Privatsenderverband fordert: Plattformregulierung ist jetzt entscheidend!

Mit seinem Global Risk Report hat das Weltwirtschaftsforum erneut Fehlinformationen und Desinformation als größte ökonomische Risiken für die kommenden zwei Jahre herausgestellt und damit ihre anhaltende Bedrohung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Funktionieren von Regierungen untermauert. Vertrauensverlust und Spaltung sind die Kräfte, die diese Bedrohung entfalten.

Besonders wirkungsvoll sind sie, weil sich entsprechende Inhalte in kürzester Zeit und ohne Faktencheck über soziale Netzwerke verbreiten. Dies geschieht vor allem auf den marktführenden Social-Media-Plattformen internationaler Big-Tech-Giganten. Im Unterschied dazu liefern journalistische Medienangebote gerade in Krisenzeiten faktenbasierte Berichterstattung, valide Einordnungen und hochwertige Unterhaltung.

Dies alles in einem Umfeld, in dem die wirtschaftliche Lage in Deutschland fragil bleibt. Eine nachhaltige Erholung oder spürbare Impulse durch die neue Bundesregierung bleiben bisher aus. Nicht nur für private Medienunternehmen bedeutet dies weiterhin erhebliche Unsicherheiten.

Big-Tech-Konzerne im Vorteil

2024/25 zeigt der deutsche Werbemarkt wieder leichtes Wachstum. Bei den audiovisuellen Werbeumsätzen treiben vor allem die digitalen Segmente wie Video- und Audio-Streamingwerbung, für die der Verband Vaunet dieses Jahr zweistellige Wachstumsraten prognostiziert, die Entwicklung. Insgesamt wird der audiovisuelle Werbemarkt 2025 rund 6,3 Milliarden Euro Umsatz erreichen. Doch schon heute gehen 44 Prozent der weltweiten Werbeausgaben an nur drei Unternehmen: Alphabet, Amazon und Meta. In Deutschland sind es 49 Prozent der gesamten Netto-Werbeumsätze beziehungsweise 72 Prozent der Digitalumsätze. Dabei sind die „Big Techs“ neben den nationalen in regionalen Medienmärkten aktiv, in denen Radiosender und Lokalzeitungen ihre Wertschöpfung generieren.

Die Wertschöpfungskette ist so verschoben, dass die Produktion von journalistischen und kreativen Inhalten, die ein demokratiesicherndes Gegengewicht zu Fehl- und Desinformation bieten, ein hohes unternehmerisches Risiko in sich trägt, während die Gatekeeper immer größere Erträge abschöpfen. Die Werbemärkte wachsen zunehmend an den Medien vorbei. Noch schwerer wiegt die Asymmetrie beim Zugang zu Daten. Big-Tech-Konzerne verfügen über exakte Nutzerprofile und steuern damit ihre Werbesysteme, während Inhalteanbieter nur Reichweitenzahlen sehen, jedoch kaum Informationen über Nutzungsintensität oder konkretes Verhalten ihrer Zielgruppen erhalten. Ohne diese Daten ist es nicht möglich, bei Werbevermarktung und Entwicklung neuer digitaler Produkte mitzuhalten. Daten sind heute die zentrale Währung der Medienökonomie – wer keinen Zugang hat, verliert den Anschluss. Diese Ungleichgewichte treten in neuen Zugangsbedingungen wie in sogenannten Inventory Share Policies oder Apples „App Tracking Transparency Framework“ zutage. Die Plattformen bauen ihre Marktmacht über technische Vorgaben und AGB-Änderungen gezielt aus.

Künstliche Intelligenz schadet Medienanbietern

Die Künstliche Intelligenz mit Entwicklungen wie Googles „AI Overviews“ verschiebt das Kräfteverhältnis weiter. Die Plattform nutzt fremde Inhalte von Publishern, um durch ihre Zusammenfassung ein eigenes Konkurrenzprodukt zu erstellen. Nutzer erhalten Antworten direkt oberhalb der Suchergebnisse, Quellen werden nur verkürzt oder gar nicht sichtbar. Solche Übersichten drohen ein echter „Traffic Killer“ für journalistisch-redaktionelle Angebote zu werden.

Entscheidungen darüber, welche Quellen sichtbar werden und wie sich die „Durchleitung“ zu Medienanbietern gestaltet, liegen bei den Plattformen, bislang ohne wirksame Kontrolle. Damit sind solche Übersichten ein rechtliches, ökonomisches und medienpluralistisches Problem.

Ohne steuernde Eingriffe werden sich Werbemacht und Datenhoheit bei wenigen globalen Gatekeepern verfestigen, perpetuiert durch die rasante Entwicklung von KI. Um Vielfalt, Innovation und Wettbewerb zu sichern, müssen drei Dinge von der Politik konsequent und dringend umgesetzt werden.

Claus Grewenig ist Vorstandsvorsitzender des Privatsenderverbands Vaunet und Chief Corporate Affairs Officer RTL Deutschland.
Claus Grewenig ist Vorstandsvorsitzender des Privatsenderverbands Vaunet und Chief Corporate Affairs Officer RTL Deutschland.Picture Alliance

Private Medien brauchen faire Rahmenbedingungen, um ihre Angebote zu refinanzieren. Das umfasst den gleichberechtigten Zugang zu Werbemärkten – ohne erzwungene Umsatzmodelle oder exklusiven Technologiezwang – ebenso wie die Auffindbarkeit ihrer Angebote auf den Plattformen. Refinanzierung erfordert maximale Beinfreiheit für unternehmerische Entscheidungen. Sie darf nicht durch Werbeverbote, überschießende Regulierung von adressierter Werbung oder Quoten- und Investitionsverpflichtungen eingeschränkt werden. Besonders schwierig wird es, wenn Daten- oder Verbraucherschutz die Refinanzierung tangieren – etwa mit Regelungen zu Abo-Laufzeiten oder mit ungleichen Einwilligungsanforderungen zur Datenverwendung. Investitions-, Planungssicherheit sowie Bürokratieabbau sind das Rückgrat privater Inhalteanbieter. Das Bekenntnis der Politik zu Journalismus und hochwertigen Inhalten darf nicht enden, wenn es um konkrete Regelungsvorhaben geht.

Der Digital Markets Act (DMA) und der Digital Services Act (DSA), mit denen die EU-Kommission die Grundrechte von Nutzern schützen und faire Wettbewerbsbedingungen schaffen möchte, sind die wichtigsten europäischen Antworten auf die Dominanz von Big-Tech-Plattformen. Doch Gesetze allein reichen nicht – entscheidend ist ihre Durchsetzung. Googles „AI Overviews“ zeigen, wie schnell neue Produkte Regulierung aushebeln. Nur wenn DMA und DSA weiterentwickelt und angewendet werden, können Gatekeeper zur Verantwortung gezogen werden. Verantwortung bedeutet auch, dass die Haftung für fremde Inhalte überdacht werden muss, wenn Ökonomisierung und Zugang zu Drittinhalten Leitmotive des Gatekeeper-Geschäftsmodells sind. Eine systematische Ungleichbehandlung mit den verantwortlichen Medienanbietern lässt sich hier nicht mehr rechtfertigen.

Aktuell erleben wir, dass Wettbewerbspolitik im Spannungsfeld transatlantischer Beziehungen steht. Im Interesse der Medienvielfalt und Sicherung unserer demokratischen Grundordnung müssen Deutschland und Europa klarstellen: Plattformregulierung ist nicht verhandelbar, sondern Teil der digitalen Souveränität. Die Entscheidung der EU-Kommission, Regeln einheitlich anzuwenden und Google wegen Missbrauchs seiner Marktmacht im Bereich der Onlinewerbung („AdTech“) zu sanktionieren sowie zur Beseitigung seiner Interessenkonflikte zu verpflichten, zeugt von diesem Verständnis.

Kooperationen können Resilienz stärken

Auf nationaler Ebene sollte der Digitale-Medien-Staatsvertrag, an dem die Länder arbeiten, neue Intermediärfunktionen – etwa KI-Suchdienste – abdecken. Ebenso sollte das Diskriminierungsverbot auf Medienintermediäre erweitert und die Regulierung der Auffindbarkeit auf sie erstreckt werden. Outlinks zu Medieninhalten sollten umfassend ermöglicht werden.

Kein Anbieter kann die derzeitigen Herausforderungen allein bewältigen. Kooperationen werden die Resilienz privater Medien gegenüber Gatekeepern, aber auch von Europa, erheblich stärken. Der Wettbewerb findet im internationalen Kontext statt: TV konkurriert nicht mehr nur mit TV oder Radio nur mit Radio. Dafür sollte die Regulierung einen Rahmen setzen: Übergreifende Kooperationen – von Print über Radio, TV bis Streaming, aber auch im dualen Mediensystem, müssen ermöglicht werden. Der Koalitionsvertrag bietet hier wichtige Ansätze, wenn er zur Vielfaltssicherung auf Ausnahmen im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen für Medienkooperationen zielt. Auch der neue Reformstaatsvertrag sieht ein umfassendes Kooperationsgebot für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor. Es reicht vom Embedding über vereinfachte Lizenzierung von Inhalten bis zur Infrastrukturzusammenarbeit. Gemeinsame Schnittstellen, Metadaten oder Login-Modelle sind Ansatzpunkte.

Die digitale Medienordnung steht an einem Wendepunkt. Ohne klare Regeln gewinnen die Gatekeeper wirtschaftlich und im demokratischen Meinungsbildungsprozess die Oberhand. Nur mit einer konsequenten Regulierung, fairen Werbemärkten und neuen Kooperationen können Vielfalt, Innovation und Marktgerechtigkeit zurückgewonnen und der europäische Binnenmarkt besser austariert werden. Es geht darum, die digitale Souveränität Europas zu schützen und seine wirtschaftliche und demokratische Resilienz zu stärken.

Der von der Regierungskoalition angekündigte Herbst der Reformen muss deshalb auch ein Herbst der Entscheidungen bei der Plattformregulierung werden. Abwarten und Zögern verfestigen das Ungleichgewicht und schwächen die Medienvielfalt. Bund und Länder sollten die angekündigten Vorhaben für mehr Kooperation und ein Update der Gatekeeper-Regulierung schnell und gleichermaßen präventiv auf den Weg bringen. Anders als in der Infrastrukturpolitik ist Medienpolitik ein Feld, wo es nichts aufzuholen, sondern in Sachen Vielfalt viel zu verlieren gibt.

Claus Grewenig ist Vorstandsvorsitzender des Privatsenderverbands Vaunet und Chief Corporate Affairs Officer RTL Deutschland.

Source: faz.net