksichtigt: Julia Ruhs macht gerade eine Blitzkarriere als konservative Journalistin – und das ist eigentlich im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht zulässig. Denn sie segelt unter einer klar erkennbaren politischen, ideologischen Flagge. Deshalb sollte sie lieber zu einem privaten Tendenzmedium gehen. Wir beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk aber müssen unabhängig sein. Man kann nicht aus einer politischen Ecke heraus Journalismus betreiben und gleichzeitig auf Unabhängigkeit pochen. Das geht nur in einem klar deklarierten Format, wie es früher bei „Frontal21“ mit „Hauser und Kienzle“ der Fall war: Zwei Standpunkte, zwei Haltungen – der Zuschauer konnte sich dann selbst eine Meinung bilden. Aber einseitige politische Berichterstattung verstößt gegen die Rundfunkstaatsverträge.

WELT: Wie wird es denn jetzt weitergehen für Sie?

Halbach: Ich werde mich weiterhin klar gegen Angriffe auf meine berufliche Reputation und gegen Ausgrenzung wehren. Zugleich sehe ich in meinem Fall ein exemplarisches Beispiel für strukturelle Fehlsteuerung im ZDF. Ich bleibe dabei, die Beschwerdekultur im ZDF ist in meinen Augen undemokratisch. Der Gesetzgeber muss dringend handeln.

WELT hat das ZDF um eine Stellungnahme gebeten. Auf Nachfrage hieß es, dass das ZDF die Darstellung von Herrn Halbach bereits zurückgewiesen hat. Recherchen zur Schlesinger-Affäre beim RBB seien auf ihren Nachrichtenwert hin geprüft worden, aber nicht unterdrückt. Das ZDF hat regelmäßig zur RBB-Affäre berichtet. Interne „Strafversetzungen“ oder Entlassungen gab es nicht. Sollte das ZDF noch ausführlicher antworten, wird dieser Artikel entsprechend aktualisiert.

Source: welt.de