Warum Tabletten c/o Schmerzen nicht die alleinige Problembeseitigung sind

Es zwickt im Rücken, der Kopf dröhnt. Die helfende Tablette gibt es aber nur mit Risiken. Der Körper kann Schmerzen aber auch selbst regulieren – je mehr Training, desto besser.
Früher, als es noch keine Schmerzmittel gab, müssen die Menschen enorm gelitten haben. „Ich bin so froh, im 21. Jahrhundert zu leben“, gibt Eckart von Hirschhausen zu. Heutzutage gibt es eine riesige Auswahl an Schmerzmitteln. Fortschritt hat allerdings oft einen Preis und dem geht der Arzt, Kabarettist und Wissenschaftsjournalist in der Fernseh-Doku „Hirschhausen und der Schmerz“ nach.
Schmerzmittel sind in akuten Situationen wichtig. Sie können verhindern, dass ein Schmerzgedächtnis entsteht und der Körper neue Schmerzen mit bereits erlebten Erfahrungen vergleicht. Häufig greifen Menschen erst mal zu rezeptfreien Mitteln wie Ibuprofen, Paracetamol, Acetylsalicylsäure, wie ASS oder Aspirin, Diclofenac.
Das ist mit Risiken und Nebenwirkungen verbunden: Paracetamol kann beispielsweise die Leber schädigen. „Die Schmerzmittel, die man in der Apotheke frei kaufen kann, sind schon recht giftig“, sagt Kay Niemier, Schmerzmediziner und Chefarzt im LUP-Klinikum Hagenow in Mecklenburg-Vorpommern. Ibuprofen und Diclofenac würden die Nieren kaputtmachen, zu Herzinfarkten führen, die Leber zerstören. Für Niemeier sind das Gründe, dass diese Mittel rezeptpflichtig werden müssten. Seine Erfahrung: „Häufig helfen sie nicht mal.
Auslöser der Opioid-Krise: Schmerzmittel
Dennoch werden sie oft genommen: Frei verkäufliche Schmerzmittel nimmt innerhalb eines Monats fast jeder zweite Erwachsene. Wie oft und wie lange, entscheidet jeder für sich. Wer chronische Schmerzen hat oder besonders starke, bekommt vom Arzt stärkere Mittel verschrieben – Opioide wie beispielsweise Fentanyl und Oxycodon. Sie haben ein hohes Potenzial, abhängig zu machen.
Oxycodon hat in den USA die Opioid-Krise ausgelöst. Millionen US-Amerikaner sind abhängig geworden, Zehntausende sterben an Überdosierungen. Auch wenn es eine Opioid-Krise in Deutschland nicht gibt, mahnt Eckart von Hirschhausen in der Fernseh-Dokumentation: „Es gibt ernste Warnsignale, dass auch hierzulande Opioide zu hoch dosiert und zu lange verordnet werden.“
Schmerzempfindlicher durch Schmerzmittel?
Stärkerer Schmerz führt zu höherer Dosierung – ein Dilemma, so Mediziner Niemier: „Was viele Menschen nicht wissen: Dass hochdosierte Opiate mehr Schmerzen machen.“
Auch, wenn es paradox klingt: Starke Schmerzmittel führen in hoher Dosierung dazu, dass der Körper Schmerzen anders reguliert. Die Fähigkeit des Körpers Schmerzen abzuwehren, lässt nach. Die Menschen werden schmerzempfindlicher.
Selbsthilfe des Körpers
Dabei helfen nicht nur Medikamente gegen Schmerzen. Der Körper kann auch selbst dagegen angehen. Deswegen können Menschen in Extremsituationen mit schweren Verletzungen, wie beispielsweise einem gebrochenen Bein, noch weiterlaufen.
„Das ist evolutionär“, sagt Christian Büchel, Schmerzforscher und Direktor des Instituts für systemische Neurowissenschaften an der Uniklinik Hamburg. Wer von einem Löwen gebissen werde, habe zwei Möglichkeiten: „Liegenbleiben und aufgefressen werden oder wegrennen. Und um wegzurennen sind Schmerzen sehr unpraktisch“, sagt Büchel. Körperliche Anstrengung dämpft den Schmerz. Je länger und intensiver, desto besser.
Nerven lernen ein Leben lang
Schüttet unser Körper durch sportliche Bewegung Endorphine aus, nehmen wir Schmerzen weniger wahr. Denn der Schmerz findet im Gehirn statt. „Ohne unser Großhirn gibt es praktisch keinen Schmerz“, ordnet Schmerzspezialist Niemier vom LUP-Klinikum Hagenow ein. Zum Glück könnten Nerven ein Leben lang lernen, sich neu vernetzen, neue Netzwerke bilden.
Wissen über den Schmerz, über sich selbst und regelmäßige Bewegung sind ein wichtiger Teil in der Schmerztherapie. Auch wenn Schmerzmittel in einer akuten Situation wie die naheliegende, einfache Lösung scheinen: Der Schmerz selbst ist komplex und alles andere als einfach.
Source: tagesschau.de