Michel Friedman in Klütz: Kunstfreiheit ist kein Medienevent

Wenn sich eine Kleinstadt ­angegriffen wähnt, dann rücken die Bürger zusammen. Das lässt sich auf die riesige Lücke zurückführen, die zwischen den lokalen Näheverhältnissen und der Erfahrung, zum Objekt fremder Beurteilung geworden zu sein, klafft.

So ähnlich ist es in den vergangenen Tagen wohl auch vielen Klützern gegangen, den Bewohnern einer kleinen Landstadt an der Ostsee, die seit Kurzem nicht dank ihres barocken Schlosses von sich reden macht, sondern aufgrund eines undurchsichtigen, gleichwohl aber empörenden Falls.

Undurchsichtige Ausladung

Der Publizist Michel Friedman wurde, wohl auf Geheiß des Bürgermeisters (das ist nur eines der vielen Wohls in diesem Fall), von einer Lesung ausgeladen, die das örtliche Uwe-Johnson-Literaturhaus anlässlich des 120. Geburtstages von Hannah Arendt im Oktober 2026 veranstalten wollte.

Es ging dem Bürgermeister Jürgen Mevius, so teilte es zumindest der Leiter des Literaturhauses mit, um die angeblich hohen Kosten, die mit Friedmans Auftritt verbunden gewesen wären, die Angst vor rechten Demons­tranten und – besonders anstößig – darum, dass Friedman nicht nach Klütz passe. Mevius, der sich zunächst nicht hatte äußern wollen, bestritt wiederum das meiste davon, kündigte seinen Rücktritt an und beklagte, öffentlicher Verleumdung ausgesetzt zu sein.

PEN Berlin wollte mit den Bürgern reden

Nicht wenige Klützer wollten hier den eigentlichen Skandal erkennen: dass ein verdienter Bürgermeister mithilfe nationaler Medien, die natürlich jetzt scharenweise in die Stadt eilten, aus dem Amt gedrängt wurde. Insofern war es eine gute Idee des Schriftstellerverbandes PEN Berlin, nicht über, sondern mit den Klützern zu reden.

Mehrere hundert Menschen kamen am Montagabend zur Kundgebung in Klütz; einige von ihnen ergriffen auch das Mikrofon.
Mehrere hundert Menschen kamen am Montagabend zur Kundgebung in Klütz; einige von ihnen ergriffen auch das Mikrofon.dpa

Am Montagabend hatte er zu einer eilig organisierten Kundgebung auf dem Marktplatz geladen, zu der auch Friedman selbst anreiste. Der Publizist zeigte sich empört dar­über, dass sich ein Politiker in die ­Belange der Kultur einmische. „Wie maßt sich Politik an, einen Menschen auszuladen? Wenn es kein Antisemitismus war, was war es dann?“, sagte er auf der Bühne.

Zweierlei Demokratieverständnisse

Mehrere hundert Menschen waren gekommen, viele davon, um Friedman zu unterstützen und Klütz wieder in ein freundlicheres Licht zu rücken. Man musste aber nur in die hinteren Reihen blicken oder die Kommentarspalten durchforsten, um auch die andere Seite zu sehen: Viele solidarisierten sich mit ihrem Bürgermeister und befürworteten die Ausladung Friedmans.

Auch von ihnen kamen glücklicherweise ein paar zu Wort, was die Spannungen sichtbar minderte. Dass der PEN das Mikrofon zirkulieren ließ, brachte zwei kon­kurrierende Demokratieverständnisse näher – die einen verteidigten die Autonomie der Kultur und die anderen die Entscheidungshoheit ihres politischen Vertreters. Auch wenn dabei Unschönes zum Vorschein kam: nur so geht es. Die Sicherung der Kunstfreiheit wird kaum gelingen, wenn sie einer kleinen Bürgerschaft nur als Medienevent begegnet.

Source: faz.net