Literatur-Shootingstar Nelio Biedermann: „Ich will mich nicht verbiegen und verstellen“
Nelio Biedermann ist erst 22 Jahre alt, sein Roman „Lázár“ wird in zwanzig Sprachen übersetzt – und alle sprechen über ihn. Ein Gespräch mit dem jungen Starautor über Ruhm, Herkunft, Kritik – und den Hype um Caroline Wahl
Mit so viel Wirbel um seine Person hat er wohl selbst nicht gerechnet: Der Schweizer Shootingstar und gefeierte Jungschriftsteller Nelio Biedermann
Foto: Ruben Hollinger
Der Literaturbetrieb folgt momentan immer häufiger Aufmerksamkeitswellen, wodurch Autor:innen quasi über Nacht zu Shootingstars der Literatur werden. Neben Caroline Wahl erlebt auch der 22-jährige Nelio Biedermann einen vergleichbaren Erfolg mit seinem Roman Lázár (Rowohlt). Er erzählt die Geschichte einer untergehenden Adelsfamilie aus der Habsburgermonarchie. Ein Gespräch über das Schreiben, die Kritik und einen schnelllebigen Betrieb.
der Freitag: Herr Biedermann, Sie sind gerade einmal 22 Jahre jung und Ihr zweiter Roman wird nun in fast zwanzig Sprachen übersetzt. Der überragende Teil der Kritik in nahezu allen wichtigen Feuilletons bespricht sie positiv, feiert sie als Shooting-Star. Haben Sie damit gerechnet?
Nelio Biedermann: Nein, ab einem gewissen Zeitpunkt konnte ich zwar damit rechnen, dass er eine breitere Rezeption erfahren würde als mein Debüt. Ich habe meine Erwartungen aber bewusst niedrig gehalten, um nicht enttäuscht zu werden.
Haben Sie eine Erklärung für den Erfolg?
Ich glaube, dass viele Leute aktuell wieder eine große Freude an epischen Erzählstoffen haben. Sie schätzen es, Figuren länger zu begleiten und sich in ihnen und ihrem Schicksal zu spiegeln.
In ihrem neuen Werk Lázár ist das ja auch so. Wir nehmen Teil am Leben einer Adelsfamilie aus der Habsburgermonarchie. Der Plot setzt ungefähr um 1900 ein, taucht dann in die Wirren des 20. Jahrhunderts ein und erstreckt sich über beide Weltkriege hinweg. Am Ende ist die ehemals wohlhabende und angesehene Familie deklassiert. Welche Rolle spielt denn – bezogen auf Ihr Avancement im Literaturbetrieb und in der Öffentlichkeit –, dass die Geschichte von ihren eigenen Verwandten und Ahnen handelt?
Ich würde sagen, dass gerade die Mischung aus Historischem, Fiktivem und Fantastischem sehr wichtig ist für das Buch und dass genau diese Kombination zahlreiche Leser attraktiv finden. Das, was sie unter dem Abstraktum Geschichte kennen, wird hier in der Literatur, in dieser Chronik einer Familie, sehr nah und konkret. Durch die sehr private Weise der Begegnung mit den Figuren kann man sich mit ihnen identifizieren.
Nichts ist schlimmer, als wenn über ein Buch gar nicht gesprochen wird.
Private Weise ist ein gutes Stichwort, wenn wir unseren Blick etwas allgemeiner auf die Rezeption des Textes werfen. Neben den erfreulichen Besprechungen beklagt der „NZZ“-Kritiker Peer Teuwsen eine vermeintliche Obszönität. Er spricht von einer „Schauerkulisse“ für einen „Kitsch-Porno“ und echauffiert sich über den vielen Sex. Wie geht man mit solch kritischen Stimmen als junger Autor um?
Ich versuche, sowohl die negativen als auch die positiven nicht allzu nah an mich herankommen zu lassen. Beides würde das Schreiben behindern. Ich will aber frei bleiben im Kopf und mich nicht verbiegen und verstellen. Was mich nur stört, ist, wenn die Impulse auf meine Person zielen oder die Besprechung zu persönlich ausfällt.
Kann man das in Ihrem Fall von den autobiografischen Hintergründen trennen?
Zum Teil. Die Handlung ist zwar von meiner Familie inspiriert, die Figuren sind aber erfunden. Das schafft auch bei mir eine notwendige Distanz und macht es leichter, Transparenz zuzulassen. Allein schon andere Namen zu erfinden, hat dabei geholfen.
Gehen wir noch etwas genauer auf den Literaturbetrieb ein. Wir beobachten ja gerade, wie der Buchmarkt – Stichwort Caroline Wahl – von einem Hype zum nächsten springt. Sie erleben einen ähnlichen Höhenflug. Haben Sie Mechanismen beobachten können, die derartige Wellen erklären?
Zunächst einmal muss ich diesen herausfordernden Umgang mit der Öffentlichkeit erst noch lernen. So im Fokus zu stehen, ist eine Ehre, aber es ist auch nicht einfach. Ansonsten glaube ich, dass gewiss mein Alter eine Rolle spielt. Bei meinen Lesungen stelle ich fest, dass ich, wo normalerweise ein eher betagteres Publikum sitzt, doch viele Jüngere antreffe, eigentlich Menschen aller Altersklassen. Offenbar hat das Thema meines Romans etwas Universelles, das Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen – daher vielleicht auch die zahlreichen Übersetzungen – anspricht. Zudem faszinieren die Leser oftmals, das kann ich aus eigener Erfahrung sagen, die Geschichten hinter den Geschichten. Also was ist nun real verbürgt und was nicht?
Können Sie noch etwas mehr zu den Mechanismen hinter den Hypes sagen? Also unabhängig von ihrem persönlichen Fall.
Wenn man zum Beispiel die damalige Debatte um Christian Krachts Imperium anschaut, wird klar, dass es auch Dynamiken gibt, die jenseits der reinen Werkinterpretation und -rezeption entstehen. Leider rutschen zugleich Bücher durch die Maschen der Öffentlichkeit, bei so vielen Neuerscheinungen pro Jahr ist es aber auch schwierig, nichts zu übersehen. Trotzdem würde man sich für gewisse sehr gute Bücher natürlich eine größere Aufmerksamkeit wünschen.
Das wirft eigentlich kein gutes Licht auf den Zustand der Literaturkritik. Das klingt nach Orientierung am Boulevard, nach Konjunkturen, denen man hinterhereilt anstatt Qualität zu bewerten und zu kontextualisieren, oder nicht?
Nein, nicht unbedingt. Generell würde ich sowieso sagen, dass es immer zu begrüßen ist, wenn ein Text Aufmerksamkeit generiert. Nichts ist schlimmer, als wenn über ein Buch gar nicht gesprochen wird. Allerdings wünsche ich mir natürlich schon eine werkbezogene Auseinandersetzung, die sich auf die literarische Qualität oder die Themen des Buchs konzentriert. Und ein Bewusstsein der Kritiker, wie viel Verantwortung sie haben, den Lesern gegenüber, aber auch den Menschen, die hinter einem Buch stehen.
Lázár Nelio Biedermann Rowohlt 2025, 336 S., 24 €