Rücktritt von Lecornu: Frankreichs Regierungskrise spitzt sich katastrophal zu

Die Regierungskrise in Frankreich hat sich am Montag dramatisch zugespitzt. Nur wenige Stunden nach der Vorstellung seines Regierungskabinetts am Sonntagabend hat Premierminister Sébastien Lecornu am Montagmorgen seinen Rücktritt eingereicht. „Man kann nicht Premierminister sein, wenn die Grundlagen dafür nicht bestehen“, sagte der 39 Jahre alte Politiker in einer Ansprache am Montagvormittag.

Er nannte drei Gründe. Die Parteien hätten nicht verstehen wollen, dass er dem Parlament die Macht zurückgeben wollte. Lecornu hatte angekündigt, nicht mit einem beliebten Verfassungstrick die parlamentarische Debatte verkürzen zu wollen.

Als zweiten Grund seines Scheiterns nannte er die Forderung der Parteien, nur ihr eigenes Programm umzusetzen. Als dritten Grund nannte er die Präsidentschaftsambitionen, welche die Postenvergabe am Kabinettstisch bestimmt hätten. Zusammenfassend beklagte er die fehlende Bereitschaft, Kompromisse zu schließen. „Es gibt viele rote Linien, (…) und nur selten grüne Linien“, sagte er. Lecornu erwähnte mit keiner Silbe, welchen Weg er sich aus der derzeitigen Regierungskrise vorstellen könne.

Es fehlt der „versprochene Bruch“

Präsident Emmanuel Macron teilte in einem nur einen Satz umfassenden Kommuniqué mit, dass er den Rücktritt annehme. Damit entsteht in Paris eine ungewöhnliche Vakanz der Macht. Die Amtseinführungen der neuen Minister sollten eigentlich am Montag stattfinden, sind aber nach dem Rücktritt des Premierministers abgesagt worden. Ein derartiges Durcheinander hat es seit Gründung der V. Republik 1958 noch nicht gegeben. Der Vorsitzende des Rassemblement National (RN), Jordan Bardella, rief Präsident Macron am Montag zu Neuwahlen auf. „Es wird erst wieder Stabilität geben, wenn wir zu den Urnen zurückgekehrt sind“, sagte Bardella.

Mehrere Parteien des Regierungsbündnisses hatten zuvor die Kabinettsliste kritisiert und mit einem Austritt aus dem Bündnis gedroht. Stein des Anstoßes war die Rückkehr des früheren Finanz- und Wirtschaftsministers Bruno Le Maire, der die Schuldenpolitik der vergangenen Jahre verantwortete, ins Amt des Verteidigungsministers. Lecornu hatte bei einem vertraulichen Gespräch mit Innenminister Bruno Retailleau von den Republikanern (LR) am Sonntagnachmittag nach übereinstimmenden Presseinformationen die Personalie Le Maire verschwiegen.

Für Retailleau stellte dies einen doppelten Vertrauensbruch dar. Der Innenminister muss beim Schutz der öffentlichen Ordnung eng mit dem Verteidigungsminister zusammenarbeiten. Die Gendarmerie hat einen militärischen Status und ist Teil der Armeebediensteten. Zudem stellte die Nominierung Le Maires einen Affront für den Parteivorsitzenden Retailleau dar. Der Chef der Republikaner hatte gegen Widerstand in seiner Fraktion durchgesetzt, weiter der Regierung anzugehören. Der Fraktionsvorsitzende der Republikaner, Laurent Wauquiez, lehnte eine erneute Regierungsbeteiligung ab. Am späten Sonntagabend zog Retailleau die Konsequenzen aus dem Vertrauensbruch. „Die Zusammensetzung der Regierung spiegelt nicht den versprochenen Bruch wider“, verbreitete Retailleau in den sozialen Netzwerken. Er berief einen erweiterten Parteivorstand ein.

Sozialistischer Parteichef spricht der Regierung Legitimität ab

Seit seiner Nominierung zum Premierminister am 9. September war es dem 39 Jahre alten Lecornu nicht gelungen, einen Kompromiss zur Haushaltsplanung zu schmieden. Ihm fiel es sichtlich schwer, bereits die Bündnispartner vom sogenannten gemeinsamen Sockel zusammenzuführen. Die Republikaner warnten wiederholt, dass eine Regierungsbeteiligung nicht selbstverständlich sei. Von dem schwammigen Fahrplan für die Regierungszusammenarbeit, den Lecornu in der Nacht zu Sonntag verschickte, waren sie nicht überzeugt. Darin fehlten aus ihrer Sicht konkrete Vorschläge für Einsparungen. Noch weniger Erfolg hatte der Premierminister mit den Sozialisten, auf deren Duldung er für den Haushalt angewiesen ist.

Der sozialistische Parteivorsitzende Olivier Faure kündigte am Montag im Radiosender France Inter an, die Regierung stürzen zu wollen.  „Wir fordern, dass das Parlament frei über die Abschaffung der Rentenreform debattieren kann“, sagte Faure. Ohne eine Debatte über die schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters auf 64 Jahre würden die Sozialisten der Regierung das Misstrauen aussprechen. Faure bezeichnete die Rückkehr Le Maires in die Regierungsverantwortung als „wirkliche Provokation“. „Der Mann, der dazu beigetragen hat, die Schuldenlast um 1000 Milliarden Euro zu erhöhen, kommt zurück, um Opfer von den Franzosen zu verlangen“, kritisierte Faure. Der sozialistische Parteichef sprach der Regierung jegliche Legitimität ab.

Die Finanzmärkte reagieren empfindlich

Der Rücktritt Lecornus hat auch an den Finanzmärkten für Bewegung gesorgt. In Sorge um die finanzpolitische Stabilität der zweitgrößten und hoch verschuldeten EU-Volkswirtschaft zog der Risikoaufschlag auf französische Staatsanleihen am Montag an. Mit bis zu 88 Basispunkten kletterte er im Vergleich zur Bundesanleihe mit zehnjähriger Laufzeit auf den höchsten Stand seit Dezember 2024, als die Vorvorgängerregierung von Premierminister Michel Barnier gestürzt worden war. Die Rendite auf französische Anleihen überstieg am Montag die der italienischen.

Während der Euro leicht auf unter 1,17 Dollar fiel, zeigten sich am Aktienmarkt deutliche Bremsspuren. Der französische Leitindex CAC 40 fiel am Montagmorgen um knapp zwei Prozent. Nahezu alle Titel notierten im Minus, am stärksten die der drei größten französischen Kreditinstitute Société Générale, BNP Paribas und Crédit Agricole mit Verlusten zwischen rund fünf und sieben Prozent. Die Banken sind in Frankreich traditionell besonders empfindlich für politische Instabilitäten, da sie als Indikator für die wirtschaftliche Entwicklung gelten und da sie große Bestände an französischen Staatsanleihen halten.