Frankreich: Emmanuel Macron hat es geschafft, dies Land ist unregierbar

Absolut rekordverdächtig. Frankreichs designierter Premierminister Sébastien Lecornu hielt sich nach der Berufung gerade einmal 26 Tage im Amt. Der Grund für die politische Misere heißt: Emmanuel Macron


Der Schatten hinter Frankreichs politischer Misere: Präsident Emmanuel Macron

Foto: Ludovic Marin/AFP via Getty Images


Emmanuel Macron hätte die Gelegenheit nutzen und bei seinem Auftritt zum Einheitstag in Saarbrücken um politisches Asyl in Deutschland bitten sollen. Er dürfte inzwischen außerhalb Frankreichs besser aufgehoben sein als im Pariser Elysée-Palast. Schon wieder ist dieser Präsident mit einer Personalentscheidung krachend durchgefallen. Um Frankreich wäre es besser bestellt, wollte Macron daraus die Konsequenzen ziehen, dass ihm in seinem Land alle ihr Misstrauen aussprechen – die Parteien, die Bürger, die Gewerkschaften, die Nationalversammlung, die Medien, die Staatsfinanzen, die öffentliche Stimmungslage … Wer vertraut ihm noch? Wer hält ihn für unersetzlich?

Werden Wahlergebnisse missachtet, kollabiert das System

Diesmal waren seinem neuesten Premierminister SébastienLecornu nach der Berufung gerade einmal 26 Tage im Amt beschieden. Das ist bei den fünf Ministerpräsidenten, die es seit der Wiederwahl Macrons im April 2022 gab, absolut rekordverdächtig. Dem unmittelbaren Vorgänger Francois Bayrou bescherte der Durchhaltewille 270 Tage, bevor er am 8. September seinen Haushaltsentwurf absehbar nicht durchs Parlament brachte.

Ende 2024 hatte Bayrou den konservativen Regierungschef Michel Barnier beerbt, der es auf 90 Tage brachte, bis ihm am 4. Dezember 2024 eine Mehrheit in der Nationalversammlung das Vertrauen entzog, ein Vorgang, den es so zum letzten Mal 1962 gegeben hatte.

Frankreichs faktische Unregierbarkeit hat vorrangig einen Grund: das Übergehen des Ergebnisses der durch Macron nach der Niederlage seiner Partei Renaissance bei der Europawahl willkürlich und überraschend anberaumten Parlamentswahl am 30. Juni bzw. 7. Juli 2024.

Stets wurde der Haushalt zum Scharfrichter

Der Linksruck bei dieser Abstimmung wurde zu einem Rechtsruck bei den Regierungsbildungen, die darauf folgten. Die Dysfunktionalität des politischen Betriebs schritt dadurch unaufhaltsam voran. Die parlamentarische Demokratie, auch die präsidiale, wie sie in Frankreich mit der V. Republik Verfassungsauftrag ist, betrachtet Wahlen als Referenzprojekt. Werden deren Resultate missachtet, kollabiert das System – es wird diskreditiert und verliert an Glaubwürdigkeit.

Seit dem Sommer 2024 ist genau das eingetreten. Dreimal wurden seither Ministerpräsidenten aus dem Mitte-Rechts-Lager berufen, ohne dass deren Regierungsfähigkeit auch nur ansatzweise gesichert war. Die daran beteiligten Parteien wie Renaissance und Les Républicainshatten nicht einmal die Aussicht auf tolerierende Mehrheiten in der Nationalversammlung. Der mit der Regierungsbildung verbundene Affront ließ es weitgehend aussichtslos erscheinen, bei den Oppositionsparteien der linken Volksfront und der ultrarechten Nationalisten Gehör zu finden, selbst wenn sich der Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen und Jordan Bardella zuweilen pragmatisch und gnädig zeigte. Was immer dann vorbei war, wenn es um den Haushalt ging.

Um welches politische Vermächtnis ist Macron besorgt?

Der Hauptverantwortliche für das kollektive Scheitern einer krampfhaft aufrechterhaltenen politischen Option ist niemand sonst als Macron selbst. Er hat den unbedingten Willen zum Machterhalt mit dem Bedürfnis verschränkt, sein politisches Vermächtnis zu wahren.

Wobei zunächst die Frage angebracht erscheint, worin das bestehen soll. In der Art, wie er durch präsidialen Erlass die Rentenreform und andere Entscheidungen durchgesetzt hat? In seiner schwülstigen Pro-EU-Rhetorik, die sich umso weiter von den Realitäten in der Europäischen Union entfernte, je inbrünstiger sie intoniert wurde? Zuletzt am 3. Oktober in Saarbrücken? Oder in albernen Kuschel- und Kappeleinheiten mit dem US-Präsidenten im Weißen Haus, die noch peinlicher wirkten als die devote Ergebenheit des deutschen Kanzlers gegenüber Donald Trump? Im Übrigen: Wenn es ein solches Vermächtnis wirklich gibt, dann hat es Macron auf dem Altar seiner unerbittlichen Sturheit längst geopfert.

Die demokratiebeflissene Europäische Union, die Polen, Ungarn, Slowaken und künftig wohl auch Tschechen gern maßregelt, leistet sich mit Macron einen Leistungsträger, der es mit alternativer Wahrheit hält. Zum Beispiel der, dass Kabinette weniger auf demokratische Voten zurückgehen sollten als auf einen präsidialen Willen. Diese Wahrheit kollidiert erkennbar mit der Wirklichkeit, und das zum Schaden Frankreichs.