Krieg | Lena Brasch inszeniert Sibylle Berg: Boom, ich bring euch um

Vielleicht gibt es im Untergrund noch Erkenntnis. Meint zumindest Sybille Berg in ihrem Text Ein wenig Licht. Und diese Ruhe, der vergangenen Freitag im Staatstheater Hannover uraufgeführt wurde. Inszeniert hat ihn die Regisseurin Lena Brasch, die vor ein paar Jahren anfing, die hiesige Theaterwelt umzukrempeln und von der Zeit mal zu den 100 wichtigsten Ostdeutschen gekürt wurde.

Die 1993 in Berlin-Pankow geborene Brasch ist die Neue im Bunde. Autorin Sibylle Berg zählt bekanntlich zur älteren Garde der radikalen Gegenwartsbeobachtung, gespielt wird ihr Text von Bergs langjähriger künstlerischer Wegbegleiterin, der Schauspielerin Katja Riemann, die seit ein paar Jahren auch als politische Aktivistin von sich reden macht.

Der Text selbst ist ein explosives Kammerspiel, die Kammer ist ein Bunker tief unter der Erde, durch den hin und wieder Kriegsgeräusche grummeln. Riemann spielt einen Ingenieur, der den Krieg und sich selbst reflektiert, das tut er analog zu den Abschnitten mit den bedeutsamen Überschriften, in die der Text gegliedert ist: Unschuld, Selbstverwirklichung, Hoffnung, Liebe, Glaube, Freiheit, Demokratie, Solidarität, Sinn.

Katja Riemann im Untergrund

„Früher, da standen Männer, die man damals noch so nannte, am Rand von Löchern und starrten in sich hinein. Ohne zu reden, blickten sie in das, was unter der Oberfläche liegt“, heißt es im Text. „Lasst uns mit der Erforschung des Untergrunds beginnen.“ Dieser Untergrund auf der Bühne sind ein paar Leuchtelemente, die sich im Lauf der Inszenierung zu einem geschlossenen Oval arrangieren.

Riemann läuft immer wieder darüber hinaus, beispielsweise, um im Hintergrund an ein paar Kabeln zu schrauben. Sie läuft ins und durchs Publikum, um mit leeren Wasserkanistern wiederzukommen, die sie dann über die Bühne kickt. Man merkt, sie hat Spaß am Text, den sie mal augenzwinkernd, mit Tempo, mal brüllend vorträgt.

Bergs Text buddelt währenddessen wie aus einer Parallelwelt aus dem Bunker heraus die sogenannte Gegenwart auf. Ein „Antikriegs-Stück“ nennt Sybille Berg ihren Text auf X, und so kann man das natürlich auch sehen. Wer sich in der Gegenwart digital und analog aufhält, stößt schnell auf Krieg. In der Inszenierung Ein wenig Licht. Und diese Ruhe sind die Konfliktparteien ironischerweise Luxemburg und Liechtenstein.

Menschen sollen durchpatriotisiert werden

Bergs Text gibt uns zu verstehen, dass das größte Problem der Gegenwart die verwirrende Perspektive ist. Nie weiß man genau, wer spricht, zu wem, aus welchen eventuell sinistren Gründen. Die Maschine des Spätkapitalismus will mit Blut geölt werden. Und weil niemand sein Blut freiwillig gibt, so erzählt es der Text, werden Konflikte aufgebauscht, Menschen durchpatriotisiert, damit die Kriegswirtschaft anläuft.

„Es war wie bei den letzten Kriegen gegen Viren und andere Aggressoren: Je intensiver die dramatische Berichterstattung, umso mehr fühlten sich die Menschen meines Landes gemeint“, schreibt Berg. Wer da nicht mitmachen wolle, dem bleibe nur das Versteck im Untergrund. In dem es aber natürlich auch keine eindeutigen Perspektiven oder Sprecherpositionen gibt.

Sibylle Bergs Text: Reißerische Weltsicht

Spricht die Autorin oder lässt die Autorin ihre Figur sprechen und hat die eine geheime Agenda? Es bleibt nebulös. Auch, wie ernst das alles gemeint ist. Einmal heißt es: „Ich erinnere mich daran, wie alle hofften, dass die Jugend unseren Planeten retten würde. Das hat sich so nicht erfüllt. Die jungen Menschen sind genauso blöd wie die alten, nur mit schnelleren Daumen …“

Ist der Text eine Konstruktion, die eine bestimmte Art zu denken, ein bestimmtes Milieu mit dem Ingenieur als Reflektorfigur überaffirmativ parodieren soll? Oder muss man die Autorin beim Wort nehmen, wenn sie überall Triggerwarnungen sieht und das im Text ins Lächerliche zieht? Vielleicht nichts, vielleicht etwas von beidem. Fest steht: Auch im Untergrund gibt es zwar eine neue und doch nur eine andere Schicht an Lügen, die man sich über die Gegenwart erzählt, um sie sich erträglich zu machen.

Bergs Text gerät mitunter fast schon populistisch, zumindest aber gefallsüchtig, es wird ständig vereinfacht, verallgemeinert. Da sind Sätze, die so cool klingen, als trügen sie eine Sonnenbrille, zu cool für nötige Differenzierung. So gelangt der Text zu seiner reißerisch pessimistischen Weltsicht. Das Ganze wirkt wie eine sehr lange Polemik oder wie ein Ü50-Facebookkommentar – allerdings rhetorisch ausgefeilter. Am Ende steht das geschlossene Oval. Heißt: hier hat sich jemand in seinem gemütlichen Untergrund eingerichtet; der Bunker als einzig sinnvoller Ort.

Katja Riemann kumpelt und rennt

Riemanns Spiel doppelt das. Denn selbstverständlich ist sie eine gute Schauspielerin, es macht Laune, ihr bei der Texterkundung zuzusehen. Sie lässt den Text mal schillern, wendet Sätze, die auch ernst klingen könnten, mal ironisch, mal wütend, mal verzweifelt. Sie kumpelt ein paar Menschen in den ersten Reihen des Publikums an. Rennt zur Bühnenwand und trommelt dagegen. Pascal Ritters Gitarrengeschrammel als Stimmungsverstärker wirkt da manchmal fast schon zu viel. Aber ohne ihn wäre das Arbeiterlied mit dem schönen Text „Bomm, boom, boom, boom / Ich bring euch alle um“ nur halb so schön, und weil es um Bunker geht, darf auch Hurra, die Welt geht unter von K.I.Z. nicht fehlen.

Dem Publikum in Hannover ist Ein wenig Licht. Und diese Ruhe lange Standing Ovations wert. Es ist ja auch für alle etwas dabei. Sie fühlen sich gemeint. Es kommt nur auf die Perspektive an.

Ein wenig Licht. Und diese Ruhe Sybille Berg (Text), Lena Brasch (Regie) Staatstheater Hannover