Äthiopien | Pro Ägypten ist Äthiopiens Staudamm so gut wie schon eine Kriegserklärung
Am 9. September war es so weit: Der Great Ethiopian Renaissance Dam (GERD) wurde eingeweiht. Mit allem Pomp wurde die größte hydroelektrische Anlage eröffnet, die jemals in Afrika entstand. Seit 2011, als der Bau des Staudamms am Blauen Nil an der Grenze zwischen Äthiopien und dem Sudan begann, gab es teils heftige Konflikte um dieses Projekt. Nicht zwischen den zum Teil bis heute verfeindeten Ethnien im Vielvölkerstaat Äthiopien selbst, sondern zwischen den Anrainerländern Ägypten, Sudan und Äthiopien.
Die schiere Größe des Staudamms ist ebenso atemberaubend wie die des Stausees, der fast viermal so groß wie der Bodensee ist. Er fasst mehr als 64 Milliarden Kubikmeter Wasser, das Doppelte der Menge, wie sie durch den Drei-Schluchten-Damm in China, des bislang größten Elektrizität erzeugenden Bauwerks weltweit, gestaut wird. Dabei stellt das Projekt einen erheblichen Eingriff in die Wasserverteilung zwischen den Ländern dar, die vom Wasser des Nils abhängig sind.
Historische Revanche
Schon in den 1920er Jahren gab die damalige Kolonialmacht Großbritannien Ägypten die Garantie, über 80 Prozent des Nilwassers verfügen zu können. Ägypten kontrollierte den Suezkanal, daher der Deal mit den Briten. Dieses Agreement ist Geschichte, es gilt spätestens seit 2011 nicht mehr, als der Dammbau begann. Seither leben die Anrainer ohne verbindlichen internationalen Vertrag, der die Wasserverteilung zwischen ihnen regelt. Ägypten ist von den Wasserressourcen im Nil existenziell abhängig. Mehr als 93 Prozent seiner Landfläche sind Wüste, nur in einem schmalen Streifen an den Ufern des Stroms und in seinem Delta findet sich dauerhaft nutzbares Ackerland.
Seit Jahrtausenden lebt die hoch entwickelte hydraulische Landwirtschaft Ägyptens vom Nil – ohne die Nilschwemme, ohne die zahlreichen Staudämme, die das Netz der Bewässerungskanäle speisen, gäbe es dort – wie im Übrigen ebenso im Sudan – kein Leben. Zu allen Zeiten hat deshalb eine ausgeklügelte Bürokratie die Verteilung des Bodens und Wassers reguliert. Schon durch das Ägypten der Vorzeit wurden fast ununterbrochen Kriege gegen Nachbarländer geführt, um womöglich den gesamten Verlauf des Nils unter die eigene Kontrolle zu bringen.
Für Äthiopien ist die Vollendung des Staudamms nicht nur ein Riesenerfolg, sondern trägt in sich das Begehren nach historischer Revanche. Der Great Ethiopian Renaissance Dam taugt zum nationalen Leuchtturmprojekt und symbolisiert einen Willen zum Aufbruch, der für einen Kontinent Maßstäbe setzen kann. Schließlich haben die Äthiopier den Bau selbst finanziert, mehr als fünf Milliarden Dollar aufgebracht, ohne auf ausländische Kredite angewiesen zu sein. Vieles davon kam durch Spenden zusammen – aus dem Land selbst wie aus der äthiopischen Diaspora. Dies war nicht zuletzt deshalb geboten, weil Ägypten bei der Weltbank wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) massiv gegen eine Finanzierung des Projekts intervenierte. Folglich musste die äthiopische Regierung die eigenen Bürger bemühen, die sich diesem Ansinnen mehrheitlich nicht verschlossen haben.
Für die 135 Millionen Einwohner Äthiopiens soll mit dem neuen Staudamm die Elektrifizierung des ganzen Landes – die alte Lenin’sche Formel für den großen Modernisierungssprung – vorangetrieben werden. Für etwa 60 Prozent der Äthiopier, die bis heute keinen Zugang zu Elektrizität haben, soll das die Lebenslage entscheidend verbessern. Freilich müssen nun die Stromnetze um- und ausgebaut werden, damit wirklich alle Teile des Landes zu erreichen sind. Eine weitere Mammutaufgabe, besonders im gebirgigen Hochland.
Wie der Rhein oder die Donau in Europa ist der Nil für Afrika unbestritten ein internationales Gewässer. Nur fehlt es an einer gemeinschaftlichen Regulierung seiner Ressourcen durch die Anrainerstaaten, so wie dies seit 1950 der internationalen Rheinkommission zu verdanken ist, deren Anfänge auf 1815 zurückgehen. Internationale Zusammenschlüsse, die sich dem Schutz der Elbe und Donau verschrieben haben, sind seit 1990 beziehungsweise 1998 am Werk.
In Afrika gibt bisher anstelle derartiger Kooperationen nur auf die Kolonialmächte zurückgehende Verträge. Ein durch Großbritannien einst oktroyiertes Abkommen über die Verteilung des Nilwassers ist von Addis Abeba durch die Macht der Tatsachen außer Kraft gesetzt. So sieht es jedenfalls die Militärregierung von Präsident Abd al-Fattah as-Sisi in Kairo. Sie hat mehrfach gedroht, den Bau des Staudamms zu verhindern oder nach Kräften zu stören, notfalls mit Gewalt. Es kam jedoch nie so weit, dass ägyptische Militärjets die Baustelle in irgendeiner Weise attackiert haben. Die Angst vor einer dadurch ausgelösten Flutwelle dürfte groß gewesen sein, die nach einer Bombardierung die sudanesische Hauptstadt Khartum getroffen hätte. Doch mit diversen Säbeln gerasselt wurde und wird trotzdem.
Der Streit zwischen Kairo und Addis Abeba offenbart die Schwäche der Afrikanischen Union (AU), die dazu berufen wäre, derartige Konflikte zu entschärfen und Übereinkünfte zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln. Die Hauptsorge der AU galt bisher dem äthiopischen Bürgerkrieg, den man so rasch wie möglich beenden wollte, schon wegen der Millionen Kriegsflüchtlinge. Inzwischen schweigen die Waffen, und der Frieden hält – dafür beherrscht der sudanesische Bürgerkrieg Ostafrika. Ein Nebeneffekt dieses Infernos besteht darin, dass der Sudan außenpolitisch nicht handlungsfähig ist und als Akteur ausfällt. Ägypten fehlt so der Partner, den es braucht, um gemeinsam Front gegen Äthiopien zu machen und ein Abkommen über die Verteilung des Nilwassers zu erreichen. Solange es davon nichts gibt, nicht einmal verhandelt wird, kann Äthiopien mit seinem Staudamm Fakten schaffen.
Angesichts der zunehmenden Wasserknappheit sah sich die Regierung in Kairo bereits gezwungen, einzugreifen und die Landwirtschaft des Landes neu zu ordnen. So wurden Flächen für den höchst wasserintensiven Reisanbau um die Hälfte reduziert, auf jetzt rund 405.000 Hektar. Ägypten fürchtet wegen des absehbaren Wassermangels weitere Verluste an Anbauflächen in den kommenden Jahren. Daher sind bereits mehr als 500 neue Brunnen gebohrt worden, eine riesige Wasseraufbereitungsanlage ist im Bau, doch das reicht nicht. Die Ernährungssicherheit für mehr als 107 Millionen Menschen steht auf dem Spiel, genauso für 50 Millionen Sudanesen, die wegen des Bürgerkriegs bereits unter der größten Hungerkatastrophe weltweit leiden.
Tsangpo und Brahmaputra
Donald Trump, der selten eine Gelegenheit auslässt, sich öffentlich einzumischen, behauptet, die USA hätten den Staudamm dummerweise finanziert – und das schade nun den Buddys in Ägypten. Damit sind die Fronten klar, Trump und Staatschef as-Sisi gegen Addis Abeba, nicht zuletzt, weil der US-Präsident schlecht auf den äthiopischen Regierungschef Abiy Ahmed zu sprechen ist, der 2019 den Friedensnobelpreis bekam und die Frechheit besaß, Trump einen Deal zu verweigern. So kommt es auf das diplomatische Geschick der äthiopischen Regierung an und das der übrigen Mitgliedsstaaten der AU. Ein Kompromiss ließe sich wohl finden, da die Äthiopier planen, einen Teil des erzeugten Stroms an Nachbarländer wie Kenia oder via Djibouti bis nach Riad zu verkaufen.
Einige Tausend Kilometer entfernt, im Süden Asiens, braut sich der nächste große Konflikt um Wasserressourcen zusammen. Seit Juli sind die Arbeiten an einem gigantischen Staudamm mit insgesamt fünf Wasserkraftwerken am Unterlauf des Yarlung Tsangpo in Tibet im Gang. Sinnigerweise wenige Wochen, nachdem Indien den Vertrag mit Pakistan über die Nutzung des Indus-Wassers gekündigt hat. Mit diesem Megaprojekt – das Finanzvolumen liegt bei 170 Milliarden Dollar – wird China in wenigen Jahren 300 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugen, dreimal so viel wie der Drei-Schluchten Damm am Yangtse.
Wenige Kilometer südlich der Großbaustelle fließt der Tsangpo über die Grenze nach Indien, um dort als Brahmaputra seinen Lauf zu finden. Nach fast tausend Kilometern vereinigt er sich in Bangladesch mit dem Ganges und fließt ins Meer. Für Indien wie Bangladesch ist dieses Gewässer der wechselnden Namen eine Lebensader, beide Staaten fürchten nun massive Folgen des chinesischen Dammbaus am Oberlauf in Tibet. Das gilt für Wassermangel und Dürren ebenso wie Überschwemmungen in der Monsunzeit.
Auch hier zeigt sich: Dammbauten an grenzüberschreitenden Flüssen führen unweigerlich zu Konflikten und rufen nach ausgefeilter „Wasserdiplomatie“, will man militärische Konfrontationen vermeiden. In Afrika prallen hochgerüstete Regionalmächte aufeinander, in Südasien sind es nuklear bewaffnete Großmächte.