Ausstellung | Ausstellung reichlich Architektur-Pionierin Ingeborg Kuhler: Das Unwichtige bleibt unsichtbar
Das Berliner Museum für Architekturzeichnung widmet Ingeborg Kuhler eine Ausstellung – und rückt damit eine Frau ins Licht, die mit dem Mannheimer Technoseum Architekturgeschichte schrieb
Kräftige Farben, formale Strenge: Ingeborg Kuhlers „Skulptur und Raumstruktur“ – ein Aquarell auf Papier aus dem Jahr 2020
Foto: Ingeborg Kuhler
„Eine Frau hat das Rennen gewonnen!“, heißt es 1982. Die erst 38-jährige Architektin Ingeborg Kuhler erhält in einem anonymisierten Bewerbungsverfahren den Zuschlag für einen gigantischen Museumsneubau in Mannheim. „Wie ‚ein Pferd hat das Rennen gewonnen‘. Niemand hätte gesagt: ‚Ein Mann hat das Rennen gewonnen‘“, erinnert sich die Wahlberlinerin Jahrzehnte später in einem Video für das Goethe-Institut. Die männlich dominierte Zunft ist erschüttert.
Fertiggestellt habe sie das Landesmuseum für Technik und Arbeit, seit 2009 Technoseum genannt, letztlich mit fünf Frauen. Die hätten viel leidenschaftlicher an dem Mammutprojekt gearbeitet, das bis heute mit seinem sachlichen und doch erzählerischen Raumkonzept als wegweisend für eine (post-)moderne Museumsgestaltung gilt, als die anfangs von ihr an Bord geholten Männer. Das vom Architekten und Zeichnungs-Fan Sergei Tchoban initiierte Museum für Architekturzeichnung in Berlin widmet der Pionierin Kuhler – sie war 1984 auch die erste Entwurfsprofessorin an einer westdeutschen Architekturfakultät, der heutigen Berliner UdK – nun eine eigene Ausstellung.
In der Vorgängerschau zur DDR war keine Architektin vertreten
Nach der viel beachteten Vorgängerschau zu visionären DDR-Architekturzeichnungen, bei der trotz kuratorischer Bemühungen kaum Werke von Frauen gezeigt werden konnten, punktet das Haus jetzt mit einer dezidiert weiblichen Perspektive. Dabei könnte der Kontrast zwischen den im ersten Stock gezeigten, in kräftigen Farben gehaltenen Aquarellen und der formalen Strenge der großformatigen Mannheimer Grundrisse wie auch der schwarz-weißen Architekturfotos im zweiten Stock kaum größer sein.
In der unteren Etage erzählen die vielen – häufig kleinformatigen – Aquarelle von Reisen in die Türkei, nach Marokko, Frankreich, Spanien oder Italien, bei denen das Skizzenbuch immer mitfährt. Zwei Brutalismus-Ikonen, Le Corbusiers Wallfahrtskapelle in Ronchamp und Wotrubas Wiener Betonklötze-Kirche, zerfließen pastellig elegant auf dem Papier, doch auch antike Amphitheater, Tempel oder Aquädukte sind zu sehen, immer mit einem Auge für die Gleichzeitigkeit von Ort und Architektur.
Ein kleiner Bildschirm gleich neben dem Eingang zeigt, wie Kuhler arbeitet: In ihrem ungewöhnlichen Verfahren wird die Farbe nicht wie sonst vorab, sondern direkt auf dem speziellen Arches-Aquarellpapier gemischt, sodass kaum Korrekturen möglich sind und besonders schnell und konzentriert vorgegangen werden muss. „Verdichtet“ nennt sie das, und es ist ein Begriff, der immer wieder bei ihr auftaucht, sogar im Ausstellungstitel Gedichte aus Räumen und Farben.
Dieser ist nicht in erster Linie lyrisch zu verstehen, obwohl eines der zuvorderst gehängten Werke ihre malerische Interpretation des Gedichtes Am Quai von Siracusa von Wolf Wondratschek ist – eine Aufgabe, die sie 1997 ihren Studierenden stellte und die sie 2007 selbst in einem gleichzeitig geometrischen wie poetischen Aquarell löste. In einem Interview-Video erklärt Kuhler im Gespräch mit der emeritierten Architekturprofessorin Karin Wilhelm die „Verdichtung meiner Wahrnehmung im Bild“, die in ähnlicher Form auch in der Architektur existiere, als „Verdeutlichung auf das Wesentliche der Aussage“. Das Unwichtige bleibt unsichtbar, wie bei Le Corbusiers „freier Fassade“, die wie ein Vorhang vor der Baustruktur hängt und Funktionselemente wie Kabel verdeckt. Fun fact: Wilhelm wohnt in einem von Kuhler entworfenen Haus in Berlin-Kladow.
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Vielschichtiges Ensemble
Gezeichnet habe sie immer, hätte es wie jede Architektin auch können müssen. Das Malen sei die Herausforderung gewesen, auf die sie sich in späteren Jahren immer mehr habe konzentrieren wollen, bis sie 2008 beschloss: „Ich baue keine Häuser mehr, ich baue Bilder.“ In ihrer Malerei findet sich wie in der Architektur das Prinzip der Überlagerung, „das ist ein kubistisches Prinzip: die Objekte werden in geometrische Formen zerlegt und aus verschiedenen Perspektiven gleichzeitig dargestellt“. Die Werke in der zweiten Etage wirken fast ein wenig einschüchternd: personenhohe Innen- und Außenansichten des Technoseums mit seinen ultraklaren Raumperspektiven als Schwarz-Weiß-Fotografien; Grundrisse und Lagepläne.
Der Fotograf und Wegbegleiter Ivan Nemec erinnert sich an seine ersten Begegnungen mit Kuhler: Er habe an eine unfassbar vitale, alle anderen um Köpfe überragende Stummfilmdiva denken müssen, wenn sie durch die Räume schritt. Nicht nur männliche Kollegen, die sonst eher durch Macho-Allüren auffielen, seien von ihrer Energie und Autorität gebannt gewesen, gefühlt hätten sich sogar die Teppiche hinter ihr ehrfürchtig aufgerollt.
Kuhler selbst hätte für diese Form der Ehrerbietung vermutlich nur ein Achselzucken übrig. Sie erinnert sich auch daran, wie oft über ihre Person gesprochen worden sei. „Da wurde gesagt, ich hätte 500 Stunden gearbeitet oder ich sehe aus wie Cäsar. Über welchen männlichen Architekten wurde jemals schon gesagt, er sehe aus wie – was weiß ich – Nero?“ Und das, obwohl sie beim fast 200 Meter langen Mannheimer Museumsbau, der mit seinen schiefen Ebenen und seiner Orientierung an Keil und Hammer als „arbeitendes“ Gebäude bereits durch seine Form den Inhalt abbildet, von Beginn bewusst nur als „Arbeitende“ aufgetreten sei.
Doch dem Selbstbewusstsein der Architektin, die sich bereits zu Beginn ihrer Karriere auf das Größte, was man errichten kann, konzentriert hat – nämlich Krankenhäuser – und daher wusste, dass sie nun wirklich jedes Haus bauen könne, haben diese Kategorisierungen keinen Abbruch getan. Und so kann sie heute selbstverständlich vitale Aquarelle und strenge Baupläne übereinanderstapeln – und von den Betrachter*innen erwarten, dass sich diese Überlagerungen selbstständig zu einem vielschichtigen Ensemble verdichten.
Ingeborg Kuhler – Gedichte aus Räumen und Farben Tchoban Foundation, bis 11. Januar