„Deutschland ist momentan vielmehr Beamten-fit qua Unternehmer-fit“

Neue Umfragen attestieren den Deutschen ein wieder wachsendes Interesse am Unternehmertum. Doch es hapert an der Umsetzung des Traums. Zu groß ist die Sorge vor Bürokratie, hoher Steuerlast und fehlender Absicherung. Besonders stark aber wirkt ein besonderer Wunsch.

Jahrelang gab es bei der Selbstständigkeit in Deutschland nur eine Entwicklung: Das Interesse daran sank beständig. Das Institut für Mittelstandsforschung erfasste in den vergangenen Jahren einen Einbruch um mehr als 25 Prozent bei den sogenannten „gewerblichen Existenzgründungen“. Vom Zehn-Jahres-Höchststand 2014 mit 309.891 Fällen bis zum Tief von nur noch 227.000 im Jahr 2023. Nun jedoch scheint sich etwas am Trend zu ändern.

Denn im vergangenen Jahr stieg der Wert erstmals wieder deutlich, liegt jetzt immerhin bei etwas mehr als 258.000 neuen Anmeldungen einer Selbstständigkeit. Und neue Studien bestätigen den Optimismus noch. So geht eine aktuelle Befragung des Umfrageinstituts Ipsos davon aus, dass in der Gesamtbevölkerung zwischen 18 und 75 immerhin 30 Prozent lieber selbstständig als in einem festen Arbeitsverhältnis arbeiten würden. Die Ergebnisse sind repräsentativ und liegen WELT vor.

Insgesamt bedeuten die Zahlen eine Erholung. Gerade die Corona-Jahre brachten zunehmende Skepsis gegenüber dem Traum vom eigenen Unternehmen. Einer Auswertung der KFW-Bank zufolge konnten sich 2021 nur 23 Prozent der Erwerbstätigen den Start einer eigenen Firma oder eine Solo-Selbstständigkeit vorstellen. Der langfristige Vergleich zeigt jedoch, dass der jüngste Anstieg nur ein kleiner Schritt ist. 2003 äußerten noch 42 Prozent eine Präferenz für die Selbstständigkeit gegenüber der Festanstellung.

Ein großes Problem bleibt zudem: Laut Ipsos trauen sich nur sieben Prozent der Befragten eine Existenzgründung in den nächsten zwölf Monaten auch tatsächlich zu. Begründung: „Angst vor finanzieller Unsicherheit, fehlende soziale Absicherung und zu viel Bürokratie“, wie es im Papier heißt.

Das könnte weitreichende Folgen haben, nimmt auch der Verband der jungen Unternehmer an. Hier nennt man die sieben Prozent Gründerquote sogar ein „Alarmsignal“. So werde die Unternehmertätigkeit allgemein eher mit „gruseligen Anzugträgern“ als wirtschaftlicher Notwendigkeit in Verbindung gebracht. Dieses Bild präge schon die Schule. Die Verantwortung für das Defizit insgesamt treffe auch deshalb die Politik.

„Wer heute gründet, wird durch Bürokratie und hohe Steuern und Lohnzusatzkosten für Arbeitnehmer über alle Maßen belastet“, so Junge-Unternehmer-Vorsitzender Thomas Hoppe. „Wir brauchen deshalb einfachere Genehmigungsverfahren sowie eine radikale Entlastung bei Steuern und Sozialabgaben.“

Junge Leute wollen auch weniger arbeiten

Zudem zeigt sich gerade bei den jungen Menschen zwischen 18 und 24 Jahren sich ein erstaunlich inkonsistentes Bild bei den Präferenzen. Zwar wollten laut Ipsos besonders viele der Jüngeren, 39 Prozent, lieber selbstständig als in Anstellung arbeiten, gleichzeitig sehnt sich die Generation aber auch in besonderem Maße nach Sicherheit. Das zeigen andere Studien: WELT berichtete kürzlich über den aktuellen Arbeitnehmer-Monitor der Versicherung HDI, eine repräsentative YouGov-Umfrage unter Erwerbstätigen. Gerade in der jüngeren Gruppe bis 24 sagten 43 Prozent dort, dass sie auch lieber im öffentlichen Dienst als in der Privatwirtschaft arbeiten wollten.

Ist alles also nur die Flucht vor der Arbeitswelt als Vollzeit-Angestellter? Ebenfalls schmälert die Ernsthaftigkeit des Unternehmer-Wunschs, dass das Interesse an Teilzeitarbeit und Homeoffice ungebrochen hoch ist. 57 Prozent aller Befragten würden laut HDI-Studie „eher“ oder „auf jeden Fall“ ein Teilzeit-Angebot ihres Arbeitgebers annehmen, eine Mehrheit verneinte in der Umfrage, dass Unternehmen ihre Beschäftigten dauerhaft ins Büro zurückholen sollten.

„Deutschland ist momentan eher Beamten-fit als Unternehmer-fit“, sagt auch Verbandssprecher Hoppe. Dies sei eine „direkte Folge der politischen Rahmenbedingungen“ und lasse darauf schließen, dass hohe regulatorische Hürden die Unternehmer-Ambitionen letztlich doch ausstechen.

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Die Wünsche derjenigen, die sich positiv gegenüber einer Selbstständigkeit äußerten, waren laut Ipsos „freie Zeiteinteilung“ (24 Prozent), „etwas Eigenes zu schaffen“ (24 Prozent), „eine persönliche Leidenschaft zu verfolgen“ (23 Prozent) und „selbst Entscheidungen zu treffen“ (20 Prozent). Tatsächlich zeigen Umfragen unter Managern aber, dass diese ihre Zeit oft mit Kommunikation und Verwaltungsaufgaben verbringen. Naheliegend, dass auch Interessenten das wissen. Experten kritisieren den hohen Aufwand, den Unternehmensführung in Deutschland verursacht, immer wieder scharf.

Wer in Deutschland eine eigene Firma gründet, hat die KfW-Bank untersucht. So lag das Alter bei der Existenzgründung in Deutschland im Mittel bei 34,4 Jahren. Unter allen Neu-Unternehmern waren 39 Prozent zwischen 18 und 29 Jahre alt. Der Anteil der sogenannten „Silver-Gründer“ jedoch, das sind alle jenseits der 50, lag dabei nur bei zwölf Prozent.

Für die Innovationskraft ist das zunächst gut. Denn jüngere Gründer tendieren laut KfW auch zu interessanteren, innovativeren Geschäftsmodellen. Gleichwohl scheitern diese Unternehmen aber auch schneller – während die Geschäftsmodelle der Älteren zwar als weniger innovativ, aber auch weniger riskant gelten. Ältere Gründer haben laut KfW etwa deutlich seltener finanzielle Schwierigkeiten oder fehlende Sachkenntnis.

Eine mögliche Lösung für das Gründer-Defizit? Die Ipsos-Umfrage, die ursprünglich für das Mobilitätsunternehmen Bolt durchgeführt wurde, sieht etwa an einer Art Mikro-Selbstständigkeit niedrige Hürden. Das funktioniere zum Beispiel dank sogenannter Plattform-Modelle. Dabei stellen größere Unternehmen gegen eine Gebühr eine Infrastruktur zur Verfügung, zum Beispiel Online-Marktplätze. Dort empfänden selbstständige Dienstleister einen Einstieg zumindest als unkompliziert.

Die Beratungsfirma McKinsey hingegen erkennt darin keinen entscheidenden Gewinn. Die vielversprechendsten Gründungs-Branchen der Zukunft? Vielmehr neue Unternehmen im Digital-Bereich. Das höchste jährliche Wachstum bis zum Jahr 2040 prognostizierten die Analysten 2024 den Wirtschaftszweigen „KI-Software und -services“ mit 17 bis 25 Prozent pro Jahr, „Robotik“ mit 13 bis 23 Prozent pro Jahr und dem Bereich „Medikamente gegen Übergewicht“ mit bis zu 15 Prozent jährlich.

Dieser Artikel entstand für das Wirtschaftskompetencenter von WELT und Business Insider.

Felix Seifert ist Redakteur im Ressort Wirtschaft und Innovation. Er schreibt unter anderem über die Themen Karriere, Verbraucher, Mittelstand und Immobilien.

Source: welt.de