Trotz EU-Sanktionen: Warum westliche Banken an Russland klammern

Wer in Moskau noch Kunde der italienischen Bank Unicredit ist, sollte sich vor dem Gang zur Stammfiliale vergewissern, dass es sie noch gibt. Fast wöchentlich verschickt die russische Bank E-Mails wegen neuer Filialschließungen. Laut der Internetseite sind heute im erweiterten Stadtzentrum nur noch fünf Zweigstellen und gut 20 Bankautomaten übrig – bei einer Bevölkerung von rund 15 Millionen ist das nicht viel. Auch sonst tut die Bank einiges, um Kunden abzuschrecken. So verdreifacht sie die Tarife für die Kontoführung von Firmenkunden von Oktober an auf 15.000 bis 20.000 Rubel im Monat (rund 156 bis 208 Euro). Von Dezember an sollen die Preise noch mal verdoppelt werden; neue Firmenkonten können nicht mehr eröffnet werden.

Die Maßnahmen sind Teil eines kalkulierten Rückzugs von Unicredit. Trotz des Drucks der Europäischen Zentralbank (EZB) ist sie gut dreieinhalb Jahre nach Kriegsbeginn noch immer da. Unicredit ist zwar nicht mehr ausländischer Marktführer wie noch 2012, doch mit knapp 3000 Mitarbeitern ist sie in Russland noch die zweitgrößte westliche Bank hinter der Raiffeisen Bank International (RBI) aus Österreich. Die jüngsten Verkaufsversuche sind gescheitert so wie zuletzt auch bei der RBI.

Über ein Geschäft der Unicredit mit drei Käufern aus den Vereinigten Arabischen Emiraten wurde im Mai gemutmaßt; die Zeitung „Kommersant“ meldete damals, hinter einer der Käuferfirmen stehe die russische „Alfa-Gruppe“, Eigentümerin der größten Privatbank des Landes. Weil diese unter EU-Sanktionen stehe, habe man den Umweg über Firmen in den Emiraten gewählt. Doch der Deal kam nie zustande.

Putins Machtwort zählt

Russland hat es westlichen Firmen seit dem Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 immer schwerer gemacht, ihre Vermögenswerte noch einigermaßen gewinnbringend zu veräußern. Inzwischen sind die Bedingungen so unvorteilhaft, dass ein Verkauf nur noch unter hohen Verlusten möglich ist. So muss das Geschäft von Präsident Wladimir Putin persönlich genehmigt werden, wenn eine Bank, ein Energie- oder Rohstoffunternehmen beteiligt ist, oder die Verkaufssumme über 50 Milliarden Rubel (rund 520 Millionen Euro) liegt.

Zudem muss der Verkaufspreis 60 Prozent unter dem Marktwert liegen; zusätzlich fällt eine „freiwillige“ Abgabe in Höhe von 35 Prozent des Marktwerts an den russischen Staatshaushalt an. Zuletzt hatte Putin im Januar den Verkauf der (im Vergleich zu Unicredit und RBI viel kleineren) Tochtergesellschaft der amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs an den Fonds eines armenischen Unternehmers genehmigt.

Die niederländische Bank ING dagegen musste gerade eine wichtige Frist für den geplanten Verkauf ihres Russland-Geschäftes an einen russischen Investor verstreichen lassen. ING will seine Tochtergesellschaft trotz erwarteter Verluste von 700 Millionen Euro dem russischen Unternehmen Global Development JSC überlassen, hinter dem der russische Geschäftsmann Andrei Muravyov steht, ein Manager mit Erfahrungen im Bereich des Forderungsaufkaufs und -einzugs. „Doch der Käufer hat nicht alle notwendigen Genehmigungen erhalten“, teilt ING mit. Die Bank hofft auf einen späteren Abschluss, kann sich jedoch nicht festlegen.

DSGVO Platzhalter

In italienischen Bankenkreisen wird darauf hingewiesen, dass generell nicht nur Putin einem Verkauf zustimmen muss, sondern auch die EZB. Zudem würden teilweise auch die Vereinigten Staaten ein Wörtchen mitreden, heißt es, zumal es um große geopolitische Fragen gehe.

Russland selbst dürfte sowohl im Fall der Unicredit wie auch bei der RBI indes nur ein geringes Interesse an deren Abschied haben. Beide gehören zu den wenigen Geldinstituten in Russland, die nicht mit Sanktionen belegt und deshalb noch an den internationalen Zahlungsdienstleister SWIFT angeschlossen sind, was internationale Transaktionen vereinfacht. Auch das italienische Außenministerium plädierte im Mai aus diesem Grund für einen Verbleib von Unicredit. Ansonsten seien die 250 in Russland noch arbeitenden italienischen Unternehmen gefährdet, hieß es.

Gegenmittel, wenn die EU russisches Geld abgreift

Hinzu kommt, dass westliche Vermögenswerte wie die Unicredit-Tochter für den Kreml ein Faustpfand sein können, falls die EU die in Belgien eingefrorenen Reserven der russischen Zentralbank als Sicherheit für einen Kredit an die Ukraine nutzen sollte. Moskau hat sich schon lange auf einen solchen Fall vorbereitet und als Gegenmaßnahme etwa die seit 2022 angefallenen Gewinne westlicher Konzerne sowie die Vermögenswerte von Investoren aus „unfreundlichen Ländern“ auf sogenannten Typ-C-Konten eingefroren. Putin unterzeichnete kürzlich auch ein Dekret, mit dem der Kreml ausländische und russische Vermögenswerte einfacher und schneller beschlagnahmen und weiterverkaufen kann.

Bei allen Klagen durch westliche Banken über Russland – manche vergießen freilich Krokodilstränen. Bei Unicredit lag der Umsatz 2024 genau auf dem gleichen Niveau wie zwei Jahre davor – bei 1,2 Milliarden Euro – und auch im ersten Halbjahr 2025 zeigt er keinen Rückgang. Was sich freilich änderte: 2022 machte Unicredit in Russland einen Nettoverlust von fast 200 Millionen Euro, zwei Jahre später wurde daraus ein Gewinn von 577 Millionen Euro.

Die glänzenden Profite haben zwei Gründe: Durch Filialschließungen und Personalabbau ist der Aufwand massiv gesunken. Unicredit verbucht für jeden eingenommenen Euro nur noch Kosten von 17 Cents – eine im Westen nie annähernd erreichte Quote. Zudem profitieren die westlichen Banken von den hohen Zinsen der Zentralbank, wo sie ihr Geld über Nacht deponieren, wie der Unicredit-Vorstandsvorsitzende Andrea Orcel im Juli vor Analysten berichtete. Gleichzeitig bezahlen die Banken nur geringe Einlagenzinsen und erhöhen wie im Fall von Unicredit nun massiv die Gebühren.

EZB macht zunehmend Druck

Doch der EZB geht als europäischer Bankenaufseherin zunehmend die Geduld aus. Unter ihrem Druck will Unicredit nach mehr als 30 Jahren Präsenz in Russland nun bis Mitte 2026 kein Filialgeschäft mehr betreiben, verspricht Orcel. Heute schon halte man alle Vorgaben der EZB ein, betont er, die lokalen Einlagen und die Ausleihungen seien seit 2022 um fast 90 Prozent gesunken, die grenzüberschreitenden Zahlungen gingen um drei Viertel zurück.

Der forsche Bankmanager Orcel lässt sich indes nicht gerne treiben, das Verhältnis zur EZB ist seit 2022 angespannt, als die Zentralbank erstmals auf Abbau drängte. Im April 2023 und besonders ein Jahr später wurde sie mit konkreten und bezifferten Anweisungen zur Geschäftseinschränkung sehr deutlich. Orcel fand das übergriffig und meinte, dass etliche EZB-Anweisungen wegen des russischen Rechts gar nicht umsetzbar seien. Heftige Briefwechsel zwischen Mailand und Frankfurt brachten keine Beruhigung. So zog Orcel Ende Juni 2024 vor den EU-Gerichtshof, um die EZB-Kompetenzen klären zu lassen. Im vergangenen November wies das Gericht einen Unicredit-Antrag auf Suspendierung der EZB-Anweisungen zurück – ein Teilsieg der Zentralbank, doch in der Sache ist noch nicht endgültig entschieden.

Wenn Unicredit Unicredit verklagt

Wie kompliziert die Präsenz in Russland sein kann, zeigt sich auch an einem bizarren Rechtsstreit im Zusammenhang mit Unicredit. Wie im jüngsten Geschäftsbericht zu lesen ist, hat die russische Unicredit-Tochtergesellschaft namens AO Bank die deutsche Tochtergesellschaft, also die HVB, vor einem Gericht in Moskau verklagt. Hintergrund sind fällig gewordene Bürgschaften der AO Bank an einen ungenannten russischen Kunden, die von der HVB abgesichert worden sind.

AO Bank musste an den Kunden zahlen und will sich das Geld, wie vereinbart, von der HVB zurückholen. Doch die HVB argumentiert, dass sie das wegen der EU-Sanktionen nicht darf. Vor einem Jahr verurteilte ein russisches Gericht die HVB zur Zahlung der Garantien plus Zinsen. Die Berufung wurde im Januar dieses Jahres abgelehnt. Der Rechtstreit geht aber weiter.

Der Druck der russischen Justiz ist hoch. In einem anderen Fall hatte die HVB im Jahr 2021 einem Vertragspartner der RusChem Alliance (RCA), hinter der Gazprom steht, Bürgschaften für ein Gasprojekt in Russland gewährt. Das Projekt kam wegen des Krieges zum Stillstand, worauf die RCA die Zahlung der Bürgschaften von der HVB forderte, unterstützt von einem Gericht in Sankt Petersburg. Doch die HVB weigerte sich mit Verweis auf die EU-Sanktionen und erwirkte vor einem englischen Gericht eine Anordnung gegen RCA zur Unterlassung weiterer Prozesshandlungen in einem anderen Land.

Daraufhin schlug RCA in Russland mit einem Gerichtsurteil zurück, dass UniCredit verbietet, vor juristischen Instanzen außerhalb Russlands gegen RCA vorzugehen. Wenn UniCredit die englische Anordnung nicht aufheben lasse, drohten der russischen Tochtergesellschaft hohe Geldstrafen. Daraufhin gab Unicredit klein bei und erwirkte bei dem englischen Gericht in Teilen die Aufhebung der Anordnungen gegen RCA.

Raiffeisen will Oligarchen bezahlen

Die Lage bei der Raiffeisen Bank International (RBI) ist nicht weniger angespannt. Hier drängt nun die österreichische Regierung in der Europäischen Union auf eine umstrittene Regelung zur Entschädigung der RBI für eine in Russland verhängte Strafe. Wien besteht darauf, in das derzeit diskutierte 19. Sanktionspaket eine Klausel aufzunehmen, nach der Aktien des österreichischen Baukonzerns Strabag im Wert von rund zwei Milliarden Euro freigegeben werden sollen. Die Aktien werden dem sanktionierten russischen Oligarchen Oleg Deripaska zugerechnet.

Hintergrund der Bemühungen ist ein Urteil eines russischen Gerichts. Dieses hatte Raiffeisen nach einer Klage von Deripaskas früherer Firma Rasperia zu einer Strafzahlung von zwei Milliarden Euro verurteilt. Gleichzeitig stellte das Gericht in Aussicht, dass Raiffeisen die Strabag-Anteile übernehmen könne. Dies war der Bank jedoch bisher nicht möglich, da die Aktien unter EU-Sanktionen eingefroren sind.

Mehrere EU-Regierungen stehen dem österreichischen Vorschlag jedoch äußerst kritisch gegenüber. Sie befürchten, dass die EU mit der Genehmigung des Geschäfts russische Gerichte legitimieren würde. Diese reagieren auf EU-Sanktionen mit der Anordnung zur Beschlagnahmung westlicher Vermögen. Zudem könnte es andere Oligarchen ermutigen, denselben Weg zu gehen. „Wenn wir diesen Weg einschlagen, könnten wir am Ende ziemlich viele russische Vermögenswerte freigeben, und ich glaube nicht, dass das das Ziel ist“, sagte ein EU-Diplomat.